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Eine Geschichte des Wartens und der Unsicherheit

Kenias Regierung droht mit der Schließung der zwei größten Geflüchtetenlager des Landes, Dadaab und Kakuma. Neben der vermeintlichen Bedrohung durch islamistischen Terror spielen dabei auch geopolitische Kalküle eine Rolle.

Luftansicht des Geflüchtetenlagers Dadaab, Kenia. (UN Photo/Evan Schneider)

Am 24. März kündigte die kenianische Regierung die Schließung von Dadaab und Kakuma an, zwei der größten vom UN-Geflüchtetenhilfswerk (UNHCR) betreuten Geflüchtetenlager der Welt. Die kenianische Regierung nannte vermeintliche Sicherheitsbedenken als Grund und stellte dem UNHCR ein Ultimatum: innerhalb von zwei Wochen soll ein Zeitplan für die Rückführung der 218.000 registrierten Geflüchteten in Dadaab und 196.000 in Kakuma vorgestellt werden. Das oberste kenianische Gericht setzte die angedrohte Schließung des Lagers zunächst für 30 Tage aus. Der UNHCR reagierte unter anderem mit Vorschlägen zu „verbesserten freiwilligen Rückführungen“ sowie der Bereitstellung alternativer Aufenthaltsmöglichkeiten und bat die Regierung um mehr Zeit. Für die Menschen in Dadaab und Kakuma bedeutet die erneute Drohung erhöhte Unsicherheit und Furcht davor, gewaltsam abgeschoben zu werden.

Aus der Notwendigkeit geboren: Dadaab und Kakuma

Die Geschichte Dadaabs, etwas 100 Kilometer von der somalischen Grenze entfernt, beginnt 1991, als der Sturz des Diktators Barre einen Bürgerkrieg und große Fluchtbewegungen über die kenianische Grenze auslöste. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen im Land finden bist heute kein Ende. 2011 kamen heftige Dürren und Hungernöten in Somalia hinzu, die Dadaab zeitweise mit knapp einer halben Millionen Menschen zur größten Siedlung Geflüchteter weltweit werden ließ. Kakuma („Nirgendwo“ auf Swahili) liegt im Norden des Landes in einem Dreieck zwischen Sudan, Äthiopien und Uganda. Gegründet wurde es mit der Ankunft der „Lost Boys of Sudan“, etwa 20.000 Kinder und Jugendlichen, die vor dem Bürgerkrieg aus der Region des heutigen Südsudan flohen. 2019 lebten in Kakuma Menschen aus 22 Nationen zusammen, vorwiegend aus Südsudan und Somalia, aber auch aus  DR Kongo, Burundi oder Ruanda.

Dadaab und Kakuma erstrecken sich mittlerweile über jeweils 30 Quadratkilometer. Aus der Notwendigkeit geboren ähneln die ursprünglichen Zeltlager mittlerweile natürlich gewachsenen Städten und haben sich zu kommerziellen Knotenpunkten mit umliegenden Gemeinden entwickelt.  So beschreibt der somalische Journalist Moulid Hujale, der selbst in Dadaab lebte, das Lager als drittgrößte und pulsierende Stadt Kenias mit Krankenhäusern, Kinos, Privatschulen, Cafés, Restaurants und Taxiunternehmen. Lokale politische Institutionen werden demokratisch gewählt und strukturieren den Alltag.

In dritter Generation leben in Dadaab und Kakuma zehntausende Kinder von Eltern, die selbst schon dort geboren wurden. So leben gerade junge Menschen (58 Prozent in Dadaab sind minderjährig) zwischen Herkunftsländern, die viele noch nie gesehen haben und einem Aufnahmeland, deren Sprache, Geschichte und Kultur sie in der Schule lernen, in dem sie sich aber wegen der Lagerpolitik Kenias nicht frei bewegen dürfen.

Permanentes Exil und ein Leben des Wartens

So können Dadaab und Kakuma auch als Freiluftgefängnis oder Orte der Isolation, Abhängigkeit und des permanenten Wartens beschrieben werden. Das Klima ist harsch und Wasser knapp. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln und medizinischen Grundleistungen ist schlecht. Menschen fühlen sich isoliert, da die Regierung ihre Bewegungsfreiheit einschränkt und ihre Integration in die kenianische Gesellschaft als langfristige Option ausschließt. Seit 2011 wurde die Versorgungslage in Kakuma und Daadab schlechter. Nach Entführungen von humanitären Hilfskräften, Anschlägen islamischer Milizen sowie den bewaffneten Konflikten in Südsudan und Syrien zogen Hilfsorganisationen und Geberländer ihre Unterstützung ab. Essensrationen wurden sukzessive gekürzt und Umsiedlungsplätze reduziert.

Die stark umkämpften Umsiedlungsprozesse dauern nicht selten um die 10 Jahre, ein Zeitraum der Vielen den Mut und die Hoffnung auf Veränderung nimmt. Zudem wurden2016 Vorfälle von Korruption und Ausbeutung bei der Vergabe von Umsiedlungsplätzen durch UNHCR-Mitarbeiter aufgedeckt, für die sich der UNHCR heftiger Kritik ausgesetzt sah. Die Aussichtslosigkeit von Umsiedlungen oder sicherer Rückkehr führte viele Menschen dazu, sich auf die riskante Route über Libyen nach Europa aufzumachen. Dazu kommt die Unsicherheit, die sich durch die Gewalt der somalischen al-Shabab-Milizen auch in Kenia verbreitet hat.

Dadaab im Spannungsfeld von islamistischem Terror und Anti-Terror-Kampf

Die Beziehungen zwischen den Bewohnern Kakumas und Dadaab - insbesondere den somalischen Geflüchteten - und der Regierung, ist seit langem angespannt. Die Regierung beschuldigt die aus Somalia operierenden, islamistischen al-Shabab-Milizen, Dadaab zu infiltrieren. Nach einer Intervention kenianischer Truppen im Süden Somalias 2011 gegen die Miliz reagierte diese mit Vergeltungsmaßnahmen in Kenia, unter anderem den brutalen Anschlägen auf das Westgate-Einkaufszentrum2013 und die Garissa Universität 2015. Die Regierung kündigte 2016 die Räumung von Dadaab mit der Begründung an, dass Anschläge von dort geplant würden. Bei Anti-Terror-Maßnahmen von Sicherheitskräften in Dadaab kam es zu willkürlicher Gewalt und somalische Geflüchtete im ganzen Land wurden unter Generalverdacht gestellt. Auf der anderen Seite wurden Gemeindevorstehende in Dadaab von al-Shabab ermodet und bedroht. Die Menschen in Daadab sehen sich also gefangen zwischen der Miliz und dem misstrauischen Anti-Terror-Kurs der kenianischen Sicherheitskräfte.

Die Schließung des Lagers wurde 2017 vom höchsten kenianischen Gericht verboten, welches die Entscheidung als diskriminierenden Akt der kollektiven Bestrafung verurteilte. 2019 wurde eine erneute Schließung von Dadaab angekündigt. Wieder blieb es nur bei der Ankündigung. So besteht seit 2016 andauernde Unsicherheit über die Zukunft des Lagers.

Vorgeschobene Gründe und freiwillige Rückkehr?

Es bestehen Zweifel daran, dass die nun erneut angedrohte Schließung allein mit der vermeintlichen Terrorgefahr aus Dadaab und Kakuma erklärt werden kann. Andere politische Interessen und Verwerfungen mit der somalischen Regierung bilden den Hintergrund, vor dem die Geflüchteten in Dadaab und Kakuma als Druckmittel dienen. Bedingt durch koloniale Grenzziehungen bestehen seit der Unabhängigkeit beider Länder territoriale Konflikte zwischen somalischen und kenianischen Regierungen. Kenias vermeintliche Unterstützung des semi-autonomen, somalischen Jubaland führt zu heftigen Spannungen, ebenso der Streit um Seegrenzen und Rohstoffe im indischen Ozean. Das Ultimatum für die Schließung Dadaabs und Kakumas geschah an dem Tag, als die Anhörungen des internationalen Schiedsgerichtshofes zu dieser Frage beendet wurden. Die häufig angekündigten Schließungen können auch als Signal gegenüber der Europäischen Union gesehen werden. Seit 2015 werden durch den EU-Treuhandfond für Afrika viele Milliarden Euro für die Eindämmung von Migration auf dem afrikanischen Kontinent ausgegeben, wobei Kenia trotz der großen Zahlen Geflüchteter keine strategische Priorität und verhältnismäßig wenig Geld erhalten hat.

Aktuell ist die Lage angespannt und schwer abzusehen. Selbst wenn es aufgrund rechtlicher und logistischer Hürden nicht zu einer schnellen Evakuierung Dadaabs oder Kakumas kommen würde, entfaltet sich ein enormer Druck und akute Unsicherheit auf die Menschen. Angesichts der Perspektivlosigkeit und dem politischen Druck muss die „Freiwilligkeit“ der zehntausenden Rückführungen in den vergangenen Jahren mit Skepsis betrachtet werden.  Da Viele ein anderes „Zuhause“ als Dadaab und Kakuma nie gesehen haben, wäre es keine Rückkehr, sondern ein radikaler Neubeginn an einem unsicheren Ort. Rückkehrende der vergangenen Jahre landeten letztlich oft in somalischen Lagern für intern Vertriebene, in denen die Sicherheits- und Versorgungslage noch schlechter ist als in Dadaab oder Kakuma. Wenn nun verstärkt „freiwillige Rückführungen“ diskutiert werden, gilt dies umso mehr.

Wasil Schauseil


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