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Guterres: „Pandemie hat tiefe Bruchlinien offengelegt“

In einer Rede vor dem Bundestag forderte UN-Generalsekretär António Guterres die Staatengemeinschaft zu mehr globaler Zusammenarbeit in der Corona-Pandemie auf. Er verurteilte insbesondere nationale Alleingänge bei der Impfstoff-Verteilung. Die größte Bedrohung unserer Zeit aber liege woanders.

UN-Generalsekretär António Guterres bei seiner Rede im Deutschen Bundestag
UN-Generalsekretär António Guterres bei seiner Rede im Deutschen Bundestag. (Foto: Deutscher Bundestag/Henning Schacht)

Der Bundestag lädt nur selten hochrangige Persönlichkeiten außerhalb des deutschen Politikbetriebs ein. Nelson Mandela, Freiheitskämpfer und ehemaliger Präsident Südafrikas, oder der inzwischen emeritierte Papst Benedikt XVI. etwa haben in der Vergangenheit vor dem deutschen Parlament eine Rede gehalten. Abseits der tagespolitischen Agenda geht es dabei vor allem um Grundsätzliches, auf den ersten Blick vielleicht Selbstverständliches.

Wie wenig selbstverständlich Normen internationaler Zusammenarbeit und des Friedens sind, verdeutlichte UN-Generalsekretär António Guterres nach einer Einladung von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble in seiner Rede am 18. Dezember vor dem Bundestag.

Der Anlass seiner Rede: Das 75-jährige Bestehen der Vereinten Nationen, das in einem Jahr stattfindet „in dem wir wie nie zuvor auf die Probe gestellt werden“, so der Generalsekretär. „Die Covid-Pandemie hat unsere Welt auf den Kopf gestellt.“
 

Guterres zur Corona-Krise: „Überall haben die Schwächsten am meisten zu leiden“

Dabei betonte Guterres einerseits die Rolle Deutschlands bei der Entwicklung des Covid-Impfstoffes sowie das deutsche Engagement für eine globale und gerechte Impfstoffverteilung – wie etwa die Beteiligung an der Covax-Initiative, die unter anderem von der Weltgesundheitsorganisation begründet wurde.

Andererseits mahnte der Generalsekretär an, dass „die Impfstoffe als globales öffentliches Gut“ betrachtet werden müssten. Sie sollten „für alle Menschen zugänglich und bezahlbar sein“. Damit wandte sich der Generalsekretär gegen einen derzeit diskutierten „Impfstoff-Nationalismus“, den auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kürzlich anprangerte. Vor allem reiche Industrieländer haben sich bereits zu Beginn der Pandemie große Mengen an potentiellen Impfstoffdosen gesichert. Ärmere Länder des globalen Südens, wo die Gesundheitssysteme die Folgen der Covid-Pandemie deutlich schlechter auffangen können als reiche Industriestaaten, werden dagegen einen verzögerten Zugang zu Impfungen haben.

Zudem warnte Guterres erneut vor den Folgen eines „Virus der Fehlinformationen“, wonach Populisten wissenschaftliche Erkenntnisse ignorierten und so den Kampf gegen das Virus insgesamt schwächten. Bereits im Frühjahr äußerte der Generalsekretär zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation WHO die Sorge vor den Falschinformationen und Verschwörungstheorien im Zuge einer „infodemic“.
 

„Deutschland eine Säule des Multilateralismus“

Immer wieder lobte der Generalsekretär in seiner Rede Deutschland für die internationale Kooperation und Zusammenarbeit. So bezeichnete Guterres Deutschland einen wichtigen Verbündeten „in unserem Bemühen um Frieden" und als „Friedensmacht“. Er verwies dabei unter anderem auf die Bundeswehr-Einsätze in Afghanistan sowie in der westafrikanischen Sahel-Region, in der der Kampf dschihadistischer Gruppierungen die humanitäre und sicherheitspolitische Lage derzeit weiter verschärft. Doch die größte globale Gefahr liege, wie Guterres anschließend betont, nicht in Kriegen und Konflikten.
 

Wichtigstes Ziel: Die Klimabedrohung eindämmen

Der Generalsekretär bezeichnete den „selbstmörderischen Krieg gegen die Natur“ als die „größte Bedrohung für unsere Sicherheit“. Durch den Klimawandel ausgelöste oder verstärkte Probleme wie das Artensterben, der steigende Meeresspielgel sowie die Zunahme an Überschwemmungen und schweren Stürmen müssten heute stärker denn je angegangen werden. Konkret appellierte er daran, vor der im Jahr 2021 geplanten Klimakonferenz in Glasgow die globalen Klimaziele weiter zu verbessern – etwa auch auf im Hinblick auf die Finanzierung des grünen Klimafonds GCF für die Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommen.
 

Diskussion um Wiederwahl von António Guterres

Die Rede vor dem Bundestag hielt Guterres auf Deutsch, dabei verwies er immer wieder auf seine Verbundenheit mit Deutschland. So habe der Philosoph Jürgen Habermas mit seiner Idee einer deliberativen Demokratie, die im permanenten „Kommunikationsfluss zwischen der Politik und Zivilgesellschaft“ steht, großen Einfluss auf den Generalsekretär gehabt.

Interessanterweise spielte diese Idee einer transparenten Kommunikation in der Politik bei der Wahl seines eigenen Amtes – des UN-Generalsekretärs – in der Vergangenheit keine große Rolle. Vor der Wahl von Guterres wurde der Generalsekretär alleine vom Sicherheitsrat vorgeschlagen und von der Generalversammlung nur abgesegnet – ein Verfahren, das viele als undemokratisch und intransparent kritisierten.

Für die letzte Wahl schlug zum ersten Mal in 70 Jahren UN-Geschichte der Präsident der Generalversammlung – damals Mogens Lykketoft – in Absprache mit dem Sicherheitsrat mehrere Kandidatinnen und Kandidaten vor, die sich in einer öffentlichen Wahl behaupten mussten. Unter den Kandidatinnen und Kandidaten war auch António Guterres, der sich in der Wahl erfolgreich durchsetzen konnte.

Im Jahr 2021 wird der Wahlprozess des Generalsekretärs auf ein Neues beginnen. Allerdings werden Zweifel laut, ob das kommende Verfahren ebenso inklusiv sein wird wie das letzte. Ebenso stellt sich die Frage, ob 75 Jahre nach der Gründung der Vereinten Nationen nicht endlich eine Frau Generalsekretärin werden sollte. Wie der Wahlprozess ab 2021 konkret aussehen wird, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob Guterres erneut für die Wahl kandidieren wird. In jedem Fall wird das Verfahren erneut die Chance bieten, die Wahl für das Amt des Generalsekretärs inklusiv zu gestalten – ebenso wie der von Guterres geforderte „vernetzte“ und „inklusive“ Multilateralismus von morgen.

Philipp Nöhr

Lesen Sie hier die gesamte Rede im Wortlaut.


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