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Digitale Bedrohungen – eine Aufgabe für den UN-Sicherheitsrat?

Die Digitalisierung ist für die UN neben dem Klimawandel die zentrale politische Herausforderung im 21. Jahrhundert. Cyberangriffe, Drohnen oder die Beeinflussung von Wahlen zeigen, dass von ihr ganz unterschiedliche Bedrohungen ausgehen können. Ist der Sicherheitsrat bereit für die Herausforderung?

Der Sondergesandte für Jemen informiert den Sicherheitsrat zur Lage dort (UN Photo/Loey Felipe).

Seit einigen Jahren werden in den UN die rechtlichen und politischen Voraussetzungen zum verantwortungsvollen Umgang mit den Folgen der Digitalisierung intensiv diskutiert. So tagten seit 2009 sechs sog. Groups of Governmental Experts (GEE) zu sicherheitspolitischen Entwicklungen in den Informations- und Kommunikationstechnologien und ein prominent besetztes High-Level-Panel des UN-Generalsekretärs diskutiert derzeit die Chancen und Herausforderungen digitaler Technologien für die UN. Der Sicherheitsrat ist in diesen Diskussionen bislang noch nicht sehr präsent. Dabei könnten seine weitreichenden Kompetenzen hier von großer Bedeutung sein. Voraussetzung wäre jedoch, dass der Sicherheitsrat sich auf die Besonderheiten digitaler Bedrohungen einlässt.

 

Die Wahrung des Weltfriedens als Aufgabe des Sicherheitsrats

Der Sicherheitsrat trägt laut UN-Charta die Hauptverantwortung für die Wahrung von internationalem Frieden und Sicherheit. Es war die dritte Group of Governmental Experts, die 2012-2013 zu dem Schluss kam, dass die Prinzipien und Regeln der UN-Charta, z. B. bezüglich der Souveränität ihrer Mitgliedsstaaten, auch im digitalen Raum gelten. Der Sicherheitsrat könnte hieraus eine Zuständigkeit für Phänomene wie etwa die Verwundbarkeit von kritischen Infrastrukturen oder den Einsatz künstlicher Intelligenz ableiten. Doch einflussreiche UN-Mitgliedstaaten, wie die USA und Russland, haben derzeit noch sehr unterschiedliche Vorstellungen, welche Rolle die UN bei der Regulierung der Digitalisierung überhaupt spielen soll.

Eine derartige Situation ist für den Rat nicht neu, denn er hat seine Zuständigkeiten über die Jahrzehnte unterschiedlich interpretieren müssen. Dies ist nicht unproblematisch, weil es die Gefahr einer Überschreitung seiner Kompetenzen birgt und Politikfelder, wie etwa Wirtschaft oder Umwelt zu Sicherheitsproblemen macht. Gleichzeitig kann der Sicherheitsrat sich damit an gewandelte Rahmenbedingungen anpassen und handlungsfähig bleiben.

Aber ist das im Falle der Digitalisierung sinnvoll? Das kommt ganz auf die Wahrnehmung der Bedrohungen an. Denn die Digitalisierung lässt vertraute Grenzen verschwinden: etwa zwischen staatlichen und privaten Autoritätsbereichen bei der Regulierung des Internets, zwischen Tätern und Opfern bei der Verbreitung von Schadsoftware, zwischen privaten und militärischen Nutzungen von Drohnen, oder den Nutzen und Risiken beim Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Analyse großer Datenmengen. All dies muss sich nicht zwangsläufig, kann sich aber zu einer Bedrohung des Friedens entwickeln („dual use“).

 

Wie kann der Sicherheitsrat auf digitale Bedrohungen angemessen reagieren?

Hier eine Balance zu finden und nur die Bedrohungen zu adressieren, die auch wirklich in den Aufgabenbereich des Sicherheitsrats fallen, bleibt eine Herausforderung. Umso wichtiger ist die Frage, was angemessene Reaktionen des Sicherheitsrats wären.

Erstens handelt es sich bei digitalen Bedrohungen um ein neuartiges Phänomen, das der weiteren Regulierung bedarf. Daher sollte sich der Rat aktiv an der Ausgestaltung der Regeln und Prinzipien zum Umgang mit digitalen Bedrohungen beteiligen, seine eigenen Zuständigkeiten klären und damit den laufenden Prozess der Herausbildung neuer internationaler Normen unterstützen.

Der Rat könnte etwa überlegen, digitale Risiken als eigenständige Bedrohungen des Friedens zu interpretieren. Dabei gilt es zu verhindern, dass er seinen Kompetenzbereich überschreitet und so Aufgabenfelder anderer UN-Institutionen vereinnahmt. Aber der Rat hat durchaus bewiesen, dass er bei größeren Entwicklungen, etwa zur Gleichstellung von Frauen, dem Schutz von Zivilisten oder aktuell dem Klimawandel, seinen eigenen Verantwortungsbereich identifizieren und so zur Weiterentwicklung internationaler Normen beitragen kann.

Zweitens wird die Digitalisierung insbesondere durch die großen Technologiekonzerne mit ihrem gebündelten Know-how geprägt. Sie besser in die Entscheidungsprozesse des Rats einzubeziehen, ist eine wichtige Voraussetzung, um angemessen auf digitale Bedrohungen reagieren zu können. Gleichzeitig muss er sich mit der Frage beschäftigen, wie etwa kriminelle Einzelpersonen oder informelle Netzwerke, die gezielt Sicherheitsbedrohungen erzeugen, zu behandeln sind. Es gilt aber auch Risiken zu adressieren, die aus der Bündelung großer Informationsmassen bei den wenigen großen Technologiekonzernen erwachsen können.

Der Umgang mit privaten Akteuren ist nicht alleine eine Schwachstelle des Sicherheitsrats. Auch wenn andere UN-Organe deutlich offener für die Beteiligung nichtstaatlicher Akteure sind, bleiben die Vereinten Nationen im Wesentlichen ein zwischenstaatliches Gremium. Der Sicherheitsrat könnte hier jedoch durch mehr Offenheit und in der Zusammenarbeit mit NGOs und Unternehmen Veränderungen wagen.

Drittens können sich digitale Bedrohungen in großer Geschwindigkeit ausbreiten. Der Sicherheitsrat muss also schnell und engagiert handeln. Beschleunigung, grenzüberschreitende Vernetzung oder automatisierte bzw. selbstständige Verbreitung, etwa von Schadsoftware, lassen sich durch langwierige Entscheidungsprozesse nur schwer wirksam begegnen. Stattdessen erfordert es Entscheidungsfähigkeit und eine bessere und engere Abstimmung mit anderen Akteuren, z. B. regionalen Sicherheitsorganisationen oder nationalen Sicherheitsbehörden, aber auch mit privaten Unternehmen oder anderen UN-Institutionen. Dies erfordert, dass die Ratsmitglieder ihrer Hauptverantwortung für den Weltfrieden gerecht werden. In Zeiten einer verstärkten Blockade des Rats und zunehmender Differenzen zwischen den Mitgliedsstaaten erscheint dies wenig realistisch. Es bleibt aber eine zentrale Voraussetzung für wirkungsvolle Entscheidungsprozesse im Sicherheitsrat.

Viertens bietet die Digitalisierung auch Chancen, die Arbeit des Sicherheitsrats effektiver und effizienter zu machen. So verwendet der Rat seit einigen Jahren Videokonferenzen, um unmittelbare Informationen aus den Feldmissionen oder aus Krisensituationen  zu erhalten. Für den Bereich „Frauen, Frieden, Sicherheit“ gibt es sogar eine App mit der mobil auf aktuelle Implementations- und Verhandlungsstände zurückgegriffen werden kann. Die Arbeit des Sicherheitsrats könnte erleichtert werden, wenn die beteiligten Akteure durch digitale Technologien besser in die Verhandlungsprozesse einbezogen werden könnten. Dies böte auch die Möglichkeit, an die Expertise und Kompetenzen in der UN im Umgang mit großen Datenmengen, die andernfalls nur sehr schwer zugänglich sind, anzuschließen. Daniel Voerster verweist hierauf in seinem Beitrag auf diesem Debatten-Blog.

 

Es kommt auf den Willen der Mitglieder des Sicherheitsrats an

Derzeit wird diskutiert, inwieweit UN-Friedensmissionen durch technologischen Wandel in ihrer Durchführung und Wirksamkeit verbessert werden können. Neue Informations- und Kommunikationstechnologien können die Arbeit von Blauhelmmissionen sicherer, schneller und wirksamer machen. Zumindest sofern diese über die entsprechende Ausrüstung und das Training verfügen und die Bedingungen im Einsatzgebiet ihre Gebrauch überhaupt zulassen. Die Wirksamkeit der Digitalisierung ist für die Vereinten Nationen also auch eine Frage der Ressourcenausstattung.

Die Digitalisierung beeinflusst nicht nur unseren Alltag, sondern auch die Arbeit der Vereinten Nationen. Dabei können ganz unterschiedliche Bedrohungen für Sicherheit und Frieden entstehen. Der Sicherheitsrat hat immer wieder bewiesen, dass er zu schnellem entschlossenen Handeln fähig sein kann. Viel zu oft aber sind seine Entscheidungsprozesse durch nationale Interessen, Blockadehaltungen und verspätete bzw. ausbleibende Reaktionen geprägt. Letztlich liegt es auch bei der Digitalisierung am Willen der Mitglieder – vor allem den fünf ständigen –, in welcher Form der Sicherheitsrat als Hüter des Weltfriedens aktiv werden soll.

 

Dr. Holger Niemann ist Politikwissenschaftler am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH).


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