Menü

Schattenarmeen im Kräfteringen: Söldner und ihre Fallstricke für Libyens Frieden

Bis heute kämpfen in Libyen tausende Söldner. Sie fungieren als Mittel geopolitischer Herrschaft, stärken autokratische Regime und verschleppen Konflikte und ihre Beilegungen. Wer sind sie? Und welche Probleme ergeben sich aus ihrer Präsenz für Friedensprozesse und die regionale Sicherheitslage?

Eine Silhouette von Menschenmengen, die Gewehre und libysche Flaggen hochhalten.
Eine Menschenmenge mit Gewehren und libyscher Flagge in der Stadt Msallata, 2011. Foto: UN Photo/Iason Foounten

Im März dieses Jahres berichteten ukrainische Geheimdienste von einer Beteiligung libyscher und syrischer Söldner an Russlands Angriffskrieg. In Europa gewinnt die Thematik damit zweifelsohne neue Aufmerksamkeit. In Libyen hingegen ist der Einsatz von Söldnern schon lange fester Bestandteil der Kriegsdynamik. Die russische Kriegsführung zeigt, dass das Phänomen Söldner ein Grenzen überwindendes Instrument politischer Herrschaft ist – ob in der Ukraine, Syrien oder Libyen.

Demokratiebewegung und Bürgerkrieg

Ab Februar 2011 erfassten die Arabellions auch Libyen. Mit ihren Forderungen nach Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit richten sich die Proteste direkt gegen das System Muammar Gaddafi. Die anfängliche Demokratieeuphorie wurde allerdings schnell durch die Realität eines Bürgerkriegs erstickt. Dieser erreichte ab spätestens 2014 seine zweite Phase und etablierte schrittweise eine bipolare Kriegsordnung, zwischen den Koalitionen der Libysch-Arabischen Streitkräfte (LAAF) im Osten und der international anerkannten Regierung der Nationalen Eintracht (GNA) im Westen. Keine Seite verlässt sich dabei auf einen rein konventionellen Truppenverbund. Vielmehr zeichnet beide ihre hybride Sicherheitsarchitektur aus, die sich aus Milizen, Teilen der ehemaligen Nationalarmee und ausländischen Söldnergruppen zusammensetzt.

Die GNA rekrutiert bislang vor allem tschadische und syrische Söldner, während die LAAF hauptsächlich russische, sudanesische, syrische und tschadische Söldner beschäftigt. Diese Akteure operieren häufig im Schatten offizieller Kriegsführung. Doch welche Problematiken ergeben sich aus ihrer Präsenz für zukünftige Friedensprozesse und regionale Sicherheitslagen?

Oppositionelle als Söldner

Im Jahr 2020 machte eine tschadische Oppositionsgruppe Schlagzeilen durch die von libyschem Boden ausgehende Ermordung des tschadischen Präsidenten. Ihr Einfluss speiste sich maßgeblich aus dem lukrativen Söldnergeschäft in Libyen. Aufgrund solcher überflammenden Kriegsfolgen schlossen Libyens Nachbarn immer wieder gemeinsame Grenzübergänge. Die Konsequenzen betreffen besonders Flüchtende oder nomadische Gruppen, die auf gefährlichere Fluchtrouten gedrängt oder deren saisonalen Viehzuchtgebiete blockiert werden.

Ab 2016 kam es auch zu einem Anstieg sudanesischer Oppositionsgruppen in Folge ihrer Vertreibung durch quasi staatliche Milizen. Im Sudan verfeindete Gruppen kämpften fortan gemeinsam innerhalb der LAAF-Strukturen als Söldner. Nach UN-Berichten sind in das sudanesische Söldnergeschäft der emiratische Staat sowie das PrivatunternehmenBlack Shield Security und die kanadische Lobby-Firma Dickens & Madsen Inc. involviert.  

Geopolitische Marionetten

Seit 2019 rekrutiert der türkische Geheimdienst syrische Söldner, die auch an Kriegsverbrechen beteiligt waren, zur Unterstützung seiner Verbündeten in der GNA. Ihr Sold wird über Erdogans „Schattenarmee“ das Privatunternehmen SADAT International Defense Consultancy abgewickelt. Dieses verfolgt neben wirtschaftlichen Interessen auch eine geopolitische Mission im Sinne Erdogans: Die „islamische Welt“ an der Seite der Großmächte zu positionieren. So unterstützt das Unternehmen etwa die Logistik von syrischen islamistischen Gruppen, deren Bezahlung von Katar übernommen wird.

Zwar bestreitet der Kreml den Einsatz russischer Söldner in Libyen, jedoch bestätigt ein UN-Expertenpanel den Einsatz der Gruppe Wagner, die auch an Kriegsverbrechen (Erschießung von Kriegsgefangenen oder der Einsatz von Landminen gegen die Zivilbevölkerung) beteiligt war. Weiterhin bildete die Gruppe Wagner Haftar-Verbündete aus oder versuchte für Europa strategische Öl-Routen zu blockieren. Mit seiner parastaatlichen Eingreiftruppe konnte Putin sein geopolitisches Gewicht geltend machen und die Kräfteverhältnisse zugunsten der LAAF verschieben.

Regionale (Un-)Sicherheit

Die anhaltende Präsenz von Söldnern ergibt sich einerseits aus den Einnahmen, die sich in Libyen für Oppositionskämpfe generieren lassen. Andererseits nutzen Drittstaaten wie Russland oder Türkei die Söldner im Ringen um geopolitische Dominanz. Beides verschleppt Konflikte und Konfliktlösungen und gefährdet die regionale Sicherheits- und Menschenrechtslage.

Fragile Friedensabkommen wie das Juba-Friedensabkommen, das 2020 zwischen sudanesischen Oppositionsgruppen und der Regierung unterzeichnet wurde, werden durch das Söldnergeschäft ebenso unterminiert wie Demokratiebewegungen. Letzten Endes finanziert die Vermietung von Milizen parallel die Kampfhandlungen militanter Oppositionsgruppen und ihrer Antagonisten: autokratische Herrscher.

Die Einmischung von Drittstaaten und die begrenzten Möglichkeiten potenzieller Versöhnungsprozesse in Abwesenheit der an den Kriegsverbrechen schuldigen Söldner schwächen zudem die politische Legitimität einer jeden zukünftigen Einheitsregierung.

Die Rolle der Vereinten Nationen

Im Oktober 2021 verkündeten die UN einen zweiten Durchbruch auf dem Weg zu einem langfristigen Waffenstillstand: den Aktionsplan für den Abzug ausländischer Söldner. Dieses durch die UN vermittelte Abkommen vervollständigt ein bereits 2020 geschlossenes Waffenstillstandsabkommen. Es bleibt jedoch abzuwarten, inwiefern das tatsächlich einen „historischen Moment“ markiert. Auch die erste Verständigung auf einen ausländischen Truppenabzug erbrachte kaum substanzielle Schritte, die Waffenruhe bleibt brüchig und die konkrete Umsetzung des Abkommens unklar.

Die UN haben die Entsendung unabhängiger Beobachtender und die Unterstützung bei strukturellen Reformprozessen angeboten. Ob es zu beidem kommen kann, hängt aber von einer Einladung durch die libyschen Akteure und dem Willen beteiligter Drittstaaten ab. Letztere ließen sich bei weiteren Verstößen zwar durch den UN-Sicherheitsrat sanktionieren, jedoch bleibt dies angesichts der Beteiligung Russlands in Libyen unwahrscheinlich, da die Vetomacht jede Entscheidung im Sicherheitsrat blockieren kann. So bleiben die Söldnergruppen vorerst Spieler im geopolitischen Kräfteringen Russlands und anderer Akteure.   

Von Joschka Dreher


Das könnte Sie auch interessieren