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Verursacher in der Pflicht

Klimagerechtigkeit: Welche moralische Verantwortung haben wir gegenüber Menschen, die durch den Klimawandel ihre Heimat verlassen müssen? Essay von COP24-Jugendbeobachterin Anne Schilling

Überschwemmungen in Haiti nach Hurricane Tomas. (UN Photo / Marco Dormino)

„Den armen Ländern drohen Dürre, Überschwemmungen, Tod und Verderben, und uns Verursacher erwartet: besseres Wetter“. Mit einfachen direkten Worten und seinem bekannten Sarkasmus bringt der deutsche Autor Marc-Uwe Kling in den Känguru-Chroniken unsere moralische Verantwortung hinsichtlich des Klimawandels auf den Punkt: Verursacher und Leidtragende des Klimawandels sind nicht identisch. Welche moralische Verantwortung haben wir - die Länder des industrialisierten Nordens - gegenüber denjenigen, die ihre Heimat verlassen müssen, weil ganze Inselstaaten, wie Tuvalu, durch den ansteigenden Meeresspiegel verschwinden werden?

Vereinfacht dargestellt sind die historische Entwicklung der Länder des industrialisierten Nordens und die damit einhergehende hohe Freisetzung von Emissionen für den Klimawandel mit verantwortlich. Da jedoch nicht wir, sondern in erster Linie Menschen des globalen Südens unter Auswirkungen des Klimawandels wie Dürren, Hunger und Überflutungen leiden, stehen wir in der moralischen Verantwortung, die Konsequenzen des Klimawandels möglichst gering zu halten. Als Verursacher stehen wir sogar in der moralischen Pflicht verantwortungsvoll zu handeln. Denn wir genießen einen hohen Lebensstandard, dessen Entwicklung viel Schaden anrichtet und nur einem kleinen Teil der Menschheit nützt. Daher stehen wir in der Pflicht, die Bedürfnisse und Interessen anderer Menschen wahrzunehmen und zu schützen. Dazu zählt unter anderem das Bedürfnis nach neuem Lebensraum, da insbesondere Küstengebiete durch die Auswirkungen des Klimawandels unbewohnbar werden.

Im Jahr 2014 veröffentlichte Greenpeace eine Studie mit dem Slogan: „200 Millionen Klimaflüchtlinge bis 2040“. Die Zahl der Menschen, die aufgrund des Klimawandels ihre Heimat verlassen müssen, steigt demnach in den nächsten Jahren rapide an. Klimaveränderungen haben Menschen zwar schon immer dazu veranlasst, in neue Gebiete umzusiedeln und damit insbesondere Binnenmigrationsströme hervorgerufen. Der menschengemachte Klimawandel wird dieses Phänomen jedoch extrem beeinflussen. Der Begriff „Klimaflüchtling“ wird derzeit viel diskutiert. Der Term „Flüchtling“ ist international anerkannt und die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und das Protokoll von 1967 liefern eine umfassende Definition. Diese enthält jedoch nicht die Problematik der „Klimaflucht“. Die Frage ist, ob wir nicht mittlerweile an einem Punkt angelangt sind, an dem wir international anerkennen müssen, dass Menschen vor verheerenden Klimakatastrophen fliehen werden und es auch schon tun? „Klimaflüchtling“ mag nicht der richtige Begriff sein, denn Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, brauchen andere Hilfestellungen als die Menschen, die ihre Heimat aufgrund des Klimawandels verlassen. Als Verursacher dieses Phänomens stehen wir in der moralischen Verantwortung, die Situation offen zu akzeptieren und schnellstmöglich einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, der Klimamigration leitet und betroffene Menschen bestmöglich schützt.

Natürlich ist der fehlende rechtliche Rahmen nicht das einzige Problem der Betroffenen. Allein die Kosten einer eventuellen Umsiedlung innerhalb ihres Landes oder die Reisekosten in ein anderes Land können immense Hürden darstellen. Da Staaten mit sehr hohen Emissionswerten oft wohlhabender sind als Entwicklungsländer mit geringen Werten, stehen wir auch in diesem Punkt in moralischer Verantwortung. Wie können reiche Industriestaaten arme Länder unterstützen, um die notwendig werdende Umsiedlung zu finanzieren? Was kann auf nationaler und internationaler politischer Ebene passieren? Dies sind Fragen, mit denen wir uns als Klimawandel-Verursacher auseinandersetzen müssen.

Auch die Menschenrechte bleiben ein großes Thema. Wir gehen davon aus, dass alle Menschen mit den gleichen Rechten geboren werden. Diese werden jedoch durch den Klimawandel gefährdet. Menschen können unter anderem ihre Nahrungsgrundlagen verlieren, ihr Recht auf Unversehrtheit, ihr Recht auf Freizügigkeit. Dürren und Überflutungen schaden lokalen Bauern nicht nur, sondern bedrohen deren gesamte Existenz. Wenn diese ihre Heimat verlassen, um sich neues, fruchtbares Land zu suchen, stehen wieder die Verursacher des Klimawandels in der moralischen Verantwortung. Können wir einen Weg finden, auf nationaler und internationaler Ebene klimainduzierte (Binnen-)Migranten zu schützen? Wie können wir Staaten unterstützen, deren Bürger innerhalb der Grenzen umziehen müssen, um ihre Existenz zu sichern?

Unsere moralische Verantwortung gegenüber den Menschen, die aufgrund des Klimawandels ihre Heimat verlassen müssen, hat demnach viele verschiedene Facetten. Als Mit-Verursacher des Klimawandels ist es unsere Pflicht gegen die verheerenden Auswirkungen anzukämpfen und betroffene Menschen zu unterstützen. Dabei geht es nicht um das explosive Thema Asyl, sondern um internationale und nationale Ansätze, klimainduzierte Migration anzuerkennen und die einzelnen Menschen zu schützen. Es müssen neue Wege gefunden werden, wie Menschen national und international eine neue Heimat finden können, wie wirtschaftlich schwächere Staaten dabei unterstützt werden können und wie wir die Menschenrechte der Betroffenen voll und ganz schützen können. Von Klimagerechtigkeit können wir in diesem Fall nicht sprechen - von moralischer Verantwortung als Verursacher aber schon.


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