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Die Zukunft der Künstlichen Intelligenz – welche Rolle können die Vereinten Nationen spielen?

Die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz ist rasant. Geprägt wird sie bisher vor allem von Unternehmen aus den USA und China. Doch verfügen auch die UN über ein Pfund, mit dem sie wuchern können – Expertise und Daten. Wie können sie ihren Einfluss geltend machen und welche Widerstände gibt es?

Der schillernd-diffuse Begriff der „Künstlichen Intelligenz“ (KI) markiert die nächste Stufe der Digitalisierung: Er verbindet verschiedene Varianten maschinellen Lernens und birgt das Versprechen, enorme Datenmengen auf eine dem Menschen ebenbürtige, wenn nicht gar überlegene Weise auszuwerten. Unternehmen und Staaten versuchen, sich diese Möglichkeiten von KI zunutze zu machen. Die Folge ist eine globale Auseinandersetzung darüber, wie und zu welchen Zwecken KI in Zukunft genutzt werden soll (vgl. Dickow/Jacob 2018). Die Vereinten Nationen haben die Chance, diese Debatte in jenen Feldern zu prägen, in denen sie über besondere Expertise – und über besonders gute Daten! – verfügen.

Man kann den Institutionen der Vereinten Nation mitnichten vorhalten, die Bedeutung der Entwicklungen im Feld der künstlichen Intelligenz übersehen zu haben. Bereits zum dritten Mal organisiert die International Telecommunication Union (ITU) im Mai dieses Jahres die „AI for Good“-Konferenz der Vereinten Nationen. Schon seit 2016 diskutiert eine Group of Governmental Experts (GGE) im Rahmen der Vereinten Nationen Ansätze zur internationalen Regulierung von autonomen Waffensystemen. Die International Labor Organization (ILO) nimmt die Bedeutung von KI für die Zukunft der Arbeit in den Blick und auch der Sonderberichterstatter über die Förderung und den Schutz des Rechts auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung  hat einen Bericht zum Thema vorgelegt.

 

Gute Vorarbeit – begrenzter Einfluss

Zugleich jedoch ist der Einfluss der Vereinten Nationen beim Thema KI aus strukturellen Gründen begrenzt. Erstens wird die Entwicklung von KI heute ganz wesentlich von Unternehmen vorangetrieben, die dem direkten Zugriff der Institutionen des VN-Systems entzogen sind. Auch die Entwicklung von technischen Standards erfolgt im Wesentlichen durch die Unternehmen. Der Wunsch einer Reihe von Staaten, dass dies auch in Zukunft so bleibe, erklärt, warum eine Resolution zur Stärkung der ITU bei der Standardsetzung in diesem Bereich bei der plenipotentiary conference 2018 in Dubai nicht den notwendigen Konsens fand. Zweitens besteht zwischen den Staaten auch in jenen Bereichen, in denen sie stärkeren Einfluss auf die Entwicklung haben, kaum Einigkeit darüber, wie die Zukunft von KI aussehen soll. Zugespitzt zeigt sich dies in den GGE-Debatten um die Regulierung autonomer Waffensysteme (vgl. Dahlmann/Dickow 2019). Drittens schließlich ist die rasante Entwicklung von KI begleitet von einer enormen Ausdifferenzierung. Die Nutzung von KI im Militär, im Transport, im Gesundheitswesen oder auf den Finanzmärkten greift zwar auf ähnliche Grundtechniken zurück, unterscheidet sich aber doch so sehr, dass eine allgemeine Debatte um die politische Gestaltung von KI mittlerweile zu kurz greift.

Gerade der letzte Punkt markiert aber auch eine Chance. So verfügen die Institutionen der Vereinten Nationen in einigen Bereichen über besondere Expertise, die es ihnen erlaubt, die spezifische Entwicklung von KI zu prägen. Die heute dominanten Methoden von KI sind im Kern datengetrieben: Sie können nur so gut sein wie die Daten, auf deren Auswertung ihre Analysen basieren. Hierin liegt die Chance für die Vereinten Nationen. In einigen Bereichen ist ihre Expertise unverzichtbar, um die Datenauswahl anzuleiten; zudem haben die Institutionen der Vereinten Nationen hier oftmals Zugriff auf einzigartige Datensammlungen.

 

Einzigartige Expertise und riesige Datenmengen

Im Prinzip gilt dies für alle klassischen Themenfelder der Vereinten Nationen, von der Friedenssicherung über Flüchtlingspolitik und Menschenrechtsschutz bis hin zu Entwicklungs- und Gesundheitspolitik. In diesen Bereichen verfügen die Vereinten Nationen zum einen um Protokolle diplomatischer Verhandlungen aus mittlerweile mehr als sieben Jahrzehnten. Zudem verfügen sie über größtenteils nicht-öffentliche Daten aus der Arbeit jeweiligen Sonderorganisationen und Agenturen, wie z. B. UNHCR oder UNDP (vgl hierzu Angenendt/Kipp/Koch 2016).

Dies erlaubt es den Vereinten Nationen, KI-Systeme für die eigene Arbeit zu nutzen. Sie könnten etwa dafür eingesetzt werden, die Vielzahl von ausgetauschten Dokumenten im Verlauf großer Konferenzen nahezu in Echtzeit auszuwerten oder einen besseren Überblick über die Entwicklung komplexer Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit zu gewinnen. Auch könnten KI-Systeme genutzt werden, um die möglichen Folgewirkungen von einzelnen Maßnahmen über verschiedene Politikfelder hinweg zu simulieren und so besser informierte Entscheidungen treffen.

 

„leading by example“ – die Chance, Standards zu entwickeln

Vor allem aber bietet sich für die Vereinten Nationen hier eine Chance, durch die eigene Arbeit politische Standards dafür zu entwickeln, wie KI in diesen politisch besonders sensiblen Bereichen genutzt werden sollte. Exemplarisch könnten die Vereinten Nationen vorführen, welche Maßstäbe für die Erhebung von Daten, deren Speicherung, die Auswertung und ggf. Anonymisierung gelten sollen. Zudem könnten sie ein Vorbild dafür liefern, für welche Zwecke KI gewinnbringend eingesetzt werden kann – und für welche Zwecke KI-Systeme nicht genutzt werden sollten.

Um diese Chance nutzen zu können, bedarf es allerdings erheblicher Investitionen in Personal und den Aufbau einer eigenständigen technischen Infrastruktur. Für viele Unternehmen wäre es sicherlich lukrativ, den Vereinten Nationen in den genannten Bereichen entsprechende Angebote zu machen. Und tatsächlich werden die Vereinten Nationen nicht umhin kommen, gerade bei der KI-Grundlagentechnik auf die Produkte der führenden Unternehmen zurückzugreifen. Um jedoch diesen Unternehmen auf Augenhöhe begegnen und eigene politische Vorgaben umsetzen zu können, benötigen die Vereinten Nationen geeignetes Personal und eine eigene technische Infrastruktur für die sichere Datenerfassung, -sammlung und -auswertung.

Ob die Vereinten Nationen hierfür die Zustimmung der Mitgliedsstaaten erhalten, ist ungewiss. Wie beschrieben ist zwischen den Staaten zutiefst umstritten, ob und wie KI international reguliert werden sollte. Für die Institutionen der Vereinten Nationen macht dies eine diplomatische Gratwanderung erforderlich: Um einen Beitrag zur globalen Debatte um KI zu leisten, müssen sie ihr eigenes Wirken in diesem Bereich selbstbewusst als „best practice“ bewerben; um die dafür notwendige Unterstützung der Mitgliedsstaaten zu gewinnen, müssen sie jedoch zugleich den Eindruck vermeiden, diesen politisch-regulatorische Vorgaben machen zu wollen.

 

Dr. Daniel Voelsen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Globale Fragen bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.


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