Die Geschlechterdimension von Krieg und Frieden
Schon vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 waren Frauen und Kinder stark betroffen von dem Konflikt. UN Women ist daher bereits seit 2015 in der Ukraine präsent. Mehr als 1,5 Millionen Menschen – zwei Drittel davon Frauen und Kinder – wurden in den letzten Jahren innerhalb des Landes vertrieben und hatten keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung, Wohnraum und Beschäftigung. Obwohl Frauen die Maidan-Revolution im Jahr 2013 maßgeblich formten, dabei wichtige Führungsrollen inne hatten und damit auch mehr Teilhabe in Politik und dem ukrainischen Militär erreichen konnten, wurden sie vom Prozess des Minsker-Abkommens weitgehend ausgeschlossen. Denn durch das Fehlen eines offiziellen Mechanismus zur Beteiligung der Zivilgesellschaft, wurde auch die Teilnahme von Frauen verwehrt. Einige zivilgesellschaftliche Organisationen haben nach Wegen gesucht, um Zugang zum offiziellen Prozess zu erhalten – jedoch weitgehend erfolglos.
Nach dem Konflikt im Donbas im Jahr 2014 haben viele Frauen auf lokaler Ebene Friedensarbeit geleistet. So haben sich beispielsweise Frauenorganisationen aus russischen und ukrainischen Aktivistinnen zusammengetan und die lokale Women’s Initiative for Peace in Donbas(s) gegründet. Ihr Ziel: gemeinsam einen lokalen Friedensprozess zu initiieren und durch einen konstruktiven Konfliktaustrag miteinander ins Gespräch zu kommen. So sollten die vermeintlichen Gegner und Gegnerinnen entmystifiziert werden.
In Putins aktuellem Angriffskrieg gegen die Ukraine werden die unterschiedlichen Dimensionen von Gewalt auf die Geschlechter in vielerlei Sicht deutlich. Der Krieg verschärft die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen und es ist davon auszugehen, dass die Geschlechtergerechtigkeit um Jahrzehnte zurückgeworfen wird. Frauen, Kinder, LGBTIQ+ und andere marginalisierte Menschen haben derzeit an vielen Orten in der Ukraine keinen Zugang zur gesundheitlichen Grundversorgung. Auch sind Frauen und Kinder im Kriegsgebiet und auf der Flucht besonderen Gefahren ausgesetzt, wie sexualisierter und genderbasierter Gewalt. Daher ist es wichtig, dass sich die UN dafür einsetzt, dass Frauen in die Entscheidungsprozesse über humanitäre Hilfe eingebunden werden, um auf ihre spezifischen Bedürfnisse im Krieg und auf der Flucht zu reagieren.
Russlands Positionierung gegen Frauenrechte
Im Jahr 2000 wurde die UN-Resolution 1325 im Rahmen der Women, Peace, and Security (WPS) Agenda des UN-Sicherheitsrates verabschiedet. Sie ist die erste ihrer Art, die die unverhältnismäßigen Auswirkungen des Krieges auf Frauen und Mädchen anerkennt und ihren besonderen Schutz vor sexualisierter Gewalt in Kriegsgebieten fordert. Zudem betont die Resolution die entscheidende Rolle von Frauen beim Aufbau des Friedens und fordert die Berücksichtigung einer Geschlechterperspektive und gleichberechtigte Beteiligung von Frauen bei Friedensverhandlungen. Seit ihrer Verabschiedung wurden neun weitere UN-Resolutionen im Zusammenhang mit der WPS-Agenda angenommen.
Russland unter Putin hat seit der Verabschiedung der Resolution viele Schritte unternommen, um Frauenrechte auf UN-Ebene einzuschränken und wiederholt Widerstand gegen die WPS-Agenda geleistet. 2020 hat Russland mit einem Resolutionsentwurf im Sicherheitsrat den breiten Konsens der Agenda angetastet, indem es beispielsweise versuchte, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an allen Aspekten von Frieden und Sicherheit aufzuweichen. Darüber hinaus werden die Mitgliedstaaten an keiner Stelle des Resolutionsentwurfs aufgefordert, ihre grundlegenden Verpflichtungen zur Rechenschaftspflicht für geschlechtsspezifische Gewalt einzuhalten. Damit hat sich Russland als eine Macht positioniert, die Geschlechtergerechtigkeit als Menschenrecht in Frage stellt. Doch die Mehrheit der Mitglieder im Sicherheitsrat stellte sich gegen den russischen Resolutionsentwurf und positionierte sich damit klar für die vollständige Umsetzung der WPS-Agenda.
Feministische Außenpolitik als Schlüssel für menschliche Sicherheit
20 Jahre nachdem die Resolution 1325 verabschiedet wurde, betonte UN-Generalsekretär António Guterres in einer Rede zum Thema „Frauen und Macht“, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Gewalt gegen Frauen, ziviler Unterdrückung und Konflikten gibt. Guterres fügt hinzu, dass jedes Jahr Billionen von Dollar für Frieden und Sicherheit ausgegeben werden. Dabei sollten die Fragen beantwortet werden, für wessen Frieden und wessen Sicherheit diese Ressourcen genutzt werden.
Weltweit werden Machtstrukturen auch heute noch von Männern dominiert. Das Konzept der feministischen Außenpolitik möchte diese patriarchalen Strukturen abbauen. Es stellt die menschliche Sicherheit im Rahmen einer menschenrechtsbasierten Politik in den Mittelpunkt und erkennt Geschlechtergerechtigkeit als zentrale Voraussetzung für Frieden an. Dabei ist ihr Ansatz intersektional.
Deutliche wird der Ansatz der feministischen Außenpolitik in der Rede der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock auf der Notstandssondertagung der UN-Generalversammlung zur Ukraine: Sie beginnt mit der Geschichte von Mia, einem Mädchen, das im Krieg in einer Kiewer U-Bahn-Station entbunden werden musste, da ihre Mutter dort vor den russischen Angriffen Schutz suchte. Mit dieser Geschichte stellt Baerbock die menschliche Sicherheit und die Bedürfnisse von Frauen im Krieg ins Zentrum politischen Handelns.
Frieden nur mit Frauen
Würde die WPS-Agenda konsequent umgesetzt, dann müsste die feministische Außenpolitik als Richtlinie für eine Lösung des aktuellen Krieges in der Ukraine betrachtet werden. Oberste Priorität muss demnach die menschliche Sicherheit haben und damit der sofortige Waffenstillstand, der Abzug aller russischen Truppen aus der Ukraine und die humanitäre Hilfe der Zivilbevölkerung, so wie es die UN-Generalversammlung und der UN-Generalsekretär fordern. Sobald sich ein Fenster für Friedensverhandlungen öffnet, müssten Frauen gleichberechtigt an den Verhandlungstisch kommen. Denn bisher haben Frauen weltweit kaum Mitspracherecht in den Entscheidungen über Krieg und Frieden: So sind nur drei Prozent aller Mediatorinnen in Post-Kriegsgebieten Frauen, vier Prozent der Unterzeichnerinnen von Friedensabkommen und nur 13 Prozent aller Verhandlerinnen sind weiblich. Dabei zeigt die Realität, dass Friedensabkommen, an denen Frauen aktiv mitgearbeitet haben, länger eingehalten werden. Auch bedeutet eine vielfältige Repräsentation in den Verhandlungen mehr Sicherheit für alle. Versäumnisse in dem Prozess der Abkommen von Minsk dürfen nicht wiederholt werden, denn Frauen miteinzubeziehen ist elementar dafür, die drei Säulen eines anhaltenden Friedens aufzubauen: Wirtschaftliche Erholung und Wiederaufbau, sozialen Zusammenhalt und politische Legitimation.
Feministische Bewegungen, weltweit und auch in Russland, protestieren gegen Putins Angriffskrieg. In Putins Ansprachen und Handeln wird deutlich, dass er Frauenrechte auf internationaler Ebene, wie durch den Versuch des Verwässerns der WSP-Agenda, als auch auf nationaler Ebene aushöhlt, um seine patriarchalischen Ideologien mit Gewalt zu verbreiten. Dabei baut er seine Ideologie auf der Ungleichheit der Geschlechter und der staatlichen Unterdrückung und Verfolgung von Menschen auf, deren Lebensweisen nicht den patriarchalen Normen entsprechen und die andere Ansichten vertreten. Da Gewalt immer noch stark männlich konnotiert ist, sind feministische Lösungsansätze umso wichtiger. Denn wenn Männer sich diesem männlichen Gewaltzusammenhang wiedersetzten, wäre das ein bedeutender Schritt zur Entschärfung des Krieges.
Die verstärkte Repräsentanz von Frauen bei Friedensverhandlungen sind fundamentale Schritte. Es ist an der Zeit, ein Licht darauf zu werfen, dass Systeme der Gewalt immer miteinander verbunden sind. Frieden schaffen heißt Alternativen aufzeigen. Dabei sind das Durchbrechen patriarchaler Denkmuster und die Stärkung von Rechten, Repräsentation und Ressourcen von Frauen in Kriegs- und Friedenszeiten Voraussetzung für eine nachhaltige Konfliktlösung und Frieden.
Laura Reiner