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Die intelligente Stadt: Nachhaltig, inklusiv, demokratisch?

Rasant wachsende Städte, steigender Verkehr, Ressourcenknappheit, sich ausbreitende Slums: Ist die Smart City – die intelligente Stadt – die Antwort auf die Herausforderungen der Urbanisierung?

Ein Beispiel für ein intelligentess und innovative Mobilitätskonzepte: der Metrocable in Medellín, Kolumbien.
Der Metrocable in Medellín (Kolumbien), Beispiel für ein intelligentes und innovatives Mobilitätskonzepte: (Foto: Jonas Freist-Held)

Francesca Bria ist eine gefragte Frau. Hauptberuflich arbeitet sie als Beauftragte für digitale Technologien und Innovation der Stadt Barcelona und berät die Europäische Kommission zu Innovationspolitiken. In Barcelona experimentiert sie mit einem Mix aus digitalen und analogen Partizipationsplattformen und gibt Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, eigene Ideen zur Gestaltung des urbanen Zusammenlebens einzubringen. 70 Prozent der Agenda der Stadtregierung bestand in der vergangenen Legislaturperiode aus Vorschlägen der Bevölkerung.

Ein essentielles Element ihrer Smart City-Strategie ist die Demokratisierung der Daten. In der Stadt erhobene Daten und eingesetzte Technologien sollen zuallererst der Bevölkerung zugutekommen. Transparent, partizipativ, offen. Bürgerinnen und Bürger sollen entscheiden können, welche Daten sie mit welchen Behörden teilen möchten und welche lieber nicht. „Daten sind eine öffentliche Infrastruktur“, sagt sie. So sollen beispielsweise auch Unternehmen, die Daten in der Stadt erheben, vertraglich verpflichtet werden, diese auf einer öffentlichen Plattform der Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen

Doch nicht nur digitale Lösungen sind Teil der nachhaltigen Transformation Barcelonas. Ein neues Straßenkonzept, die sogenannten Superblocks, verbannen den Verkehr aus zahlreichen Nebenstraßen der Metropole. Das reduziert Abgase und Lärm, schafft neue öffentliche Räume und belebt ganze Nachbarschaften neu.

 

Das globale Potential der Städte

Heute leben über vier Milliarden Menschen in Städten – gut 55 Prozent der Weltbevölkerung. Laut den Vereinten Nationen könnten es bis 2050 knapp 70 Prozent sein. Vor allem Städte in Afrika und Asien wachsen rasant. Schon heute wird 80 Prozent der weltweiten Wirtschaftskraft in Städten generiert, knapp Zweidrittel der Energie verbraucht und mehr als 70 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen ausgestoßen – Tendenz steigend. Angesichts dieser Zahlen ist das Potential von Städten bei der Lösung globaler Herausforderungen enorm. Viele setzten dabei auf Smart City-Ansätze.

Eine intelligente Stadt entwickelt und implementiert innovative Lösungen. Die Themen sind so divers wie die Aufgaben von Städten: Es geht um den Umgang mit knappen Ressourcen, Daseinsvorsorge, nachhaltiges Wohnen, Klimawandel, die Mobilitäts- und Energiewende, für Beteiligung oder urbane Sicherheit. Häufig stehen technologische Innovationen im Zentrum. Im weiteren Sinne umfassen Smart City-Ansätze auch kreative und innovative Ansätze nicht digitaler Natur.

 

Wie Smart City-Konzepte das Leben verbessern: Beispiele aus Quito, Nairobi, Medellín

Nicht nur in Barcelona, überall auf der Welt experimentieren Städte, um das Leben nachhaltig und zum Wohle aller zu gestalten. So etwa auch Quito, Ecuador. Mehr als 91 Prozent der Frauen in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito haben nach eigener Aussage sexuelle Belästigung im öffentlichen Nahverkehr erlebt. Seit 2017 können sie nun über eine mobile Plattform sexuelle Übergriffe in Bussen oder der neuen Metro direkt an die Polizei melden. Bis 2018 gingen mehr als 1400 Nachrichten ein, in 43 Fällen wurde Anklage erhoben.

Über eine Million Menschen leben in Kibera, dem größten Slum der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Bis vor wenigen Jahren war die informelle Siedlung nicht mehr als ein leerer Fleck auf der Landkarte. Dank des Projekts Map Kibera können die Bewohnerinnen und Bewohner heute auf einer interaktiven, digitalen Karte Informationen zu Gesundheits- und Bildungsangeboten, Wasser- und Stromzugang oder aktuellen Entwicklungen in der Nachbarschaft eintragen und abrufen.

Lange Zeit war die kolumbianische Metropole Medellín eine der gefährlichsten Städte der Welt. Anfang der 2000er Jahre startete die Stadtverwaltung eine ambitionierte Strategie, um das Leben in Medellín inklusiver und nachhaltiger für alle Bewohner zu machen. Ein zentraler Bestandteil war die Anbindung abgelegener Armenviertel durch den Bau von Seilbahnen entlang der Berghänge. Damit wurden ganze Stadtviertel erstmals an die städtische Infrastruktur, neue Jobmöglichkeiten und das urbane Leben angebunden. Die Kriminalität ging zurück.

 

Smart City: Alles gut?

Die Vereinten Nationen betonen die Chancen von Smart Cities. Die Urbanisierung wird als Triebkraft für inklusives Wirtschaftswachstum, Umweltschutz und eine transformative, soziale, kulturelle und nachhaltige Entwicklung betont. Auch die Agenda 2030 hebt die Bedeutung nachhaltiger urbaner Entwicklungen weit über das Nachhaltigkeitsziel 11 zu nachhaltigen Städten und Siedlungen hervor. Um den Austausch über Smart-City Ansätze auf UN-Ebene zu fördern, wurde 2016 die Plattform „United for Smart Sustainable Cities“ (Vereint für intelligente und nachhaltige Städte) gegründet, der mehrere UN-Institutionen und mehr als 50 Städte beigetreten sind. Das transformative Potential nachhaltiger Stadtentwicklungspolitik ist enorm, die Ambitionen ebenso.

Doch es gibt Stimmen, die vor der Gefahr von unverhältnismäßigem Einsatz technologischer Möglichkeiten im urbanen Raum warnen. China, das mit seinem digitalen Sozialkredit-System alle Aktivitäten seiner Bürgerinnen und Bürger im urbanen Raum erfasst und ihr Sozialverhalten bewertet, ist das krasseste abschreckende Beispiel. Aber auch weniger eingreifende Maßnahmen wie der unverhältnismäßige Einsatz von Überwachungskameras oder Gesichtserkennungssoftwares kann die Freiheit der Menschen im urbanen Raum einschränken. Stadtforscher wie Richard Sennet betonen daher die Notwendigkeit, dass der Einsatz von Technologie informelle soziale Prozesse und die kreative Freiheit der Menschen im urbanen Raum nicht einschränken darf.

 

Die Smart City gibt es nicht

Es gibt nicht das eine Rezept für die Smart City. Die Ansätze variieren drastisch, je nach ideologischer Überzeugung oder der finanziellen, personellen und politischen Handlungsfähigkeit. Es gibt konkurrierende Systeme, wie etwa der staatszentrierte und überwachungsorientierte Ansatz Chinas, oder auf Datenschutz und individuelle Selbstbestimmung ausgerichtete Bestrebungen in Europa. Es gibt stadtweite Masterpläne wie in Barcelona oder Medellín, sowie einzelne, kreative bottom-up Initiativen wie Map Kibera in Nairobi. Doch eines ist unbestritten: Da viele der globalen Herausforderungen in Städten ihren Ursprung haben, gilt es auf lokaler Ebene anzupacken. Das kreative Potential von Städten ist enorm.

Jonas Freist-Held


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