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Die ungesehene Seite der Pandemie: Verschärfung des Menschenhandels weltweit

Die Bekämpfung des globalen Menschenhandels bleibt ein schwieriges Unterfangen für die internationale Gemeinschaft, wie der neuste Bericht des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) zeigt: Zu wenige Fälle werden entdeckt und Betroffene nicht ausreichend geschützt.

Der ständige Vertreter der Dominikanischen Republik, José Alfonso Blanco Conde, bei der Vorstellung des Berichts zu Menschenhandel, zeigt sein T-Shirt, auf dem "End Human Traficking" steht".
Der ständige Vertreter der Dominikanischen Republik bei den UN, José Alfonso Blanco Conde, bei der Vorstellung des Berichts zu Menschenhandel. (UN Photo/Rick Bajornas)

Von einem globalen „empfindlichen Kipppunkt“ spricht der neuste Weltbericht über den Menschenhandel von UNODC, der sich auf weltweite Daten aus dem Jahr 2020 stützt. Das auffälligste Ergebnis ist, dass die Zahl der Betroffenen von Menschenhandel im Pandemie-Jahr 2020 das erste Mal seit Beginn der systematischen Datenerhebung vor 20 Jahren gesunken ist - um ganze 27 Prozent. Dies ist keine positive Entwicklung, wie die Autoren feststellen, sondern vor allem auf die weiter sinkende Sichtbarkeit der Betroffenen von Menschenhandel in Zeiten von Quarantäne und Ausgangsbeschränkungen sowie Mängel der Strafverfolgung und Aufklärung zurückzuführen.

Menschenhandel, Menschenschmuggel und Verschwindenlassen

Menschenhandel wird mitunter mit anderen Phänomenen vermischt. Zur Einordnung: Menschenhandel bezeichnet allgemein die profitorientierte Ausbeutung von Menschen, die mit schweren Menschenrechtsverletzungen einhergeht. Dabei werden Menschen durch Gewalt, Betrug oder Täuschung ihrer Freiheit beraubt und ausgebeutet. Die Täterinnen und Täter sind oft Individuen oder Netzwerke der organisierten Kriminalität. Der Übergang von Menschenhandel zu anderen Formen der Ausbeutung ist fließend.

Menschenhandel ist abzugrenzen von Verschwindenlassen, also der Verschleppung von Menschen und deren Inhaftierung, Folter oder Ermordung. Dies geschieht häufig unter der Anweisung oder der Duldung staatlicher Stellen, die unliebsame Personen wie Journalistinnen und Journalisten oder Dissidentinnen und Dissidenten zum Schweigen bringen wollen.

Bei der Schleusung von Menschen über nationalstaatliche Grenzen wiederum, häufig als Menschenschmuggel bezeichnet, nehmen Personen solche Dienste häufig bewusst und mit Zustimmung in Anspruch , wenn reguläre Flucht- oder Migrationswege nicht existieren. Profitinteressen spielen bei Schmugglerinnen und Schmugglern eine ebenso wichtige Rolle, die Aktivität beschränkt sich aber auf den Übertritt von Grenzen und umfasst nicht die systematische Ausbeutung im Sinne des Menschenhandels.

Menschenhandel erstreckt sich vornehmlich auf Zwangsarbeit, sexuelle Ausbeutung, erzwungene Kriminalität, aber auch erzwungene Rekrutierung für bewaffnete Milizen oder Mischformen, in denen zwei oder mehrere Formen gemeinsam auftreten.

Globaler Trend: Sinkende Aufklärung und höhere Dunkelziffer

Als besonders alarmierend beschreibt der Bericht die Tatsache, dass im Untersuchungszeitraum deutlich weniger Betroffene von Menschenhandel durch staatliche Stellen gemeldet wurden. Da die Zahl der identifizierten Betroffenen und Täterinnen und Täter in allen vorhergegangenen Jahren stets angestiegen war, deutet der Rückgang also eher daraufhin, dass staatliche Institutionen zu häufig dabei versagen, Betroffene von Menschenhandel aufzuspüren und zu schützen. Besonders ausgeprägt war der Rückgang dabei in Ländern geringen und mittleren Einkommens, in denen Ressourcen der Strafverfolgung begrenzter sind oder aufgrund der Pandemie anderweitig eingesetzt wurden.

Auch die Zahl der Verurteilung von Tätern sinkt seit 2017 stetig, vor allem in Ländern Subsahara-Afrikas und Südasiens, wo Betroffene zudem häufig außerhalb ihres Herkunftslands identifiziert werden. Insbesondere scheinen sich sexuelle Ausbeutung von Frauen und Mädchen, aber auch Jungen und Männern zu einem kleineren, aber wachsenden Teil, weiter ins Unsichtbare verschoben zu haben.

Bestätigt wird die unzulängliche Aufklärung durch Behörden auch durch ein anderes Ergebnis: Die meisten Betroffenen von Menschenhandel retten sich selbst vor Gewalt und Ausbeutung, welche wiederum Frauen und Mädchen in weit höherem Ausmaß betrifft als Männer. Kinder sind allgemein doppelt so häufig schwerer Gewalt ausgesetzt als Erwachsene. Der Bericht gibt weiterhin zu bedenken, dass die sinkende Zahl an identifizierten Betroffenen auch damit zusammenhängt, dass viele sich gar nicht als Betroffene sehen, also ein fehlendes Verständnis ihrer Rechte haben, oder keine Alternative zu dem Ausbeutungsverhältnis sehen, in dem sie sich befinden.

Perspektivlosigkeit, Vertreibung und kriegerische Konflikte als Ursache

Zu den Ursachen erklärt der Bericht ein allgemeines Muster: Je verletzlicher und prekärer die Situation von Menschen, umso wahrscheinlicher ist es, dass sie Betroffene von Menschenhandel werden. Globale Krisen, wie die COVID-19-Pandemie oder lokalere Konflikte, terroristische Gewalt, aber auch klimabedingte Vertreibungen durch Dürren, Stürme oder Überschwemmungen in Verbindung mit Armut oder fehlenden Sprachkenntnissen, werden von Menschenhändlern und -händlerinnen ausgenutzt, um Profit aus der Ausweglosigkeit von Menschen zu schlagen. Je größer und professionalisierter die Täterinnen und Täter agieren, umso heftiger und länger andauernd die Gewalt, der Menschen zum Opfer fallen.

Als Beispiel nennt der Bericht zahlreiche bewaffnete Konflikte in Ländern wie Mali oder Afghanistan, aber auch Betroffene der in der Ukraine seit 2014 andauernden bewaffneten Auseinandersetzungen, die zu einer Vervierfachung der aufgespürten ukrainischen Betroffenen von Menschenhandel in Osteuropa geführt hat. Der russische Angriffskrieg verschärft die Situation und führt zu einem ‚Boom‘ im Menschenhandel, insbesondere der sexuellen Ausbeutung von Frauen und Mädchen.

Global gesehen häufen sich gewaltsame und oft lang andauernde Konflikte oder extreme Wetterereignisse im Mittleren Osten sowie dem afrikanischen Kontinent. 2021 wurden 23,7 Millionen Menschen weltweit durch wetterbedingte Naturkatastrophen vertrieben. Laut eines Berichts der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) trifft der Klimawandel die Länder Afrikas im Durchschnitt am härtesten und ist damit zu einer wesentlichen Ursache von Vertreibung geworden, die Menschen Schutz in anderen Ländern suchen lässt. Flucht, Menschenschmuggel und Menschenhandel stehen in einem engen und komplexen Verhältnis: Einerseits sind Menschen auf der Flucht angesichts geschlossener Grenzen oder dem Fehlen legaler Fluchtwege auf gewinnorientierte Schmugglernetzwerke angewiesen. Andererseits schlägt sich ihre Vulnerabilität oft in der erhöhten Gefahr nieder, Menschenhändlern zum Opfer zu fallen. Die Situation in Libyen ist dafür ein trauriges Beispiel und Schauplatz von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, in Form von Zwangsarbeit und sexueller Ausbeutung, wie die Unabhängige Ermittlungsmission für Libyen im März 2023 feststellte. Viele Betroffene von Menschenhandel versuchen dieser Gewalt über das zentrale Mittelmeer zu entkommen.

Aufforderung an die Staatengemeinschaft für stärkeres Engagement

Die von den Autorinnen und Autoren vorgeschlagenen Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz Betroffener sind vielfältig. Weniger als jeder dritte Fall wird durch proaktive polizeiliche Maßnahmen aufgeklärt. Das zeigt, dass weltweit zu wenig Ressourcen von Strafbehörden in die Aufdeckung und Verfolgung von Menschenhandel gesteckt werden.

Der Bericht macht aber auch deutlich, dass es der prekäre oder irreguläre Status von Menschen ist, der sie überhaupt in die Hände von Menschenhändlerinnen und -händler treibt. Betroffene nehmen ihr Ausbeutungsverhältnis aufgrund dieser prekären Umstände oft nicht als solche wahr oder denken, dass sie diesen aus Mangel an Alternativen nicht entfliehen zu können. Prävention ist also keine rein polizeiliche Aufgabe, sondern umfasst Bereiche wie Grenz- und Asylpolitik, humanitäre Nothilfe als auch Aufklärung und Opferhilfe.

Wasil Schauseil


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