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Digitalisierung gerecht (be-)steuern

Die Digitalisierung bringt eine völlig neue Form der Wertschöpfung mit sich. Das derzeitige internationale Steuersystem darauf nicht ausgelegt. Eine grundlegende Reform sollte nicht im Rahmen der OECD, sondern auf UN-Ebene passieren.

Vertreter der United Nations Industrial Development Organization (UNIDO) auf der Hannover Messe (Foto UNIDO)

Schon vor einigen Jahren brachte Marc Andreessen, Erfinder des Netscape-Browsers, den umfassenden Einfluss der Digitalisierung griffig auf den Punkt: „Software is eating the world“, so der Start-Up Investor. Die umfassende Technisierung überschreitet bestehende soziale Grenzziehungen und verändert die Art, wie Menschen sich selbst und die Welt wahrnehmen.

Im Bereich der Wirtschaft entstehen einerseits völlig neue Geschäftsmodelle, die auf Basis von Daten zur Wertschöpfung beitragen. Andererseits werden auch bestehende Branchen von der Digitalisierung erfasst. So können etwa die Daten von autonomen Fahrzeugen zukünftig die Navigation von Fahrzeugen entscheidend verbessern. Insgesamt führt die Digitalisierung dazu, dass immaterielle Güter an Bedeutung hinzugewinnen, während klassische materielle Wertschöpfung einen geringeren Stellenwert einnimmt.

Diese Veränderung der Wertschöpfung hat gigantische Auswirkungen auf die Sozialstruktur von Gesellschaften. Wie Enrico Moretti für die USA gezeigt hat, führt dieser Strukturwandel in der Wirtschaft zu sogenannten Clustering-Effekten. Das heißt, dass einerseits „Brain Hubs“ wie beispielsweise in San Francisco entstehen, die Arbeitsplatze in der hochqualifizierten Wissensökonomie schaffen. Zugleich entstehen in diesen Städten auch zu Jobs für Beschäftigte in „einfacheren“ Dienstleistung. Andererseits veröden ehemalige Industriezentren wie Detroit. Die Lebenswelten zwischen Peripherie und Zentren driften dadurch immer weiter auseinander. Teilweise führt das schon heute zu Protest. Die jüngsten Aufstände der Gelbwesten in Frankreich führen das deutlich vor Augen.

Das derzeitige Steuersystem ist nicht auf eine globale und digitale Wertschöpfung vorbereitet

Es sind aber nicht nur die räumlichen Veränderungen, die gewaltige Auswirkungen haben. Insbesondere das heutige internationale Steuersystem ist in keiner Weise für diese Form der Wertschöpfung ausgelegt. Dessen Grundlagen wurden in den 1920er Jahren durch den Völkerbund (League of Nations) geschaffen. In diesem Rahmen wurden auch internationale Regelungen zur Vermeidung von doppelter Besteuerung eingeführt. Ein zentraler Punkt war dabei die Vorstellung einer ökonomischen Zugehörigkeit oder Loyalität von Firmen zu Nationalstaaten. Diese territoriale Zugehörigkeit sollte als pragmatische Basis von Besteuerungsrechten dienen. Diese Idee mündete in das Konzept der Betriebsstätte. Vereinfacht gesagt, hat ein Staat nur dann das Rechte zur Besteuerung, wenn das jeweilige Unternehmen Räumlichkeiten oder Mitarbeiter in diesem Land hat.

Auf dieser Grundlage etablierte die OECD zudem das sogenannte Arm’s length Principle (zu deutsch: Fremdvergleichsgrundsatz), das insbesondere bei internationalen Wertschöpfungsketten zum Einsatz kommt. Die Grundidee besteht darin, dass bei Handel zwischen verschiedenen Teilen eines multinationalen Unternehmens (MNEs) in unterschiedlichen Ländern quasi unterstellt wird, es handele sich dabei um Handel zwischen zwei unabhängigen einzelnen Unternehmen. Kommt es zwischen diesen Unternehmensteilen zum Handel, sollte deshalb ein „marktüblicher Preis“ aufgestellt werden.

Aufgrund dieser Regelung war das internationale Steuersystem schon vor dem Aufkommen spezifisch digitaler Geschäftsmodelle – wie etwa Facebook - nicht adäquat auf eine immaterielle und globale Wertschöpfung angepasst. Denn immaterielle Wirtschaftsgüter meistens einzigartig. Das bedeutet, es gibt kein vergleichbares Produkt, an dessen Marktpreis man sich bei der Festsetzung des Preises orientieren könnte. Das bestehende Arm’s length Principle führt deshalb zu der absurden Situation, dass MNEs die Preise ihrer immateriellen Güter mehr oder weniger fiktiv hoch ansetzen können. Ein Beispiel: Die nationale Niederlassung eines Unternehmens verwendet ein Konzernlogo. Dafür zahlt sie Lizenzgebühren an einen anderen Teil des Unternehmens. Durch diese Kosten verringert sich der Gewinn. Es fallen also weniger Steuern an. Gleichzeitig wählen die MNEs für ihren Hauptsitz - an dem der Gewinn schlussendlich versteuert werden muss - Länder mit besonders geringen Steuersätzen.

Das internationale Steuersystem ist also auch ohne spezifisch digitale Geschäftsmodelle dysfunktional und ungerecht. Bei digitalen Geschäften wird die problematische Verknüpfung zwischen territorialem Hauptsitz und Besteuerungsrechten noch offensichtlicher. So hängt das Geschäftsmodell von Google wesentlich davon ab, dass die Nutzer in Europa die Suchmaschine durch ihre Anfragen mit Daten füttern. Diese werden von Google wiederum dazu genutzt, die Algorithmen zu verbessern und passgenauere Werbeanzeigen zu verkaufen. Die Nutzer tragen damit wesentlich zur Wertschöpfung bei. In der Steuerlast von Google spiegelt sich das aber kaum wieder. Die Entkopplung von Wertschöpfung und Besteuerungsmöglichkeiten ist in solchen Fällen besonders groß.

Dass, das internationale Besteuerungssystem heute nicht mehr funktioniert, ist mittlerweile weitestgehend unbestritten. Es stellen sich nun zwei Fragen:

  1. Wie, das heißt, mit welche Instrumenten, soll das internationale Besteuerungssystem reformiert werden und
  2. in welchem Rahmen – auf OECD oder UN Ebene – soll dies passieren?

Es kursieren derzeit eine Reihe technischer Vorschlägen zu Besteuerungsinstrumenten. Dazu gehört die Idee einer digitalen Betriebsstätte sowie die Einführung einer Datenumsatzsteuer für große Tech-Konzerne. Die Diskussion darum, wie Wertschöpfung in digitalen Geschäftsmodellen zugerechnet und gemessen werden kann, ist in vollem Gange. Die Einführung einer Datenumsatzsteuer auf europäischer Ebene ist jedoch vorläufig erst einmal vom Tisch, da man sich im Rat der Finanzminister bislang nicht auf ein gemeinsames Handeln einigen konnte. Auch deshalb richtet sich der Blick nun zunehmend auf die OECD. Zwar wird weiter an einer europäischen Lösung gearbeitet, idealerweise solle jedoch eine internationale Lösung im Rahmen der OECD gefunden werden. Das führt zur zweiten zentralen Frage: In welchem Rahmen sollten die Regeln für ein neues Steuersystem etabliert werden?

Die OECD hat 2013 im Rahmen ihres sogenannten BEPS-Prozess (Base Erosion and Profit Shifting) eine Diskussion darüber initiiert, wie der aggressiven Steuervermeidung in einer globalen und digitalen Ökonomie begegnet werden kann. Grundsätzlich wurden die zentralen Weichenstellungen für internationale Besteuerungsregeln in den letzten Jahren von der OECD aufgestellt. Die agiert aber im Wesentlichen als Interessenvertretung der reichsten Staaten der Welt. Es scheint daher unwahrscheinlich, dass gerade im Rahmend der OECD ein faires Besteuerungssystem zustande kommt, von dem auch die finanziell weniger starken Länder profitieren könnten. Zwar schließen weder die G20 noch die OECD die Teilnahme der Entwicklungsländer kategorisch aus. Wollen letztere an den Steuerverhandlungen zur Gestaltung der digitalen Ökonomie teilzunehmen, müssen sie jedoch allen in diesem Zusammenhang bereits getroffenen Entscheidungen zuzustimmen. Einige Länder haben sich entschieden, dieses Zugeständnis im Gegenzug für mögliche Einflussnahme innerhalb der kommenden Verhandlungen in Kauf zu nehmen. Ein Großteil der Entwicklungsländer sieht dies aus nachvollziehbaren Gründen aber anders.

Nur auf Ebene der Vereinten Nationen kann ein wirklich adäquates und gerechtes globales Steuersystem etabliert werden, das den Herausforderungen einer digitalen Ökonomie wirklich gerecht wird.

Die weitaus adäquatere Ebene für die Schaffung internationaler Standards wären die Vereinten Nationen. Dort würden auch die Entwicklungsländer mit ihren Interessen einbezogen. In diesem Kontext haben eine Reihe von Entwicklungsländern bereits auf der UCTAD-Konferenz 2016 die Einrichtung einer globalen UN-Institution zur Erarbeitung von internationalen Steuerstandards gefordert. Damit konnten sie sich allerdings nicht durchsetzen. Auf UN-Ebene schwelt in dieser Hinsicht seit Jahren ein latenter Interessenkonflikt zwischen den reichen Industriestaaten und den sogenannten Entwicklungsländern. Während erstere tendenziell an einer Besteuerung interessiert sind, die sich an dem Hauptsitz der multinationalen Konzerne orientiert, pochen letztere darauf, sich bei der Besteuerung stärker daran zu orientieren, wo die Wertschöpfung tatsächlich stattfindet.

Vor diesem Hintergrund erscheinen die Bemühungen zur Einführung einer Datenumsatzsteuer in einem anderen Licht. Jene politischen Akteure, die sich für eine Umsatzsteuer auf Daten aussprechen, gerieren sich gern als Kreuzritter im Kampf gegen den digitalen Kapitalismus. Doch mit ihren Vorschlägen halten sie weiterhin die schützende Hand über ein inadäquates Steuersystem, das durch ein paar kosmetische Korrekturen lediglich angepasst werden soll. Diese Anpassungen sind eine Reaktion auf die Kritik aus der Bevölkerung. Im Wesentlichen wird jedoch an einer Besteuerung festgehalten, die sich an dem Konzernhauptsitz orientiert. Im Zweifel wird die schützende Hand über die „eigenen“ Unternehmen gehalten, so als bestünde noch eine Loyalitätsbeziehung zwischen Unternehmen und Nationalstaaten. Diese Beziehung wurde jedoch schon vor langem einseitig aufgekündigt. Es wäre an der Zeit, dass die jeweiligen Politiker sich dieser Einsicht stellen, anstatt in einem Denken aus dem letzten Jahrhundert verhaftet zu bleiben.

 

Maximilian Nominacher ist Sozialwissenschaftler und beschäftigt sich mit gesellschaftlichen Transformationsprozessen im Zuge der Digitalisierung.


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