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Die UN und der stabile Frieden – was hat es mit „Sustaining Peace“ auf sich?

Weltweit ist die Zahl an Konflikten im vergangenen Jahrzehnt deutlich angestiegen. Die Vereinten Nationen versuchen diesem Trend mit einem neuen Leitgedanken entgegenzuwirken. Konfliktprävention und die Förderung friedensstärkender Strukturen sollen Frieden langfristig erhalten.

Hochrangiges Treffen in der Generalversammlung zu Peacebuilding und Sustaining Peace (UN Photo/Evan Schneider)
Hochrangiges Treffen im April 2018 in der UN-Generalversammlung zu Peacebuilding und Sustaining Peace (UN Photo/Evan Schneider)

Im April 2016 verabschiedeten die Generalversammlung und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zwei Resolutionen, die gemeinsam den Start für die Umsetzung des Konzepts „Sustaining Peace“ markierten. In den beiden sogenannten Zwillingsresolutionen (A/RES/70/262 und S/RES/2282) fordern die Mitgliedsstaaten ein Umdenken in der UN-Friedensstrategie und richten ihren Fokus auf die langfristige Stabilisierung von Frieden, statt auf die kurzfristige Beilegung von Konflikten. „Sustaining Peace“ solle zu einem neuen Leitgedanken der UN werden, um der weltweit steigenden Zahl an Kriegen entgegenzusteuern und die Kosten für milliardenschwere, ineffektive Peacekeeping-Missionen zu reduzieren. 

Das Konzept stellt einen Prozess dar, der darauf abzielt, stabilen und langfristigen Frieden zu erhalten. Entgegen bisheriger Ansätze bei der Schaffung von Frieden bezieht sich „Sustaining Peace“ nicht nur auf die Konsolidierung von Frieden nach einem Konflikt, sondern unterstreicht die Förderung von friedensstärkenden Strukturen (Peacebuilding) zu jederzeit. Damit wird der Notwendigkeit Nachdruck verliehen, dass bestehender Frieden nicht als selbstverständlich gesehen werden soll, sondern kontinuierlich an der Beibehaltung und Verbesserung des aktuellen Friedensstatus gearbeitet werden muss. So stärkt „Sustaining Peace“ unter anderem die Idee der Konfliktprävention. Durch einen stärkeren Fokus auf die Vermeidung von Konflikten erhoffen sich die Vereinten Nationen eine Erfolgsformel zu finden, um längerfristig die Zahl von Kriegen zu reduzieren.
 

„Sustaining Peace“ und die Peacebuilding-Architektur

„Sustaining Peace“ wird häufig in einem Atemzug mit der Peacebuilding-Architektur der Vereinten Nationen genannt. Peacebuilding zielte ursprünglich darauf ab, Strukturen zu identifizieren und zu fördern, die dazu beitragen können, dass ein Konflikt nicht erneut ausbricht. UN-Generalsekretär Kofi Annan initiierte 2005 dazu drei neue Institutionen, deren Zusammenspiel in einer Art Dreiklang funktioniert: die Peacebuilding Commission (PBC, Kommission zur Friedenskonsolidierung), der Peacebuilding Fund (PBF) und das Peacebuilding Support Office (PBSO). Gemeinsam bilden diese Institutionen die UN-Peacebuilding-Architektur. Allerdings stellten spätere Evaluationen (2010, 2015) fest, dass aufgrund von Unterfinanzierung und seinem Post-Konflikt-Charakter dem Peacebuilding nur wenig Bedeutung beigemessen wurde. Dabei wurde auch angemerkt, dass die starke Fragmentierung des UN-Systems und die Abgrenzung von Zuständigkeitsbereichen im Peacebuilding die Schaffung von nachhaltigem Frieden hemmen.

„Sustaining Peace“ kann nun als ein umfassenderes Peacebuilding verstanden werden, bei dem friedensstärkende Maßnahmen explizit nicht nur nach der Beilegung von Konflikten, sondern auch vor deren Ausbruch ergriffen werden.
 

Wie soll „Sustaining Peace“ funktionieren?

Verschiedene Mechanismen sollen dazu führen, dass „Sustaining Peace“ in der Praxis funktionieren kann. Von zentraler Bedeutung ist die nationale Eigenverantwortung. Staaten und lokale Akteure müssen selbst die Initiative für friedensstärkende Maßnahmen ergreifen, um friedliche Gesellschaften zu etablieren. Es wird davon ausgegangen, dass die Menschen vor Ort besser erkennen können, welchen Herausforderungen sie gegenüberstehen und über welche Möglichkeiten sie verfügen, um Frieden zu stabilisieren. Damit sich Staaten von selbst und rechtzeitig mit dieser Thematik befassen, ist es wichtig, dass Konfliktprävention und proaktives Peacebuilding positiv wahrgenommen werden. Auf dieser Grundlage ist es dann möglich, durch externe Expertise und mit Hilfe von Erfahrungen aus anderen Staaten und Regionen unterstützend tätig zu werden. 

Wichtig dabei ist, dass Ansätze für nachhaltigen Frieden umfassend sind und wesentliche Faktoren beinhalten. Diese Faktoren sind neben der Abwesenheit von Gewalt, die Stärkung der Rechte und Partizipationsmöglichkeiten von Frauen und Mädchen bei der Gestaltung von Gesellschaften, staatliche Strukturen mit einer vertrauenswürdigen Justiz und einer funktionierenden Verwaltung, die Einhaltung und Stärkung von Menschenrechten sowie der Schutz von Menschen, die sich für Menschrechte einsetzen. Außerdem soll nachhaltige Entwicklung intensiver gefördert werden. Die Überschneidungen zwischen „Sustaining Peace“ und den nachhaltigen Entwicklungszielen der UN (SDGs) wurden bewusst gewählt. UN-Generalsekretär António Guterres wird nicht müde, das Zusammenspiel von Frieden und Entwicklung zu betonen. Gemäß dem Motto „Es gibt keine nachhaltige Entwicklung ohne Frieden und keinen Frieden ohne nachhaltige Entwicklung“ versucht er dieses Zusammenspiel durch Reformen in den Bereichen Verwaltung, Entwicklung sowie Frieden und Sicherheit der Vereinten Nationen zu stärken.
 

Stärkung der Rolle von Frauen und stabile Institutionen als Fundament einer belastbaren Gesellschaft

Stressresistente und belastbare Gesellschaften werden als einer der Schlüssel bei der Etablierung von nachhaltigem Frieden gesehen. Wenn eine Gesellschaft fragil ist, dann bedeutet dies, dass jene Institutionen, die Politik, Wirtschaft, Sicherheit und Justiz steuern, keine Widerstandsfähigkeit besitzen. Ziel einer jeden Gesellschaft muss daher sein, ihre Institutionen zu befähigen, auch unter hoher Belastung zu funktionieren. Ein wesentlicher Indikator für die Fragilität bzw. Stabilität einer Gesellschaft ist darüber hinaus die Rolle von Frauen im sozialen Zusammenleben. „Sustaining Peace“ erkennt den Zusammenhang zwischen der umfassenden Beteiligung von Frauen an der Konfliktverhütung und -lösung und deren Wirksamkeit und langfristiger Nachhaltigkeit an. Der beste Indikator für die Fähigkeit eines Landes, den Frieden zu erhalten, ist der Umgang mit Frauen und Mädchen. Je größer die geschlechtsspezifische Ungleichheit zwischen der Behandlung von Männern und Frauen in einer Gesellschaft ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass ein Land in einen Konflikt gerät.
 

Herausforderungen für „Sustaining Peace“

Obwohl das Konzept von den Mitgliedstaaten selbst entwickelt und unterstützt wurde, bestehen für das ambitionierte Vorhaben zahlreiche Herausforderungen. Während sich einige Staaten vermehrt vom Multilateralismus abwenden, befürchten andere eine zu starke Vermengung von Entwicklungs- mit Sicherheitspolitik. Länder des Globalen Südens sorgen sich um eine verstärkte Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten durch externe Akteure, während im Globalen Norden an der Wirksamkeit des Konzepts gezweifelt wird und höhere Kosten befürchtet werden.

Für den UN-Generalsekretär und die Befürworter des Konzepts besteht nun die Notwendigkeit das positive Moment rund um „Sustaining Peace“ zu nutzen, um im Dialog mit besorgten Staaten an einer Weiterentwicklung und der Umsetzbarkeit des Konzepts zu arbeiten. Denn „Sustaining Peace“ kann nur funktionieren, wenn die Staaten selbst die Initiative ergreifen.

Tom Lehmann


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