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Lehren aus den Verhandlungen zur UN-Agenda 2030

Im Jahr 2015 haben die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung beschlossen. Eine neue Studie zeigt nun Missstände im Verhandlungsprozess auf, darunter ungleiche Repräsentation verschiedener Staaten sowie zwischen Frauen und Männern.

Foto: UN Photo/Eskinder Debebe

Vor Kurzem ist die Studie „Nachhaltige Entwicklung und globale Ungleichheit“ von Albert Denk (FU Berlin) erschienen. In dieser sozialwissenschaftlichen Studie geht es um die Lehren aus dem Verhandlungsprozess zur UN-Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (kurz SDGs). Ausgehend von globalen Problemlagen wie der Überschreitung planetarer Grenzen, zunehmender sozial-ökonomischer Ungleichheiten und kriegerischer Konflikte ist die Agenda aktueller denn je. Dieser Weltvertrag, der von allen 193 UN-Mitgliedsstaaten unterzeichnet wurde, beinhaltet soziale, ökologische und ökonomische Zukunftsvisionen für alle Menschen auf der Welt, die bis zum Jahr 2030 erreicht werden sollen. 

Ungleiche Beteiligung am Verhandlungsprozess

Die Studie befasst sich mit dem Aushandlungsprozess, der zur Agenda 2030 geführt hat, und benennt eine Reihe von Widersprüchen innerhalb der Agenda sowie dem Verhandlungsprozess. Neben weiteren Aspekten zählen dazu als zwei zentrale Ergebnisse insbesondere die Unterrepräsentation marginalisierter Stimmen in den Verhandlungen und die fortgeschriebene Zweiteilung aller Staaten, die einer Weltrangordnung gleicht.

Die 17 SDGs mit ihren Unterzielen wurden maßgeblich in einer sogenannten offenen Arbeitsgruppe ausgehandelt. In dieser waren jedoch nur 13 Prozent der am „wenigsten entwickelten“ Staaten beteiligt. Besonders unterrepräsentiert waren laut der Studie Länder Afrikas und Asiens. Dies steht in einem starken Kontrast zu der inhaltlichen Ausrichtung der Agenda, da gerade diese Länder mit Entwicklungsdefiziten beschrieben werden. Somit wurde anstelle mit diesen Ländern über sie gesprochen.

Der Frauenanteil im Bereich der Diplomatie lag bei den Verhandlungen bei 22 Prozent (gemessen an Personen mit Sprechanteil). Im Bereich der UN-Organisationen, der Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft lag dieser Anteil nur wenig höher bei 28 Prozent. Auch dies steht in einem Widerspruch zu SDG 5, welches explizit Geschlechtergerechtigkeit adressiert. Erneut kommt der Autor der Studie daher zu dem Fazit, dass über anstatt mit Menschen gesprochen wurde, die als benachteiligt betrachtet werden.

Begünstigt der Verhandlungsstandort New York den Globalen Norden und schränkt die Zivilgesellschaft ein?

Auch kommt er mit der Studie zum Ergebnis, dass 91 Prozent der Expertinnen und Experten, die einen Input-Vortrag zur Information der Arbeitsgruppe gehalten haben, im Globalen Norden ausgebildet wurden, jede siebte Person an der Harvard Universität. Hierin zeigen sich exklusive regionale Wissensbestände. Bestätigt wird dies anhand der ungleich verteilten Herkünfte der Expertinnen und Experten. Ein überproportionaler Anteil von 27 Prozent stammte demnach aus den europäischen Staaten und 17 Prozent aus den USA.

Schließlich wirkt, wie in der Studie aufgezeigt, die Zentralität des Standorts New York ausschließend, da die USA eine Grenzmacht sind, die über die Einreise einzelner Menschen bestimmt (beispielsweise wurde dem iranischen Botschafter die Einreise verweigert). Der Standort New York ist zudem durch hohe Kosten gekennzeichnet, sodass insbesondere zivilgesellschaftliche Akteure an einer Partizipation gehindert werden und die zivilgesellschaftliche Teilhabe letztlich sehr selektiv war. Zwei Drittel der akkreditierten Akteure stammten bei den Verhandlungen zur Agenda 2030 aus dem Globalen Norden und im Rahmen der Verhandlungen zeigten sich die zivilgesellschaftlichen Akteure durchweg konform mit den Vereinten Nationen, sodass selbstbestätigende Effekte zu erwarten waren.

Zweiteilung der Welt in „entwickelte“ und „unterentwickelte“ Länder

Neben Aspekten der Unterrepräsentation ist eine Zweiteilung aller Staaten im Verhandlungsprozess deutlich zu erkennen. So findet sich eine unterteilende Rangordnung von Staaten in entwickelte und unterentwickelte an 67 Stellen im Abschlussdokument und hundertfach in den Protokollen der Arbeitsgruppe. Nachfolgendes Beispiel zeigt deutlich den hierarchisierenden Charakter: „All countries take action, with developed countries taking the lead, taking into account the development and capabilities of developing countries”. Entwickelte Länder werden hier mit einer Führungsrolle versehen. Bei einer Betrachtung von CO2-Emmissionen wäre dies maximal zynisch. Zudem findet, wie in der Studie dargestellt, eine defizitäre Unterlegenheitskonstruktion von „Entwicklungsländern“ statt. Ein Beleg hierfür gibt folgendes Beispiel: „South-South and triangular cooperation are growing in importance; they can complement but not replace North-South cooperation“. Hier wird behauptet, dass der geopolitische Norden zwangsläufig immer bei Kooperationen dabei sein müsste. Ohne diesen könnten „Süd-Länder“ nicht „Entwicklung“ erreichen. Verdeutlich wird dies wie folgt: „Developing countries need additional resources for sustainable development.“ Es wird also pauschal allen „Entwicklungsländern” ein Defizit zugeschrieben.

In dieser archaisch anmutenden Zweitteilung sieht der Autor der Studie letztlich eine koloniale Amnesie. Bereits bei der Gründung der Vereinten Nationen 1945 wurden „Entwicklungsländer“ als defizitär begriffen. Damals handelte es sich um Länder ohne Selbstregierung oder Treuhandgebiete. Die Vereinten Nationen umfassten selbst lediglich 50 Mitgliedsstaaten, viele davon kolonialisierten den größten Teil der Weltbevölkerung. Selbst heute und mit dem Anspruch der Agenda 2030 kann kein Staat als „entwickelt“ begriffen werden. Zudem finden sich massive Einteilungswidersprüche wieder, wenn etwa das ökonomisch reiche Katar als Entwicklungsland gilt und beispielsweise Zypern nicht. Oder wenn hinsichtlich Geschlechtergerechtigkeit die paritätisch besetzten Parlamente von Bolivien und Ruanda als unterentwickelt gelten, während Deutschland entwickelt sei. Schließlich liegt der durchschnittliche CO2-Fußabdruck der meisten sogenannten „entwickelten“ Länder weit über dem, was der Planet verträgt.

 

Hinweise:

Quelle: Denk, Albert (2023): Nachhaltige Entwicklung und globale Ungleichheit. Eine wissenspolitologische Studie über die Entwicklungsagenda der Vereinten Nationen. Baden-Baden: Nomos. https://doi.org/10.5771/9783748941644

Am 20. Februar 2024 hat eine DGVN-Veranstaltung uner dem Titel Macht, Ungleichheiten, Widersprüche: Lehren aus den UN-Verhandlungen zur Agenda 2030 zu der Studie stattgefunden. Eine Aufzeichnung der Diskussion findet sich auf dem DGVN-Youtube-Kanal. Im Heft 1/2024 der Zeitschrift Vereinte Nationen ist außerdem eine Buchbesprechung von Gabriele Köhler zu der Studie erschienen.

 


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