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Multistakeholderdialoge: nützlich, aber kein Ersatz für gesetzliche Vorgaben

Die UN-Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte sollen Verantwortung in Lieferketten stärken. Dialogformate mit Privatwirtschaft, Umweltverbänden und Arbeitnehmervertretungen spielen dabei eine immer wichtigere Rolle. Doch ihre Wirkmacht ist begrenzt.

Foto: UNIDO

Multistakeholderdialoge sind seit einigen Jahren „in“. Immer mehr Unternehmen veranstalten diese, hinzu kommen breit und zum Teil langfristig angelegte Plattformen. Und das nicht nur in Deutschland. Für viele Unternehmen gehört es mittlerweile zum guten Ton - oder aber schlicht zu den Anforderungen im Rahmen des CSR-Reporting -, mit vielen Stakeholdern zu diskutieren. Selbst die Bundesregierung fördert Multistakeholderdialoge, die teilweise zu eigenen Institutionen werden. Beispiele dafür sind unter anderen das Forum Nachhaltiges Palmöl, das Forum Nachhaltiger Kakao und das Textilbündnis. Bei der Umsetzung ihres Nationalen Aktionsplans zu den UN Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte wird auf die Einführung weiterer Foren gesetzt.

Tatsächlich haben diese Prozesse einiges bewegt. Nicht zuletzt dadurch, dass die verschiedenen Seiten - insbesondere Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen - bei Dialogveranstaltungen voneinander lernten. Die Lernprozesse führten dazu, dass viele menschenrechtliche Probleme heutzutage von UnternehmensvertreterInnen viel offener eingeräumt werden als früher. Teilweise hat man den Eindruck, die Zeit des Abstreitens von Problemen oder zumindest der Verantwortung für diese Probleme sei vorbei. Zugleich stellt sich jedoch angesichts der Fülle solcher Veranstaltungen immer häufiger die Frage, warum sich so wenig Wirkungen innerhalb der Wertschöpfungsketten zeigen. Daraus leitet sich dann wiederum die Frage ab, ob Multistakeholderdialoge ein wirksames Instrument sind, um Menschenrechtsverletzungen zu bekämpfen. 

In erster Linie zählt der Preis

Dabei ist zu berücksichtigen, dass häufig zwar die eine Abteilung von Unternehmen über Menschenrechte diskutiert und deren Einhaltung vorantreiben will, zugleich jedoch in den Einkaufsabteilungen in erster Linie der Preis zählt, und dann noch Qualität, Lieferzeit und Flexibilität. Unternehmen werden danach bewertet, wie hoch ihre Gewinne sind, und ihre Angestellten häufig danach, wie preiswert sie einkaufen. Vergleichsgröße ist dabei in erster Linie eben nicht die Einhaltung von Menschenrechten oder die Vermeidung ökologischer Schäden, sondern die Frage, wie man im Vergleich zur Konkurrenz dasteht: Welche Preise nimmt diese für ihre Produkte? Wie entwickeln sich Marktanteile? Wie entwickeln sich Gewinnmargen und was sagen die Aktionäre zu diesen?

Dabei ist offensichtlich, dass der Preis vieler Produkte nicht die wahren Kosten widerspiegelt. Dies birgt zwangsläufig ein großes Risiko von Menschenrechtsverletzungen. In Westafrika arbeiten beispielsweise Millionen von Kindern unter teilweise schwersten Bedingungen auf Kakaoplantagen, da der Preis für Kakao so niedrig ist, dass sich ihre Eltern oft keine erwachsenen Arbeitskräfte leisten können. Bei der Frage, ob in Produktionsstätten für Textilien, Bekleidung und Schuhen Menschenrechte eingehalten werden, hat ebenfalls der Preis eine große Bedeutung, denn dieser hat großen Einfluss auf die Lohnhöhe. Daran haben nicht einklagbare Vorgaben auf internationaler Ebene wie die UN Guiding Principles on Business and Human Rights (UN-Leitprinzipien) oder die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen (beide 2011) ebenso wenig ändern können wie die teilweise jahrzehntealten Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) oder Sozial- und Umweltkonventionen der Vereinten Nationen.

Dennoch wird häufig suggeriert, dass Multistakeholderdialoge bestehend aus Unternehmen, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, Regierungsstellen und standardsetzende Organisationen Lösungen vorschlagen und deren Umsetzung vorantreiben können. 

Der Einfluss auf die systemischen Ursachen von Menschenrechtsverletzungen fehlt

Ein Blick auf die Entwicklung eines Ansatzes, der oft nicht unmittelbar mit Multistakeholderdialogen in Verbindung gebracht wird, zeigt die Begrenztheit der Herangehensweise: In vielen Sektoren wird seit Jahrzehnten versucht, Missstände über die Einführung von Standards zu beheben, darunter beispielsweise Fairtrade, Rainforest Alliance, FSC, MSC, SA 8000, GOTS etc. Die Aufstellung dieser Standard geschieht in der Regel im Rahmen von Multistakeholderdialogen.

Mittlerweile zeigt eine Vielzahl von Studien, dass die Stakeholder sich zwar in den verschiedensten Bereichen auf Standards einigen können, aber geringen Einfluss auf die systemischen Ursachen für Menschenrechtsverletzungen haben. Daher konnten mit den Standards entweder nur kleine Marktnischen erreicht werden, oder die Kriterien wurden in vielen Bereichen so niedrig angesetzt, dass keine ausreichenden Verbesserungen erzielt werden konnten.

Die entscheidende Frage ist immer wieder, wie die Konkurrenten am Markt reagieren. Gibt es bei diesen keine (freiwillige) Bereitschaft, Wertschöpfungsketten angesichts von menschenrechtlichen Risiken zu verändern und wo notwendig höhere Preise zu zahlen, ist dies innerhalb von Unternehmen schwer durchsetzbar. Dabei wissen alle Beteiligten, dass Näherinnen in Bangladesch höhere Löhne bekommen müssen, um existenzsichernde Einkommen zu erzielen, oder die Einkommen der Bäuerinnen und Bauern im Kakaosektor Westafrikas steigen müssen, um die Kinderarbeit zu reduzieren.

Zwar können Multistakeholderdialoge und Foren wichtige Plattformen sein, um sich über Probleme auszutauschen. Doch viele der Probleme sind ja längst bekannt! Ein weiteres Manko vieler dieser Foren ist, dass der kleinste gemeinsame Nenner oft darin besteht, in Zukunft zertifizierte Ware zu kaufen. Und eben diese Zertifizierung ist häufig nicht ausreichend (siehe oben), die Probleme wirklich zu beheben. 

Gleiche Bedingungen für alle

Einige Unternehmen machen die Erfahrung, dass sie Probleme in Wertschöpfungsketten einräumen und viel Geld in die Hand nehmen, um menschenrechtliche Risiken zu senken. Zugleich macht der Wettbewerber nichts oder signifikant weniger, wodurch dieser einen erheblichen Kostenvorteil hat. Mittlerweile fordern daher einige Unternehmen das, was sie ein Level Playing Field nennen: gleiche Bedingungen für alle. Die kann aber nur der Gesetzgeber schaffen.

Angesichts massiver Menschenrechtsverstöße in Wertschöpfungsketten und der unübersehbaren Armut der Produzenten und Produzentinnen in vielen Entwicklungsländern muss ein umfassender Ansatz darauf hinauslaufen, Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten entlang ihrer gesamten Wertschöpfungsketten rechtlich zu verpflichten. Dies würde innerhalb der Unternehmen den notwendigen Druck erzeugen, auf die Zustände entlang der Wertschöpfungskette einzuwirken. Zugleich würde dies den Druck auf Regierungen erhöhen, die derzeit entweder nicht willens oder nicht in der Lage sind, grundlegende Menschenrechte in den Produktionsketten in ihren Staaten umzusetzen.

Multistakeholderdialoge können nur ein unterstützender Schritt auf diesem Weg sein: Probleme identifizieren, Verantwortlichkeiten benennen, Hindernisse beseitigen.

Daher sollten Sie dort ansetzen, wo die Strukturen die Einhaltung von Menschenrechten behindern sind. Warum dürfen Unternehmen beispielsweise nicht darüber reden, was ein Produkt kosten muss, wenn es tatsächlich nachhaltig sein soll? Bislang verbietet das Kartellrecht solche Diskussionen, die aber in Wertschöpfungsketten mit einem großen Machtgefälle zwischen Großunternehmen und kleinen Produzenten und Produzentinnen oder gar Bäuerinnen und Bauern zwingend erforderlich sind. Wie müssten Verträge gestaltet sein, die die tatsächliche Einhaltung von Menschenrechten entlang von mehreren Wertschöpfungskettengliedern garantieren? Wie kann ich mich über die Qualität von Audits austauschen? Solche übergreifenden Fragen gehören in die Multistakeholderdialoge, und dann muss der Gesetzgeber Hindernisse auf dem Weg zur Einhaltung von Menschenrechten aus dem Weg räumen. National und international.

 

Friedel Hütz-Adams ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei SÜDWIND. 


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