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Dieser oder keiner – der UN-Menschenrechtsrat

Es gibt manches zu kritisieren am Menschenrechtsrat. Dennoch hat er in den 17 Jahren seines Bestehens gemessen an seinen Möglichkeiten einige Erfolge vorzuweisen. Ohne ihn wären viele Menschenrechtsnormen längst zur leeren Hülle geworden.

Václav Bálek, der derzeitige Präsident des Menschenrechtsrats, eröffnet die 55. Sitzung des Rats im September 2023.
Václav Bálek, der derzeitige Präsident des Menschenrechtsrats, eröffnet die 54. Sitzung des Rats im September 2023. (UN Photo/Jean Marc Ferré)

Wenn Staaten wie China, Kuba oder Burundi in den UN-Menschenrechtsrat gewählt werden, löste dies meist Diskussionen in den Medien aus, die sich sonst wenig für dieses Gremium interessieren. Im Oktober 2023 blieb die Empörung wohl nur deshalb aus, weil sich die öffentliche Aufmerksamkeit ganz auf Russlands gescheiterte Kandidatur richtete. Wie kann es sein, dass Staaten mit einer solch desolaten Menschenrechtspraxis in diesem Gremium Platz finden? Deren Regierungen kann wohl kaum die Absicht unterstellt werden, für den Schutz der Menschenrechte aller und überall einzutreten. Wäre es nicht wünschenswert, dass die „Guten“ im Menschenrechtsrat über die „Bösen“ außerhalb richten würden?

So berechtigt diese Fragen auch scheinen mögen, so schwierig dürfte es werden, alle 47 Sitze des Rates mit Staaten zu besetzen, die eine blütenweiße Menschenrechtsweste aufweisen können. Vor allem aber  ist der Menschenrechtsrat ein originär politisches Gremium, dessen Mitglieder nach regionaler Sitzverteilung gewählt werden. Die Vertreter im Rat sind keine (unabhängigen) Expertinnen und Experten, sondern von ihren Regierungen entsandtes diplomatisches Personal. Die Hürden für die Mitgliedschaft wurden bei der Gründung des Menschenrechtsrates 2006 formal angehoben. Die Mitglieder sollen höchsten Menschenrechtsansprüchen gerecht werden und mit dem Rat uneingeschränkt zusammenarbeiten. Die Generalversammlung soll bei der Wahl der Mitglieder deren Beitrag zum Menschenrechtsschutz sowie freiwillige Zusagen und Verpflichtungen berücksichtigen. Diese „weichen“ Kriterien scheitern in der Praxis größtenteils daran, dass nur genauso viele Kandidaten innerhalb der Regionalgruppen zur Wahl stehen, wie freie Plätze existieren. Auch westliche Staaten verweigern sich oft der Konkurrenz und handeln untereinander hinter verschlossenen Türen sichere Kandidaturen aus. Die aktuelle Gegenkandidatur zu Russland ist eher die Ausnahme als die Regel. Vorbehalte können nur über eine niedrige Zahl von Ja-Stimmen bei der Wahl dokumentiert werden. Für China waren 139 von 193 Stimmen im Oktober 2020 das bisher schlechteste Wahlergebnis, drei Jahre später waren 154 Stimmen immer noch die geringsten innerhalb der Regionalgruppe.

Das Dilemma des UN-Menschenrechtsschutzes

In der Zusammensetzung des Menschenrechtsrates wie auch in seiner Arbeitsweise kommt das Dilemma des UN-Menschenrechtsschutzes zum Ausdruck: die Mitgliedsstaaten müssen einerseits kooperieren und andererseits zwangsläufig nationale Interessen verfolgen. Für Resolutionen des Menschenrechtsrates sind politische Mehrheiten erforderlich. Sie werden überwiegend einstimmig angenommen. Nur so besteht eine Chance, dass die Beschlüsse und Empfehlungen tatsächlich umgesetzt werden und das auf Kooperation ausgerichtete Instrumentarium des Gremiums Wirkung zeigt. Ohne den Menschenrechtsrat und die durch ihn abgelöste Menschenrechtskommission gäbe es weder die internationalen Menschenrechtübereinkommen noch die Expertinnen und Experten, die in Ausschüssen über die Einhaltung der Verträge wachen. Es gäbe auch nicht die thematischen und länderbezogenen Berichterstatterinnen und Berichterstatter, die ebenfalls unabhängig sind und Menschenrechtsprobleme gegen viele Widerstände aufzeigen. Und noch mehr Staaten als ohnehin kämen mit schweren Menschenrechtsverletzungen ohne Kritik durch die UN davon.

Umstrittene Länderresolutionen

Die Befassung mit der Situation einzelner Länder war ähnlich wie die Mitgliedschaft bei der Gründung des Menschenrechtsrates ein umkämpftes Thema, denn allzu viele Staaten hatten keinerlei Interesse daran, sich öffentlich in diesem Gremium verantworten zu müssen. Die Kritik an der selektiven Befassung mit manchen Staaten, während andere sich durch Machtpolitik und Diplomatie der Kritik und Rechenschaftslegung dauerhaft entziehen konnten, war durchaus berechtigt. Die Forderung nach Abschaffung von Länderresolutionen und Sonderberichterstattern für einzelne Länder hätte dem Rat jedoch die spitzen Zähne gezogen und konnte sich nicht durchsetzen. Nach wir vor ist die Befassung des Menschenrechtsrates mit einzelnen Ländern nicht ausgewogen, doch deshalb nicht weniger notwendig. Wo, wenn nicht im Menschenrechtsrat sollten schwere Menschenrechtsverletzungen in Burundi, Venezuela, Belarus, Myanmar und anderswo benannt und verurteilt werden?

Dabei geht es nicht immer um pure Kritik. Häufig werden mit Resolutionen und in Verhandlungen mit dem betreffenden Staat auch Unterstützung und Kapazitätsaufbau durch das Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) vereinbart, was mittelfristig eher Verbesserungen bewirken kann als reine Konfrontation. Die letzten Jahre haben zudem gezeigt, dass manche Staaten unter Druck gerieten, die lange als tabu galten: Schwere Menschenrechtsverletzungen in den Philippinen wurden 2019 in einer Resolution verurteilt, eine signifikante Anzahl von Staaten kritisierten in gemeinsamen Stellungnahmen ab 2019 die Verfolgung von Menschenrechtsverteidigern und Menschenrechtsverteidigerinnen, Folter und willkürliche Verhaftungen in Saudi-Arabien oder 2021 die brutale Repression von Zivilgesellschaft in Ägypten. Selbst China scheint nicht mehr unantastbar. Nach Veröffentlichung des OHCHR-Berichts zur Menschenrechtssituation in Xinjiang scheiterte im Oktober 2022 zwar der Versuch, per Resolution die Befassung des Menschenrechtsrates mit dem Bericht durchzusetzen, doch mit nur einer fehlenden Stimme war der Ausgang denkbar knapp.

Alle ohne Ausnahme – die UPR

Eine wesentliche Neuerung, um den Vorwürfen der Selektivität entgegenzuwirken, war 2007 die Einführung der Universellen Periodischen Überprüfung (UPR), der sich ausnahmslos alle Länder im Hinblick auf ihre Menschenrechtssituation alle viereinhalb Jahre unterziehen müssen. Die Basis dafür sind ein eigener Staatenbericht sowie zwei Berichte des OHCHR, die jeweils relevante Berichte der UN-Menschenrechtsinstitutionen sowie Eingaben von Zivilgesellschaft und Nationalen Menschenrechtsinstitutionen zusammenfassen. Im Dialog der Staaten untereinander mit dem zu überprüfenden werden Einschätzungen beraten und Empfehlungen ausgesprochen, die vom betreffenden Staat akzeptiert oder abgelehnt werden können. Auch wenn ein erheblicher Anteil an Empfehlungen – positiv wie negativ - politisch motiviert sind, gibt es dennoch genügend Beispiele, dass der UPR tatsächlich zu Verbesserungen der Menschenrechtslage vor Ort geführt hat. In Österreich zum Beispiel wurde nach den Empfehlungen 2015 eine Reform der Gefängnisbedingungen auf den Weg gebracht. In Südkorea wurde 2013 die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt. Das jordanische Parlament beschloss 2021 ein Gesetz gegen Menschenhandel.

Zivilgesellschaft im Fokus

Dies ist nicht zuletzt auf die Zivilgesellschaft zurückzuführen. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Menschenrechtsaktivistinnen und Menschenrechtsaktivisten haben sich im Menschenrechtsrat Beteiligungsmöglichkeiten erkämpft, die für das UN-System einzigartig sind. Mit offiziellem Konsultativstatus dürfen sie formal Stellungnahmen einreichen, haben Rederecht und Zugang zu allen Räumen, in denen Rat und Arbeitsgruppen tagen. Eingaben zum UPR sind dokumentierter Bestandteil des Verfahrens. Beachtenswert sind zudem Kampagnen von NGOs, welche die Menschenrechtsbilanz von Kandidatenstaaten den Kriterien für die Ratsmitgliedschaft gegenüberstellen und alle Staaten dazu auffordern, diese Kriterien bei der Wahl ernst zu nehmen. Dies hat schon mehrfach den ­öffentlichen Rechtsfertigungsdruck erhöht und dazu beigetragen, Staaten mit einer kritischen Menschenrechtsbilanz von Kandidaturen abzubringen (zum Beispiel Iran) oder durchfallen zu lassen (zum Beispiel Russland, Saudi-Arabien). All diese Aktivitäten sind vielen Regierungen ein Dorn im Auge. So wird inzwischen regelmäßig im Menschenrechtsrat berichtet über Einschüchterungen, Repressionen und schwere Übergriffe gegen Personen und Organisationen, die mit den UN zusammenarbeiten. Ihre Mitwirkung auch weiterhin zu sichern ist eine der herausforderndsten Aufgaben des Menschenrechtsrates.

Silke Voß-Kyeck, Berichterstatterin für das Forum Menschenrechte


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