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Zur Lage von Flüchtlingskindern in Deutschland

Im vergangenen Jahr kamen circa 300 000 Flüchtlingskinder in Deutschland an – jeder dritte Flüchtling ist ein Kind. Die soeben erschienene UNICEF-Studie Lagebericht zur Situation der Flüchtlingskinder in Deutschland zeigt auf: Flüchtlignskinder haben oft keinen Zugang zu adäquater Gesundheitsversorgung oder der oft dringend nötigen psychosozialen Betreuung. Die Wartezeiten in den Erstaufnahmezentren liegt derzeit im Durchschnitt bei sechs Monaten, viel zu lang für Kinder, die oft auf der Flucht Schreckliches erlebt haben und die, wie alle Kinder, ein Recht auf ein „normales“, umsorgtes Leben haben.

Mahi, acht Jahre, aus Syrien in einer Berliner Flüchtlingseinrichtung © UNICEF/DT2016-45763/Ashley Gilbertson / VII Photo
Mahi, acht Jahre, aus Syrien in einer Berliner Flüchtlingseinrichtung. (UNICEF/DT2016-45763/Ashley Gilbertson / VII Photo)

Alle Kinder haben die gleichen Rechte

Alle Kinder haben ein Recht auf Schule, auf Gesundheitsversorgung, auf Mitsprache, und auch aufs Spielen. So steht es in der Kinderrechtskonvention von 1989, die 196 Länder  ratifiziert haben. In der EU gilt die Grundrechtecharta, die die Rechte der Kinder garantiert. Und im vergangenen Herbst haben 193 Länder auf der UN-Generalversammlung eine neue Agenda der Nachhaltigkeit beschlossen, in der es um nichts weniger geht, als “unsere Welt zu transformieren” und alle Menschenrechte einzulösen. Deutschland, mit Kanzlerin Merkels Rede auf der Generalversammlung, hat sich verpflichtet, für diese Agenda ein Vorreiter zu sein. Die Realität sieht anders aus, wenn man als Flüchtlingskind in Deutschland ankommt. Die soeben erschienene UNICEF-Studie Lagebericht zur Situation der Flüchtlingskinder in Deutschlandzeigt sachlich aber schockierend auf, dass Flüchtlingskinder in vielen zentralen Lebensbereichen schlechter gestellt sind als einheimische Kinder.

Flüchtlingskinder sind in Deutschland schlecht gestellt

Im vergangenen Jahr kamen  circa 300 000 Flüchtlingskinder in Deutschland an – jeder dritte Flüchtling ist ein Kind.  Sie haben oft keinen Zugang zu adäquater Gesundheitsversorgung oder der oft dringend nötigen psychosozialen Betreuung. Die Wartezeiten in den Erstaufnahmezentren liegt derzeit im Durchschnitt bei sechs Monaten, viel zu lang für Kinder, die oft auf der Flucht Schreckliches erlebt haben und die, wie alle Kinder, ein Recht auf ein „normales“, umsorgtes Leben haben.

In manchen dieser Zentren können Kinder nicht zur Schule oder Kita gehen, obwohl sie von einem strukturierten Schulalltag mit guten Lehrkräften oder Erzieherinnen und dem Umgang mit Gleichaltrigen profitieren würden und sie ohnehin häufig schon lange keinen Unterricht mehr hatten, so dass sie mit grossen Schulwissenslücken zu kämpfen haben. Oft sind Familien - immer noch - in Turnhallen, Messehallen oder Containerdörfern untergebracht, mit hohem Lärmpegel, ohne jegliche Rückzugsmöglichkeit,  prekärem Zugang zu Toiletten und Waschgelegenheiten, und häufig in einer tristen Umgebung ohne richtige Spielmöglichkeiten.

Kinder in der Notunterkunft im ehemaligen Hangar des Flughafens Berlin Tempelhof
Die Notunterkunft auf dem dem ehemaligen Berliner Flughafen Tempelhof (NUK Tempelhof) war eigentlich nur für vorübergehende Erstaufnahme vorgesehen. Dennoch sind die Verleibzeiten für Flüchtlinge in dieser Sammeleinrichtung unerträglich lang. Die meisten der momentan 1200 Flüchtlinge leben bereits mehr als einem halben Jahr in diesem großen lauten Hangar auf wenigen Quadratmetern, ohne vernünftige private Rückzugsmöglichkeit. Aktuell gibt es in der NUK Tempelhof 200 Kinder im schulpflichtigen Alters zwischen 6 - 16 Jahre. Da es noch immer nicht gelungen ist, die Flüchtlinge rasch in neue Unterkünfte weiterzuverteilen, wurden inzwischen so gut wie alle Kinder zumindest in der Umgebung eingeschult. Sobald allerdings die Familien eine neue Unterkunft zugewiesen bekommen, werden die Kinder die Schule wechseln müssen. Kaum dass sie sich in ihre Klasse eingewöhnt, vielleicht sogar schon Freunde gefunden haben, müssen sie schon wieder woanders hin. Durch eine vernünftige Planung der Flüchtlignsunterbringung könnte man den Kindern zumindest dieses zusätzliche Leid ersparen. Foto: Alfredo Märker

Der Bericht macht deutlich, dass die Situation der Flüchtlingskinder sehr stark von Zufällen abhängt – in welcher Kommune, in welchem Bundesland das Kind oder die Familie Aufnahme finden und woher sie kommen. Kinder aus manchen der vermeintlich sicheren Herkunftsländern werden in neuen Sondereinrichtungen untergebracht, wo sie gar keinen Schulzugang haben. Für unbegleitete Flüchtlingskinder – geschätzte 8000 Kinder im Jahr 2015  - hat jedes Bundesland andere Regelungen, manche gehen auf das Recht des Kindes ein, andere nicht.

Eine neue Initiative für Kinderrechte 

Das Familienministerium und zahlreiche Wohlfahrtsverbände  haben daher eine Initiative beschlossen. In Kürze werden deutschlandweit einheitliche Richtlinien für alle Flüchtlingsunterkünfte veröffentlicht werden, die das Ministerium, UNICEF und die Verbände erarbeitet haben. In 25 Konsultationseinrichtungen werden an der Umsetzung der Mindeststandards zum Schutz von Frauen und Kindern in Flüchtlingsunterkünften arbeiten und deren Einhaltung begleiten. Es gibt Lernmodule für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Flüchtlingsarbeit, die derzeit getestet werden.

Dabei findet – unbemerkt – ein Paradigmenwechsel statt. UNICEF wird zum ersten Mal seit den Jahren nach dem II. Weltkrieg in Deutschland aktiv, und berät nun die deutschen Einrichtungen zu den globalen Standards der Flüchtlingshilfe in Bezug auf  Kinderrecht, Kinderschutz und Unterstützung. Parallel dazu arbeitet UNICEF im Aktionsbündnis Kinderrechte schon länger daran, dass das Recht des Kindes im deutschen Grundgesetz verankert wird.

Gabriele Köhler
gewähltes Mitglied, UNICEF Komitee Deutschland
Vorstandsmitglied, DGVN

 

Lesen Sie außerdem auch den DGVN-Aufruf der letzten Mitgliederversammlung "Fluchtursachen wirksam bekämpfen, multilaterale Zusammenarbeit ausbauen, UNHCR stärken"


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