Eine Zwischenbilanz: 50 Jahre UN-Entwicklungsprogramm UNDP
Bei der Verwirklichung dieser Vision kommt dem UN-Entwicklungsprogramm (United Nations Development Programme - UNDP) eine zentrale Rolle zu. Seit der Gründung des Programms im Jahre 1966, also vor 50 Jahren, bildet die Koordination des gesamten UN-Entwicklungsengagements einen Arbeitsschwerpunkt. In den zurückliegenden Jahrzehnten haben eine ganze Reihe von Akteuren des UN-Systems ihre Arbeit in Entwicklungsländern stark ausgeweitet, so zum Beispiel die Weltgesundheitsorganisation WHO und die Internationale Arbeitsorganisation ILO. Eine große Zahl weiterer UN-Einrichtungen ist hinzugekommen. Deren Koordination ist deshalb sowohl auf globaler als auch auf nationaler Ebene ebenso unverzichtbar wie schwierig.
Daneben bietet UNDP den Entwicklungsländern auf vielen Gebieten Beratung, Aus- und Fortbildung sowie Unterstützung bei zahlreichen Projekten und Programmen an. Auch bei diesen Vorhaben besteht neben der Kooperation mit Partnern vor Ort die Notwendigkeit einer intensiven Abstimmung mit anderen UN-Akteuren im Entwicklungsbereich sowie der Weltbank.
Viel Beachtung findet seit 1990 jedes Jahr der „Human Development Report“ (Bericht über die menschliche Entwicklung), in dem UNDP jeweils ein zentrales Entwicklungsthema darstellt und analysiert, um Perspektiven für eine nachhaltige Entwicklung zur Diskussion zu stellen. Im zweiten Teil des Berichts wird mit dem „Index der menschlichen Entwicklung“ ein Überblick gegeben, welche Erfolge die einzelnen Industrie- und Entwicklungsländer auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung erzielt haben. Die deutsche Fassung des Berichts wird jedes Jahr von der „Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen“ veröffentlicht.
Strategischer Plan angesichts veränderter globaler Verhältnisse
Die Rahmenbedingungen für das UN-Entwicklungsengagement haben sich seit der UNDP-Gründung grundlegend verändert. Zu erwähnen sind vor allem das größere ökonomische und politische Gewicht von Schwellenländern wie Brasilien und China, die wachsende soziale Kluft innerhalb vieler Länder, die großen Flucht- und Migrationsbewegungen, die wachsende Bedeutung globaler Probleme wie des Klimawandels, die größere Sensibilität für ökologische Fragen sowie Genderthemen und die Erkenntnis, dass Entwicklung mehr erfordert als viele erfolgreiche Projekte und ein höheres Wirtschaftswachstum.
Der „Strategische Plan 2014-2017" des UN-Entwicklungsprogramms soll in dieser Situation eine Orientierung auf dem Weg zur Verwirklichung der nachhaltigen Entwicklungsziele geben. Ziel ist es, zugleich wirtschaftliche Entwicklung, ökologische Nachhaltigkeit und sozialen Ausgleich zu erreichen. Im Fokus des UNDP-Engagements stehen Nachhaltigkeit, demokratische Regierungsführung und höhere Widerstandsfähigkeit gegenüber Klimaveränderungen und Katastrophen.
In der UNDP-Arbeit wird im Rahmen des „Strategischen Plans“ großes Gewicht auf eine höhere Effizienz der eigenen Organisation gelegt. Verbunden damit ist, dass mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Regionalzentren und Länderbüros arbeiten und weniger in der Zentrale in New York. Ebenso sollen Rechenschaftslegung und Transparenz verbessert werden.
Nachhaltige Entwicklung als Zentrum des Engagements
Das UN-Entwicklungsprogramm unterstützt zahlreiche Länder bei der Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen, die im September 2015 von der UN-Generalversammlung verabschiedet wurden. UNDP hatte mit dem Internetportal „MY World“ sowie zahlreichen Seminaren und Veranstaltungen ein Forum dafür geschaffen, dass mehr als sieben Millionen Menschen ihre Vorstellungen in die Formulierung der nachhaltigen Entwicklungsziele einbringen konnten. Nach der Verabschiedung der Ziele hat UNDP mit der Internetplattform „Digital Good“ die Möglichkeit eröffnet, sich über die nachhaltigen Entwicklungsziele zu informieren und zu deren Verwirklichung beizutragen.
Ein wichtiges Instrument in der UNDP-Arbeit ist die Beratung und Unterstützung von Süd-Süd-Zusammenarbeit und trilateralen Formen der Kooperation. Die wachsende Zahl solcher Kooperationsformen ermöglicht es, Erfahrungen unter den vielen beteiligten Akteuren auszutauschen.
UNDP verwaltet außerdem den „UN Capital Development Fund“ (UN-Kapitalentwicklungsfonds), der geschaffen wurde, um Entwicklungsländern Kapital und Beratung für ein Wachstum ihrer Volkswirtschaften zur Verfügung zu stellen. Kredite und Zuschüsse werden sowohl an staatliche Stellen als auch an Privatunternehmen vergeben.
UNDP betreut auch das Programm „UN Volunteers“ (UN-Freiwillige), das seinen Sitz in Bonn hat. Mehr als 6.000 Freiwillige aus 160 Ländern engagieren sich im Rahmen von Friedens- und Entwicklungsprogrammen in 130 Ländern.
Die Förderung von Demokratie und von Frauenprogrammen
Seit den 1980er Jahren gehört die Unterstützung von Demokratisierungsprozessen zu den Schwerpunkten der UNDP-Arbeit. Beginnend mit Argentinien sind viele Staaten dabei beraten worden, demokratische Strukturen aufzubauen und Korruption zu bekämpfen. Damit verbunden ist die Förderung des gesellschaftlichen Dialogs unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft. Gegenwärtig unterstützt UNDP u. a. die Demokratisierungs- und Wahlprozesse in der Zentralafrikanischen Republik, im Südsudan und in Afghanistan.
1986 entstand die Abteilung „Frauen in der Entwicklung“ mit dem Ziel, das UNDP-Engagement für gleiche Rechte und Entwicklungsmöglichkeiten von Frauen und Männern zu bündeln und zu verstärken. Bei der Verwirklichung dieser Ziele bestehen enge Arbeitsbeziehungen zu UN Women. Gemeinsam werden Gelder für Frauenprojekte in aller Welt vergeben. Mindestens 15 Prozent der Mittel, die UNDP für nachhaltige Entwicklung und Armutsbekämpfung einsetzt, fließen in Programme zur Frauenstärkung („empowerment“) und zur Förderung gleicher Möglichkeiten für Frauen und Männer.
Umwelt- und Klimaschutz mit vielfältigen Instrumenten
Seit 1991 verwalten UNDP und Weltbank gemeinsam die „Globale Umweltfazilität“ (Global Environmental Facility – GEF), das bedeutendste internationale Finanzierungsinstrument für den Umweltschutz. Es werden vor allem Umweltvorhaben in Entwicklungsländern gefördert, aber auch osteuropäische Länder unterstützt.
Gegenwärtig wird eine enge Zusammenarbeit mit dem neu gegründeten „Grünen Klimafonds“ (Green Climate Fund – GCF) aufgebaut. UNDP berät außerdem zahlreiche Entwicklungsländer dabei, nationale Klimaschutzprogramme zu entwickeln und festzulegen, welche Klimaziele sie in den kommenden Jahren erreichen wollen. Auch werden die Regierungen dabei unterstützt, Pläne aufzustellen und umzusetzen, um rascher vor Katastrophen warnen zu können, wirkungsvoller auf sie zu reagieren und durch Anpassungsmaßnahmen besser mit zukünftigen Problemen fertig zu werden.
Programmschwerpunkte angesichts von Kriegen und Konflikten
Die rasch wachsende Zahl von Flüchtlingen besonders im Nahen Osten stellt auch für das UN-Entwicklungsprogramm eine große Herausforderung dar. Am 26. Januar 2016 erklärte Helen Clark bei einer Sitzung des UNDP-Exekutivrates: „Es besteht die dringende Notwendigkeit, sich auf die grundlegenden Ursachen des gestiegenen Niveaus von Migration und Vertreibung zu konzentrieren, darunter dem Fortbestehen von Armut und den Mangel an Entwicklungsmöglichkeiten, und ebenso die Flucht vor Konflikten, gewalttätigem Extremismus und Gesetzlosigkeit.“
UNDP sieht die Notwendigkeit, bei der Reaktion auf diese Krise humanitäre und Entwicklungsbemühungen besser zu integrieren und die Länder stärker zu unterstützen, die eine große Zahl von Flüchtlingen aufgenommen haben.
Im „Strategischen Plan“ wird betont, dass ein wichtiger Schritt nach dem Ende von Kriegen und Katastrophen darin besteht, die lokale Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, damit Arbeitsplätze und Einkommen entstehen. Bei solchen Programmen arbeitet UNDP eng mit anderen UN-Akteuren zusammen, die sich um humanitäre Hilfe und Wirtschaftsförderung bemühen.
Seit vielen Jahren ist das UN-Entwicklungsprogramm in den besetzten palästinensischen Gebieten tätig. Hier ist die Wiederaufbauarbeit besonders schwierig, weil immer neue Gewalt das bereits Erreichte wieder vernichtet. Dies gilt besonders für den Gazastreifen. Nach dem Camp David-Abkommen initiierte UNDP 1978 das „Programme of Assistance of the Palestinenian People“, das Unterstützungsprogramm für das palästinensische Volk. Es werden u. a. Schulen und Kulturzentren errichtet, Krankenhäuser erweitert sowie Fischmärkte und Hühnerfarmen aufgebaut.
UNDP als koordinierende Einrichtung im UN-System
Angesichts der zahlreichen UN-Organisationen, -Programme und -Einrichtungen, die sich mit Entwicklungsthemen befassen, besteht ein ständig steigender Abstimmungsbedarf. Ein zentrales Koordinationsinstrument ist die „United Nations Development Group“, in der 31 UN-Akteure unter Federführung von UNDP zusammenarbeiten. Seit 2015 bildet die Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele einen Schwerpunkt dieser Zusammenarbeit.
2007 wurde die Initiative „Delivering as One“ gestartet, um die UN-Arbeit kohärenter und kostengünstiger zu gestalten und stärker an den Entwicklungszielen auszurichten. In manchen Entwicklungsländern gibt es 10 und mehr Vertretungen von UN-Enwicklungseinrichtungen. Die jeweiligen UNDP-Länderbüros sollen nun die Arbeit vor Ort besser aufeinander abstimmen.
Die Finanzierung wird schwieriger
UNDP hat ein Jahresbudget von mehr als fünf Milliarden Dollar und ist damit die finanzstärkste UN-Entwicklungseinrichtung. Ein Fünftel aller Finanzmittel, die die Vereinten Nationen für Entwicklungsaufgaben erhalten, kommt UNDP zugute. Das UN-Entwicklungsprogramm konkurriert häufig mit anderen UN-Programmen um Finanzmittel. Auch werden immer mehr dieser Gelder zweckgebunden bereitgestellt, also für ein bestimmtes Projekt oder Programm. Andere Mittel dürfen nur für ein bestimmtes Arbeitsfeld oder Land verwendet werden.
Die nicht zweckgebundenen Mittel für das UNDP-Kernbudget sind allein von 2013 bis 2014 um mehr als 10 % gesunken und machen nur noch etwa 17 % der Gesamteinnahmen aus. 59 % der Mittel stehen spezifisch für einzelne Projekte und Programme zur Verfügung. Damit bestimmen die Geldgeber immer stärker, welche Vorhaben finanziert werden können. Helen Clark äußerte kürzlich: „Der fortgesetzte Abwärtstrend bei den Kernbudgetmitteln bereitet uns Sorge.“
Bemerkenswert ist, dass die USA, die sehr zögerlich zum UN-Budget beitragen, mit fast 500 Millionen Dollar (2014) der bedeutendste Finanzpartner von UNDP sind. Auch dieses Land gibt allerdings den größten Teil der Gelder zweckgebunden. Deutschland stellt jährlich mehr als 150 Millionen Dollar für UNDP zur Verfügung, die EU knapp 400 Millionen Dollar.
Die große Reform lässt auf sich warten
Das UN-Entwicklungsprogramm genießt ein großes Vertrauen bei vielen Geld gebenden und Projektmittel empfangenden Ländern. Durch die Präsenz in fast allen Entwicklungsländern und die Arbeit in vielen Entwicklungssektoren verfügt UNDP über einen enorm großen Erfahrungsschatz, der neuen Vorhaben und der Vernetzung von Initiativen zugutekommt.
UNDP ist wie erwähnt Teil eines sehr komplexen Geflechts von UN-Entwicklungsakteuren. Der weitgehendste Vorschlag für ein kohärentes UN-Entwicklungsengagement ist die Gründung einer UN-Entwicklungsorganisation. Angesichts massiver institutioneller Eigeninteressen sowie des Interesses vieler Länder am Fortbestehen einzelner Organisationen oder Programme ist es aber unwahrscheinlich, dass UNDP in absehbarer Zeit zu einer solchen umfassenden Entwicklungsorganisation weiterentwickelt werden kann.
Daher bleibt für die nächsten Jahre realistischerweise für UNDP nur die Aufgabe, die Koordination und Kohärenz des UN-Entwicklungsengagements deutlich zu verbessern und außerdem die Zusammenarbeit mit anderen entwicklungspolitischen Akteuren von Regierungen über finanzstarke Stiftungen bis zu zivilgesellschaftlichen Organisationen zu optimieren.
Diese Aufgabe wird nicht leichter dadurch, dass UN-Mitgliedsstaaten und Fachleute zunehmend darauf verweisen, dass das Entwicklungs-, das humanitäre und das Friedensengagement der Vereinten Nationen besser koordiniert werden müssen. Auch gibt es Überschneidungen von Ökologie- und Entwicklungsengagement.
Hinzu kommt: Die Spannungen zwischen Entwicklungs- und Schwellenländern auf der einen und Industrieländern auf der anderen Seite, die sich zum Beispiel bei den letzten UN-Klimakonferenzen zeigten, wirken sich auch auf das UN-Entwicklungsprogramm aus. So hat Indien den Vorwurf erhoben, dass UNDP zu wenig auf die Anliegen der Entwicklungsländer eingeht. Prakash Gupta, der indische Vertreter bei den Vereinten Nationen, behauptete Anfang September 2015 gegenüber der „Times of India“, es gäbe eine „absichtliche Vernachlässigung“ der Auffassungen der Entwicklungsländer durch das Management des UN-Entwicklungsprogramms: „Wir hoffen, dass UNDP die notwendigen Schritte ergreifen wird, damit so rasch wie möglich die Wahrnehmung korrigiert wird, gegen die Interessen der Entwicklungsländer eingestellt zu sein.“
Diese zugespitzte Kritik wird von vielen Entwicklungsländern nicht geteilt, aber die Kritik am großen Einfluss der geldgebenden Länder und an einem zu großen Gewicht von Führungskräften aus Industrieländern im UNDP-Management sind nicht zu überhören. Deshalb besteht die Notwendigkeit, die bisherigen Stärken und Schwächen des UN-Entwicklungsprogramms auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung erneut zu reflektieren.
Ein guter Ausgangspunkt dafür kann ein Ministertreffen werden, zu dem das UN-Entwicklungsprogramm am 24. Februar 2016 anlässlich seines 50-jährigen Bestehens nach New York einlädt. Im Mittelpunkt der Beratungen wird die Frage stehen, wie die nachhaltigen Entwicklungsziele in entwicklungspolitische Programme umgesetzt werden können und welchen Beitrag UNDP dazu leisten kann.
Frank Kürschner-Pelkmann