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Debatte: Universalität im UN-Entwicklungssystem: Eine vergessene Aufgabe für wirksamen Multilateralismus

Wenn die Vereinten Nationen ihre universelle Entwicklungsagenda wirksamer umsetzen wollen, müssen sie auch ihre operativen Funktionen entsprechend umgestalten und in Richtung reiche Länder ausbauen. Ein Debattenbeitrag.

Ein Blick auf den Bildschirm im Saal der Generalversammlung, der eine bunte Zeichnung zum Begriff des Multilateralismus und einen Mann darunter, der Gebärden benutzt, zeigt, während der Eröffnung des zweiten 'Action Day' des Zukunftsgipfels
Ein Blick auf den Bildschirm im Saal der Generalversammlung während der Eröffnung des zweiten 'Action Day' des Zukunftsgipfels. (UN Photo/Loey Felipe)

Die Universalität der UN verbürgt Legitimität sowie die Fähigkeit, Mittelpunkt für die Lösung globaler Probleme zu sein. Die Menschenrechtsorgane, der Sicherheitsrat, die Sonderorganisationen – sie sind in ihren normativen und operativen Aufgaben universell angelegt. Dagegen sind die operativen UN-Aktivitäten zu nachhaltiger Entwicklung entlang einer überkommenen Nord-Süd-Zweiteilung organisiert, in der die armen Staaten die Probleme haben, die reichen Länder die Lösungen. 

Dabei wurde schon vor beinahe einem Jahrzehnt in der Agenda 2030 das Prinzip der Universalität beschlossen, wonach die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) „für alle Staaten“ der Welt gelten, unabhängig von ihrer Zuordnung als „entwickelte“ oder „Entwicklungsländer“. Mit dem Hochrangigen Politischen Forum (High-level Political Forum on Sustainable Development - HLPF) wurde zwar ein Ort geschaffen, in dem alle Mitgliedsstaaten über ihre nationale Umsetzung berichten, aber es bleibt zahnlos. Es verfügt über keine operativen Instrumente und fußt auf der Annahme, dass die reichen Länder ihre Nachhaltigkeitsaufgaben selbst in den Griff bekommen – eine Annahme, die sich zunehmend als falsch erweist. 

Eine neue Problem-Definition erfordert neue Antworten

Die klassische Entwicklungshilfe wurde im nationalen Rahmen mit dem Ziel gedacht, in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu den reichen Ländern aufzuschließen. Heute kommen neue Herausforderungen hinzu. Mit dem wachsenden Druck auf planetare Grenzen, den Wechselwirkungen über Grenzen hinweg und den entsprechend weitergehenden Anforderungen der SDGs kann Entwicklung nicht mehr als eine Frage von „hier“ und „dort“, sondern muss global betrachtet werden, mit Veränderung auch in reichen Ländern. In der letzten Dekade wurden entsprechende Konzepte entwickelt, die einerseits auf die Verschränkung von nationalen und globalen Herausforderungen fokussieren, anderseits auf grenzüberschreitende „Spillover“-Effekte. Globale nachhaltige Entwicklung ist damit ohne grundlegende Veränderungen auch in den reichen Ländern nicht vorstellbar. Und es kann auch nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die ärmeren Länder zur Entwicklung der reichen Länder nichts zu sagen hätten oder die reichen Länder von den ärmeren nichts lernen könnten.

Kein wirksamer Multilateralismus ohne Mitbestimmung auf Augenhöhe

Während die „Entwicklungsländer“ zu Recht auf Ressourcentransfers bestehen, hat ihre damit verbundene unterlegene Position in der Global Governance zu wachsender und zuletzt immer stärker artikulierter Unzufriedenheit geführt. De facto setzen die reichen Länder mit dem Schwung ihrer finanziellen Beiträge die Schwerpunkte für die Arbeit der UN in den „Entwicklungsländern“, eine umgekehrte Einflussnahme im Rahmen zirkularer Kooperation ist nicht möglich. Diese Art von Exklusion schürt Ressentiments und untergräbt die Legitimität der UN und damit ihre Fähigkeit, globale Herausforderungen wirksam anzugehen. Kein Wunder, dass viele Entwicklungsländer eine stärkere Rolle der operativen UN-Aktivitäten im Bereich der Globalen Öffentlichen Güter bislang ablehnen, wenn am Ende doch nur bei ihnen „interveniert“ wird. So ist das UN-Entwicklungssystem hauptsächlich zu einem Anbieter von Entwicklungsdiensten in ärmeren Ländern geworden. Es ist damit weitgehend blind für die größeren Herausforderungen nachhaltiger Entwicklung und trägt zur Perpetuierung von Ungleichheiten bei. 

Alte Denkmuster aufgeben

Die fast ausschließliche Fokussierung auf „Entwicklungsländer“, definiert als Niedrig- und Mitteleinkommensländer, hat auch mit alten Denkweisen zu tun, wie und wo Entwicklung mitgestaltet werden soll. Zu oft wird Entwicklung noch immer als vorwiegend technische Aufgabe gesehen, die sich neben finanziellen Transfers vor allem durch technische Hilfe und Kapazitätsaufbau bearbeiten lässt – wo sie doch eher eine Frage politischer Entscheidungen ist. Entsprechend müsste die internationale Mitwirkung vor allem dort ansetzen, wo es um den Kurs eines Landes geht einschließlich der damit verbundenen internationalen Verflechtungen. Die UN dürften dann im Entwicklungsbereich nicht mehr als Abbild des ODA-Regimes fungieren, sondern müssen als multilaterale Plattform mit einer genuinen Global-Governance-Funktion gesehen werden, deren Kern in der Zusammenarbeit zur Mitgestaltung von nachhaltiger Entwicklung über Grenzen hinweg liegt. 

Die Vision einer universellen UN-Entwicklungsfunktion

Wir benötigen eine UN-Entwicklungsfunktion, die auf Veränderung in allen Mitgliedsstaaten zielt. In reichen Ländern sollte die Hauptaufgabe der UN darin bestehen, mit internationaler Perspektive und Expertise Transformationsprozesse anzumahnen und zu begleiten sowie blinde Stellen im öffentlichen Diskurs aufzudecken. Dies könnte durch eine Vor-Ort-Präsenz erleichtert und durch wenige kleine, aber hochsichtbare operative Aktivitäten unterstrichen werden. Das globale Monitoring sollte gestärkt werden und in überzeugende Analysen und Narrative zu globalen Wechselwirkungen münden. Diese könnte eine Grundlage für Diskussionen im HLPF bilden, mit der die UN dann auch auf reiche Länder zugehen könnten, nicht zuletzt in dem Bemühen, einen Beitrag zu Offenheit und Internationalität zu leisten.

So wie die UN derzeit Länderprogramme für „Entwicklungsländer“ vereinbaren, sollten auch Prioritäten für reiche Länder beschlossen werden. „Entwicklungsländer“ könnten damit über die UN an der nachhaltigen Entwicklung reicher Länder mitwirken. Vor allem müssten die UN zu einem neuen globalen Lernen über alle Grenzen befähigen: So wie man sich keine prosperierende Gesellschaft vorstellen kann, in der große Teile der Bevölkerung nicht produktiv beteiligt sind, ist auch eine effektive globale SDG-Politik nicht denkbar, in der nicht die Potentiale aller Teile der Welt wechselseitig fruchtbar gemacht werden. Das würde auch bessere Mitgestaltung in „Entwicklungsländern“ versprechen. 

Graduierungsprozesse als Anlass nutzen und über 2030 hinausdenken

Eigentlich hätte man all dies beim UN-Zukunftsgipfel besprechen sollen, der stattdessen die Handlungsmuster der Vergangenheit fortgeführt hat. Die Chance wurde noch nicht einmal gesehen. Dennoch wird Universalität zunehmend dringlich. Sie birgt auch Antworten auf die Frage, wie die UN in der wachsenden Zahl von Mitteleinkommensländern wirksam sein sollen, bei denen traditionelle technische Hilfe immer weniger relevant ist. Wenn China bald Hocheinkommensland wird, könnte dies ein „Window of Opportunity“ darstellen, die UN-Entwicklungsfunktion „mitzunehmen“ und zu universalisieren. Vor allem sollte Universalität ein Leitgedanke für die Debatten über das Post-2030-Rahmenwerk und die künftige internationale Finanzarchitektur sein. 

Max-Otto Baumann, Adolf Kloke-Lesch 


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