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Gutachten des Internationalen Gerichtshofs zur Klimakrise: Das Umweltvölkerrecht vor dem Umbruch

Im März 2023 verabschiedete die UN-Generalversammlung einstimmig eine Resolution, durch die der Internationale Gerichtshof ersucht wird. Er soll ein Gutachten darüber erstellen, welche Pflichten Staaten zur Eindämmung der Klimakrise erfüllen müssen. Ist das ein Umbruch für das Umweltvölkerrecht?

Generalsekretär António Guterres steht am Strand von Tuvalu, an dem sehr viel Treibgut angespült wurde. Er sieht besorgt aus.
Vanuatu ist wie auch sein Nachbarstaat Tuvalu, den UN-Generalsekretär Guterres 2019 besuchte, besonders von den Folgen des Klimawandels betroffen. (UN Photo/Mark Garten)

Wer heute ein internationales Gericht zu den zwischenstaatlichen Pflichten in Bezug auf Schäden durch Umwelteinwirkungen zitieren möchte, greift meist auf eine Entscheidung aus dem Jahre 1941 zurück. Im berühmten „Trail Smelter – Fall“ ging es um eine Schmelze in Britisch-Kolumbien, Kanada, die Schäden auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten verursachte. Das internationale Schiedsgericht entwickelte das Verursacherprinzip und verurteilte Kanada zu Schadenersatz. Obwohl es unterschiedliche Ansichten über die exakte rechtliche Aussage dieser Entscheidung gibt, ist die Bedeutung für das Umweltvölkerrecht nicht zu überschätzen.

Abgesehen von einigen wenigen Fällen lässt sich zum Umweltvölkerrecht wenig Rechtsprechung von internationalen Gerichten finden. Der Internationale Gerichtshof (International Court of Justice - ICJ) hatte für ein paar Jahre eine eigene Spruchkammer für Umweltstreitigkeiten eingerichtet, doch ist diese nie genutzt worden und wurde wieder aufgelöst. Ein Grund für das Fehlen richterlicher Äußerungen über Umweltpflichten liegt unter anderem darin, dass diese an die Klage eines Staates gegen einen anderen gebunden sind. Vor diesem Schritt scheuen Staaten oft zurück.

Doch gibt es eine weitere Möglichkeit für richterliche Klärung von völkerrechtlichen Sachverhalten: Die Statuten vieler internationaler und regionaler Gerichte enthalten eine Klausel, nach der sie um ein Gutachten ersucht werden können. Den Gerichten werden in diesen Fällen rechtliche Fragen vorgelegt. Staaten, zwischenstaatliche Organisationen und vor einigen Gerichten auch zivilgesellschaftliche Akteure können durch rechtliche Stellungnahmen, schriftlich sowie mündlich, an den Prozessen teilhaben. Gutachten tragen, wenn auch nicht rechtsverbindlich, zur Klärung wichtiger völkerrechtlicher Fragen bei.

März 2023: Die Generalversammlung ersucht den ICJ

Diesen Weg ist im März 2023 die Generalversammlung der Vereinten Nationen gegangen und bat, im Konsens, den ICJ um ein Gutachten zu den staatlichen Pflichten in Bezug auf den Klimawandel („on the obligations of States in respect of climate change“). Dieses Gutachten, gemeinsam mit den parallelen Anfragen um Gutachten des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte (IAGMR) und des Internationalen Seegerichtshofs (International Tribunal for the Law of the Sea - ITLOS) zu ähnlichen Fragestellungen rund um staatliche Pflichten im Kontext der Klimakrise, hat das Potenzial, globalen Klimaschutz voranzubringen.

Die Initiative für diese UN-Resolution ging von Vanuatu aus, einem kleinen Inselstaat im Südpazifik. Dessen Staatsgebiet ist auf 83 Inseln und Inselgruppen verteilt und besonders verwundbar gegenüber den Folgen der Klimakrise. Der Weltrisikobericht führt Vanuatu auf erster Stelle. Im Jahre 2015 wütete einer der stärksten jemals gemessenen Zyklone in diesem Gebiet, der in Vanuatus Hauptstadt Port Vila 90 Prozent aller Gebäude zerstörte. Im Jahre 2019 bildete sich daraufhin an der University of the South Pacific eine Gruppe von Studierenden aus acht Ländern – die Pacific Islands Students Fighting Climate Change (PISFCC). Ihr Ziel war es, die Staaten des Pacific Islands Forum davon zu überzeugen, die Klimakrise und die Menschenrechte vor den ICJ zu bringen.

Insbesondere Vanuatu nahm sich dieses Themas an und verkündete im September 2022 die Absicht, in der Generalversammlung eine Resolution einzubringen, die den ICJ mit einem Gutachten beauftragt. Der Resolutionsentwurf wurde in einer sogenannten „Core Group“ ausgehandelt, der als größter Industriestaat Deutschland angehörte. Die Zusammenführung der unterschiedlichen Belange und Ansichten aller 18 Staaten zu den Fragen und der rechtlichen Ausrichtung der Resolution war dabei nicht immer ganz einfach. Dies galt insbesondere im Hinblick auf den zweiten Paragraphen der Resolution, nämlich der Frage nach den rechtlichen Konsequenzen für staatliche Handlungen und Unterlassungen, die das Klimasystem erheblich geschädigt haben.

Die Resolution im Detail

Der Text der Resolution ist recht weit gefasst und gibt dem Gerichtshof viel Raum. Im ersten Teil wird der ICJ gefragt, welche Verpflichtungen die Staaten nach dem Völkerrecht haben, um den Schutz des Klimasystems und anderer Teile der Umwelt vor durch Menschen verursachte Emissionen von Treibhausgasen sowie für gegenwärtige und künftige Generationen zu gewährleisten. Der zweite und umstrittenere Teil b) fragt danach, welche rechtlichen Konsequenzen sich aus diesen Verpflichtungen für Staaten ergeben, wenn sie durch ihre Handlungen und Unterlassungen dem Klimasystem und anderen Teilen der Umwelt erheblichen Schaden zugefügt haben. Dabei soll der Gerichtshof bei den Staaten insbesondere die Beeinträchtigungen kleiner Inselstaaten in den Blick nehmen. Ferner soll er auch die Interessen von Völkern und Einzelpersonen gegenwärtiger und künftiger Generationen in die Analyse einbeziehen.

Bis wenige Tage vor der Abstimmung war unklar, wie groß die Zustimmung ausfallen würde. Wenn auch eine einfache Mehrheit in der UNGA gereicht hätte – betonte Vanuatu doch immer wieder die kooperative Natur der Resolution und die Wichtigkeit dieser Fragen für die gesamte Staatengemeinschaft. Die Annahme der Resolution im Konsens unterstreicht das globale Interesse an diesem Gutachten. Der ICJ in Den Haag hat deren Eingang registriert und das Verfahren gemäß der Art. 65ff des ICJ-Statuts eröffnet.

Wie es nun weitergeht

Der ICJ hat den 20. Oktober 2023 als Frist für die Einreichung schriftlicher Stellungnahmen zu den Fragen festgelegt und den 22. Januar 2024 als Frist für die Kommentierung zu den Stellungnahmen anderer. Die drei Gutachten selbst, die zu erwartenden hunderten Stellungnahmen von Staaten und anderen Organisationen werden das Umweltvölkerrecht um viele Dimensionen bereichern. Geht es doch nicht nur um Umweltverschmutzung, sondern auch um die Verbindung von Umwelt- und Menschenrechten. Und letztlich liegen die Grundlagen des Völkerrechts selbst auf dem Tisch – auch wenn nicht explizit erfragt: Denn wenn ganze Staaten ihr Territorium verlieren können, wie dies bei einigen Atoll-Staaten der Fall ist, dann muss das Völkerrecht darauf eine Antwort finden. Fest steht schon jetzt: Die Klimakrise wird nicht nur unsere zukünftigen Gesellschaften prägen, sondern auch das Völkerrecht und alle anderen Rechtssysteme. 

Lea Main-Klingst und Hermann E. Ott, Client Earth


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