Der nächste Affront - Die USA und der IStGH
Der IStGH ist wahrlich keine Institution frei von Fehlern. Schleppende Verfahren, ein irrlichtender erster Chefankläger und die mangelhafte Vorbereitung prominenter Anklagen haben auch bei den glühendsten Verfechtern der internationalen Strafjustiz für das ein oder andere Kopfschütteln gesorgt. Dennoch hat das einzige auf Internationalität angelegte Strafgericht der Welt unter der Führung der neuen Chefanklägerin Fatou Bensouda an Profil gewonnen und sich auf der Weltbühne etabliert. Die Entscheidung für ein globalere Ermittlungsstrategie mit (Vor-) Ermittlungen in allen Weltgegenden zeigt Wirkung.
Die USA und Israel im Fokus möglicher Ermittlungen
Während die Ermittlungen des IStGH in Afrika die weltpolitischen Interessen der USA kaum berührten und daher toleriert und sogar vorsichtig unterstützt wurden, sind mit dem Strategiewechsel schlafende Hunde geweckt worden. Wagt es ein internationales Gericht doch tatsächlich, das Instrumentarium des internationalen Strafrechts nicht nur gegen die Besiegten, sondern auch gegen die Mächtigen zum Einsatz zu bringen und deren (Fehl-) Verhalten kritisch zu würdigen. Konkreter Anlass für die bissigen Kommentare der amerikanischen Führung sind zwei Vorermittlungen des IStGH, die sich u.a. gegen die USA und den engen Verbündeten Israel richten. Amerikanische Soldaten und ihre Vorgesetzten stehen im Fokus, weil aus Sicht der Anklagebehörde in den USA nur unzureichende Ermittlungen zu den Foltervorwürfen in US-geführten Gefängnissen in Afghanistan durchgeführt wurden und eine mögliche Verantwortlichkeit der Dienstvorgesetzen sowie der CIA dabei weitgehend ausgeblendet wurde (Siehe: Report on Preliminary Examination Activities 2017, S. 51 ff.). Ferner steht die israelische Siedlungspolitik auf dem juristischen Prüfstand (siehe: Report on Preliminary Examination Activities 2017, S. 12 ff.; sowie: Die Ermittlungen des ICC im Nahost-Konflikt).
Das Souveränitätsargument – ein alter Schuh
John Boltons Frontalangriff auf die internationale Strafjustiz ist aus völkerrechtlicher Perspektive wenig überzeugend. Die USA haben das Rom-Statut des IStGH zwar nicht ratifiziert und sind daher nicht zur Kooperation verpflichtet. Die völkerrechtliche Souveränität führt allerdings nicht dazu, dass Einmischung von außen per se unzulässig wäre. Dies gilt insbesondere für strafrechtlich relevante Sachverhalte, die sich auf dem Territorium eines anderen Staates – hier Afghanistan – zugetragen haben. Afghanistan ist als souveräner Staat in 2003 Mitglied des IStGH geworden und hat damit eine Zuständigkeit des Gerichts für Taten auf dem eigenen Staatsgebiet anerkannt. Eine Ausnahme für US-Staatsbürger gibt es nicht. Es war eine bewusste Entscheidung der Gründungsstaaten, die Zuständigkeit nicht von der Zustimmung des UN-Sicherheitsrats oder dem Heimatstaat eines mutmaßlichen Kriegsverbrechers abhängig zu machen. Strafverfolgung sollte nicht unter dem Vorbehalt der politischen Opportunität stehen und nicht selektiv zum Einsatz kommen. Damit sind politischen Konflikte vorprogrammiert.
US-Drohungen inakzeptabel
Eine Aversion gegenüber internationalen Organisationen und dem Völkerrecht ist keinesfalls eine Trump’sche Anomalie. Sie ist tief verwurzelt in der republikanischen Partei, die jede Einhegung militärischer und wirtschaftlicher Macht als Angriff auf den American exceptionalism verteufeln. Die Weltgemeinschaft hat dies in der Vergangenheit wiederholt zu spüren bekommen. Der Widerstand gegen den IStGH begann bereits kurz nach Schaffung des Gerichts im Jahr 2002. Unter der Führung des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush wurde massiv Stimmung gegen die internationale Strafjustiz gemacht und mit dem sog. „Hague Invasion Act“ sogar militärische Befreiungsaktionen im Herzen Europas in den Raum gestellt. An dieser Tradition knüpft John Bolton nun nahtlos an. Die Botschaft ist klar: amerikanische Macht lässt sich mit den Mitteln des (Völker-) Rechts nicht einhegen. Ob innenpolitisches Kalkül am Jahrestag des 11. September diese Aussagen motiviert haben, ist da fast schon nebensächlich. Wenn nicht nur die Institution selbst angegriffen wird, sondern den Mitarbeitern des IStGH persönlich mit Repressalien gedroht wird, ist eine weitere Grenze überschritten.
Europa und die Vereinten Nationen sind gefordert
Die Bundesregierung und die Europäische Union sind aufgefordert zu handeln. Sämtliche Mitgliedstaaten der EU haben dem Projekt IStGH ihre volle Unterstützung zugesagt. Dazu gehört auch, sich öffentlich zum Gerichtshof zu bekennen und den Ankündigungen aus Washington entgegenzutreten. Die europäischen Staaten sind darüber hinaus verpflichtet, den Gerichtshof bei laufenden Verfahren zu unterstützen und – sofern dies notwendig werden sollte – Verhaftungen von Beschuldigten vorzunehmen. Auf Bündnispolitik ist hierbei keine Rücksicht zu nehmen. Auch die Vereinten Nationen sollten sich klar zu den Zielen und der Tätigkeit des IStGH bekennen. Beim Gerichtshof handelt es sich zwar um kein Organ der Vereinten Nationen. Dennoch bestehen enge Verbindungen zwischen beide Institutionen. So sind etwa die Ermittlungen in Sudan und Libyen auf Initiative des UN-Sicherheitsrats – unter Duldung der USA – eingeleitet worden. Die Vereinten Nationen müssen ihren Teil dazu beitragen, dass internationale Strafjustiz nicht auf dem Altar der Machtpolitik geopfert wird.
Dr. Mayeul Hiéramente ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht in Hamburg sowie Alumnus der International Max Planck Research School on Retaliation, Mediation and Punishment.