Konsequent auf die Tagesordnung: „Klima-Mainstreaming“ im UN-Sicherheitsrat
Seit Jahren wird kontrovers darüber diskutiert, ob und inwieweit der Klimawandel vom UN-Sicherheitsrat behandelt werden sollte. Viele Betrachtungen widmen sich allgemein den Zusammenhängen zwischen dem Klimawandel und Konflikten oder den machtpolitischen Verhältnissen im Sicherheitsrat. Dabei wäre es dringend notwendig, einen Schritt weiterzugehen und zu überlegen, was der UN-Sicherheitsrat – zumindest theoretisch – zu klimabedingten Sicherheitsrisiken entscheiden kann.
Bei den meisten klimabedingten Gefährdungen von Frieden und Sicherheit handelt es sich im Kern um Konflikte um knapper werdende, lebenswichtige Ressourcen wie Trinkwasser oder Ackerland. Solche Konflikte stehen bereits heute auf der Tagesordnung des UN-Sicherheitsrats. Darüber hinaus stellen jedoch auch der Meeresspiegelanstieg und andere Folgen des Klimawandels, welche die territoriale Integrität von UN-Mitgliedstaaten gefährden, sowie sich verändernde geopolitische Interessenslagen eine Bedrohung für die internationale Stabilität dar. Die Frage kann also nicht länger sein, ob der Klimawandel ein Thema für den Sicherheitsrat ist. Vielmehr braucht es eine ehrliche Debatte darüber, wie der Rat zu klimabedingten Sicherheitsrisiken handeln kann und welche Auswirkungen es hat, den Klimawandel konsequent als ein Sicherheitsthema zu verstehen.
Klima-„Mainstreaming“
Dafür ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats sich dazu verpflichten, den Klimawandel als Querschnittsthema kohärent in allen Diskussionen und Beschlüssen des Gremiums mitzudenken. Analog zum „Gender-Mainstreaming“, das vom UN-Sicherheitsrat im Jahr 2010 einstimmig in der Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit verankert worden ist, braucht es ein „Klima-Mainstreaming“. Ebenso wie es elementar ist, Geschlechtergerechtigkeit in allen Kontexten mitzudenken und Frauen gleichberechtigt in alle Friedensprozesse einzubinden, ist es für eine nachhaltige Friedenssicherung unerlässlich, mögliche Auswirkungen des Klimawandels auf Frieden und Stabilität zu berücksichtigen. Dafür muss auch eine angemessene Repräsentanz von besonders vom Klimawandel und seinen Konfliktpotenzialen betroffenen Gruppen gewährleistet werden.
Noch sind die negativen Folgen des Klimawandels und die damit einhergehende Verknappung lebenswichtiger Ressourcen meist nicht der einzige Konflikttreiber. Sie entfalten ihr besonderes Konfliktpotenzial vielmehr im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren wie extremer Armut, Überbevölkerung, wirtschaftlicher Ausbeutung, politischer Unterdrückung oder ethnischen und religiösen Spannungen. Um solche Konflikte nachhaltig zu lösen oder zu verhindern, ist es wichtig, klimabedingte Sicherheitsrisiken selbst dann zu adressieren, wenn sie (noch) nicht zu den offenkundig zentralen Ursachen zählen. Dies kann etwa präventive Maßnahmen zur Klimaanpassung in den Konfliktregionen beinhalten. Es erfordert aber auch, dass in Friedensverhandlungen, Abkommen oder Resolutionen Regelungen dazu getroffen werden, wie der Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen fair und gerecht gestaltet werden kann.
Peacekeeping
Eine mögliche Handlungsoption des Sicherheitsrats ist die Entsendung von Peacekeeping-Missionen in Regionen, die besonders stark von Folgen des Klimawandels wie z. B. Hungersnöten betroffen sind, in deren Folge Konflikte entstehen oder neu aufflammen könnten. Diese Missionen können auch die Einhaltung von Vereinbarungen überprüfen, die den Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen regeln. Sind solche Missionen sinnvoll konzipiert, können sie helfen, die Gefahr bewaffneter Konflikte zu reduzieren und darüber hinaus einen Beitrag zur Unterstützung der örtlichen Bevölkerung und bei der Klimaanpassung leisten. Damit dies erfolgreich geschehen kann, braucht es sogenannte „climate early warning systems“, die den Sicherheitsrat früh über sich anbahnende Konflikte informieren – also noch bessere Analysen und Vorhersagen, zum Beispiel um Auswirkungen ermitteln zu können, die auch Jahre nach einer bevorstehenden Dürre eintreffen könnten .
Auch auf mögliche neue geopolitische Konflikte muss der Sicherheitsrat vorbereitet sein. Dazu gehört etwa die fortlaufende Beobachtung der Entwicklungen in der zunehmend eisfreien Arktis und den Wettbewerb der Anrainerstaaten um bisher unter dem Eis verborgene Bodenschätze oder die Kontrolle neuer Schifffahrtwege.
Sicherheit humanitärer Einsätze stärken – Braucht es „UN-Grünhelme“?
Dort, wo es bereits heute zu gewalttätigen, klimabedingten Konflikten kommt wie etwa in Mali oder am Tschadsee, muss der Sicherheitsrat noch stärker Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung und wichtiger Infrastruktur ergreifen. Denn aufgrund der Verknappung lebenswichtiger Ressourcen steigt die Gefahr, dass einzelne Konfliktparteien die Kontrolle über den Zugang zu diesen Ressourcen erlangen und versuchen, diese als „Waffe“ gegen andere Konfliktparteien oder die Bevölkerung einzusetzen. Denkbar wären etwa ein Sicherheitsrat-mandatierter Schutz von Trinkwasserinfrastrukturen oder präventive Konzepte zum gemeinsamen Management solch lebensnotwendiger Ressourcen.
In Folge von klimabedingten Naturkatastrophen wird die Zahl humanitärer Einsätze in Zukunft deutlich zunehmen, insbesondere in Konfliktregionen. Der Sicherheitsrat muss daher den begonnenen Weg, die Sicherheit humanitärer Helferinnen und Helfer in Krisenregionen zu stärken, fortsetzen. Darüber hinaus muss er jedoch auch prüfen, in welchen Fällen UN-Peacekeeper in Zukunft noch stärker für humanitäre Einsätze zur Hilfe gezogen werden können. Damit stellt sich die Frage, ob die klassischen „UN-Blauhelmmissionen“ nicht durch „UN-Grünhelmmissionen“ ergänzt werden sollten: Diese könnten mit Mandat des Sicherheitsrats die Bevölkerung nach Naturkatastrophen auch militärisch abgesichert oder bei der Umsetzung von Maßnahmen gegen den Klimawandel unterstützen, wenn anderenfalls eine Gefährdung von Sicherheit und internationaler Ordnung – beispielsweise durch die Zerstörung der territorialen Integrität von UN-Mitgliedstaaten – drohte.
Zwangsmaßnahmen gegen Staaten, die nicht ausreichend zum Klimaschutz beitragen?
Versteht man den Klimawandel konsequent als Sicherheitsthema, muss auch darüber gesprochen werden, dass der UN-Sicherheitsrat Sanktionen oder sonstige Zwangsmaßnahmen gegen Staaten erlässt, die nicht ausreichend zum Klimaschutz beitragen. Man denke etwa an die Brände im brasilianischen Amazonasgebiet im Jahr 2019, die mutmaßlich auf Brandrodung zurückgehen: Müsste der Sicherheitsrat – wenn man den Klimawandel konsequent als Gefahr für die Existenz anderer Staaten begreift – nicht auch über Zwangsmaßnahmen beraten, wenn die entsprechende Regierung nicht in der Lage oder willens ist, selbst geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen? Auch hierfür könnte der Aufbau von „UN-Grünhelmen“ eine Option sein und könnte der Sicherheitsrat als letztes Mittel die Entsendung von Einheiten zum Löschen der Brände oder zum Schutz der Wälder vor kriminellen Banden anordnen.
Vor allem diese letzte Überlegung scheint im Moment nicht sehr realistisch. Dennoch ist es wichtig, sich jenseits der aktuellen Machtverhältnisse Gedanken darüber zu machen, welche Rolle der Sicherheitsrat in einer zunehmend durch den Klimawandel geprägten Welt spielen kann und spielen muss. Denn die gravierenden Veränderungen des Klimawandels werden die Arbeit des UN-Sicherheitsrats in den kommenden Jahren zunehmend verändern – ob der Rat und die Mehrheit seiner Mitglieder es wollen oder nicht. Und für eine ehrliche Diskussion darüber, wie der Sicherheitsrat zum Klimawandel handeln kann, ist eine umfassende Übersicht der Handlungsoptionen grundlegende Voraussetzung.
Oliver Hasenkamp ist Referent bei der DGVN und befasst sich besonders mit Fragen zur Nachhaltigkeit und Klimawandel.