"Als junge Generation müssen wir noch stärker als bisher Zugang zu Verhandlungen einfordern."
Der Zukunftsgipfel am 22. und 23. September 2024 stellte den Höhepunkt eines mehrjährigen Prozesses zur Verabschiedung eines Zukunftspakts dar, welcher anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Vereinten Nationen im Jahr 2020 initiiert wurde. Vor Ort dabei in New York waren auch fünf Jugendbeobachterinnen und Jugendbeobachter der DGVN.
DGVN: In zwei Sätzen zusammengefasst: Was beinhaltet die Rolle als Jugendbeobachterin beim UN-Zukunftsgipfel?
Paula Schmidt: Als Jugendbeobachterinnen und Jugendbeobachter der DGVN zum UN-Zukunftsgipfel haben wir an Veranstaltungen des Gipfels und der Youth Action Days der UN teilgenommen, dort unsere Perspektiven eingebracht und uns mit anderen Jugendvertreterinnen und Jugendvertretern sowie Entscheidungstragenden zu den vielfältigen Themen des Zukunftspakts ausgetauscht.
Nun werden wir in Deutschland von unseren Erfahrungen bei den UN berichten, um jungen Menschen und allen Interessierten einen besseren Überblick über die konkreten Ziele des Zukunftspakts und die Arbeitsweise der Vereinten Nationen zu geben. Außerdem werden wir mit unseren Forderungen an Politikerinnen und Politiker herantreten.
Welche Schwerpunktthemen habt ihr euch gesetzt? Was für Erwartungen hattet ihr diesbezüglich an den UN-Zukunftsgipfel?
Sechs Jugendbeobachterinnen und Jugendbeobachter, sechs Schwerpunktthemen: Alle haben sich im Voraus auf bestimmte Themen des Zukunftsgipfels fokussiert. Ich habe mich viel mit internationaler Digitalpolitik und dem Globalen Digitalpakt (Global Digital Compact) befasst, da es mich besonders interessiert, wie die Vereinten Nationen die globale Regulierung des Internets und künstlicher Intelligenz künftig angehen wollen.
Auch internationale Friedenssicherung, Abrüstung, Bildung, Jugendbeteiligung und Frauenrechte waren im Team unter anderem als Fokusthemen vertreten. Angesichts der inhaltlichen Breite des Zukunftsgipfels waren wir insgesamt sehr skeptisch, inwieweit konkrete inhaltliche Ergebnisse und Handlungsempfehlungen im Pakt festgehalten werden können. Bei meinem Thema, der internationalen Digitalpolitik, hatte ich mir erhofft, dass sich der Globale Digitalpakt klar zu Menschenrechten im digitalen Raum bekennt und das Multi-Stakeholder-Modell – also das Einbeziehen verschiedener Interessensgruppen aus der Zivilgesellschaft – bei der Regulierung des Internets nicht so geschwächt wird, wie befürchtet.
Und wurden eure Erwartungen erfüllt?
Viele Punkte, die uns als Jugendbeobachterinnen und Jugendbeobachter wichtig waren, haben es in den Zukunftspakt geschafft: beispielsweise die Stärkung von Jugendbeteiligung bei internationalen Prozessen, die geplante Reform des Sicherheitsrates und die klaren Verweise auf die Wichtigkeit der Klimaziele und der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals - SDGs). Jedoch bleibt vieles leider weitgehend unkonkret, und gerade im vierten Kapitel des Pakts zur Jugend war die Sprache in den vorherigen Versionen des Pakts noch weitaus deutlicher als in der finalen Version.
Das ist aus unserer Sicht natürlich enttäuschend. In unseren Gesprächen mit den Verhandlerinnen und Verhandlern des Pakts bei der Ständigen Vertretung Deutschlands zu den Vereinten Nationen wurde uns allerdings auch richtig bewusst, welch ein großer Erfolg schon die Änderung einzelner Worte in einem UN-Pakt sein kann, und wie wichtig es ist, dass wir uns als internationale Staatengemeinschaft überhaupt auf einen Wortlaut einigen.
Habt ihr generell den Eindruck, dass die Perspektive junger Menschen in UN-Prozessen mitgedacht wird?
Die UN bemühen sich, die Beteiligung junger Menschen an Entscheidungsprozessen stetig zu erhöhen. Erst letztes Jahr wurde das UN-Büro für Jugendfragen (UN Youth Office) geschaffen, eine eigene UN-Abteilung, die beim UN-Generalsekretär angesiedelt ist und die Jugendbeteiligung bei der UN künftig strategisch vorantreiben soll. Zudem gibt es eine Sondergesandte für Jugend (Special Envoy on Youth), die konkret beauftragt ist, die Repräsentation junger Menschen sicherzustellen.
Aktuell sind wir als Jugend noch häufig Gesprächsgegenstand. Wir fordern als Subjekte aber einen Platz am Tisch.
Trotz dieses positiven Paradigmenwechsels bei den Vereinten Nationen müssen wir als Jugendbeobachterinnen und Jugendbeobachter kritisch anmerken, dass es bei den Verhandlungen zum Zukunftspakt leider keine echte Jugendbeteiligung gab - sogar bei den sogenannten Youth Action Days vor dem Gipfel waren junge Menschen eher in der Minderheit.
Wir beobachten auf UN-Ebene, dass Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger oft PR-Bilder mit jungen Menschen bei UN-Veranstaltungen machen, während die Türen zu den eigentlichen Verhandlungen geschlossen bleiben. Die US-Senatorin Elizabeth Warren sagte einmal: “If you don’t have a seat at the table, perhaps you are on the menu.” (dt. „Falls Sie keinen Platz am Tisch haben, sind Sie wahrscheinlich auf der Speisekarte.“) Aktuell sind wir als Jugend noch häufig Gesprächsgegenstand. Wir fordern als Subjekte aber einen Platz am Tisch. Hier gibt es bei den UN noch viel Luft nach oben!
Deutschland hat zusammen mit Namibia die Rolle der Ko-Fazilitatoren übernommen und damit den Gipfel maßgeblich mitgeplant. Viel Aufmerksamkeit hat der Gipfel in der Öffentlichkeit in Deutschland im Vorfeld aber nicht bekommen. Woran könnte das liegen?
In Deutschland liegen gerade viele innenpolitische Themen auf dem Tisch, die die Öffentlichkeit stark beschäftigen. Wie geht es nach den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg weiter? Was hat es mit dem Chaos bei den Grünen auf sich? Bricht die Regierung auseinander? Im Vergleich hierzu ist die internationale Ebene, auf der die Vereinten Nationen operieren, oft weit weg. Außerdem stehen international aktuell eher die Konflikte in Libanon, Gaza oder Israel im Vordergrund.
Die Kommunikation der UN in die Mitgliedstaaten hinein gestaltet sich hier als schwierig, da es letztendlich von den Staaten und Medien selbst abhängt, welche Rolle sie den UN und ihren Projekten gerade einräumen wollen. In Deutschland reiht sich die inhaltliche Bandbreite des Zukunftsgipfels mehr in ein allgemeines UN-Echo ein, weshalb dieser es von Beginn an schwer hatte, hervorzustechen. Schade, denn mit dem globalen Digitalpakt und dem Pakt für künftige Generationen, die neben dem Zukunftspakt verabschiedet wurden, haben die UN einen gestalterischen Schritt in die Zukunft gewagt, von dem auch Menschen in Deutschland langfristig noch profitieren werden.
Welche Herausforderungen seht ihr für junge Menschen in Bezug auf die Umsetzung der „Actions“, die der Zukunftspakt beinhaltet?
Der Zukunftspakt besteht aus 56 Actions und 5 Kapiteln – 56 Ziele, die die Vereinten Nationen sich selbst setzen, um die bestehenden Ziele für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 zu bekräftigen und auf neue Herausforderungen eine Antwort zu finden. Im vierten Kapitel zu Jugend und zukünftigen Generationen wird zum Beispiel beschrieben, dass der Zugang junger Menschen zu Bildung, Jobs, neuen Technologien sowie zum Gesundheitswesen gestärkt und familien- und jugendfreundliche Politik gefördert werden soll.
Uns freut es natürlich sehr, dass es ein Ziel wie dieses in den Pakt geschafft hat. Jedoch bleibt hier die gleiche Herausforderung wie bei allen Actions: Wer misst die genaue Umsetzung? Und wie? Letztendlich hängt es an den 193 UN-Mitgliedstaaten, ob diese die formulierten Ziele in ihre nationale Politik implementieren. Der Zukunftspakt ist von herausragender Bedeutung, weil er die Ambition der internationalen Staatengemeinschaft dokumentiert, gemeinsam in konkreten Schritten auf eine lebenswerte Zukunft hinzuarbeiten. Er ist allerdings keine völkerrechtlich bindende Resolution, die die Mitgliedstaaten zu konkreten Handlungen verpflichtet.
Welche konkreten Schritte sollten unternommen werden, um sicherzustellen, dass die Anliegen junger Menschen innerhalb des Zukunftspakts nach dem Gipfel Gehör finden?
In seiner Eröffnungsrede zu den Youth Action Days sagte UN-Generalsekretär António Guterres: „Macht wird nie gegeben, sie wird genommen.“ Als junge Generation müssen wir noch stärker als bisher Zugang zu Verhandlungen einfordern. Auch der reine Zugang ist noch nicht genug: Wir möchten eine gleichberechtigte Rolle am Tisch einnehmen. Nur so kann es eine wahre Ko-Gestaltung und echte Verhandlungsprozesse geben.
Die institutionalisierte Jugendbeteiligung muss ausgebaut werden, das UN-Büro für Jugendfragen braucht mehr finanzielle Ressourcen, in nationalen Ministerien sollten Jugendgremien geschaffen werden. Zudem wäre die Einführung eines generellen Jugend-Checks empfehlenswert, der Gesetzesvorhaben so überprüft, dass deren Wirkung auf künftige Generationen gemessen werden kann. Es muss hier begleitend eine KI-Taskforce geschaffen werden, die den Jugend-Check beispielsweise durch einen ‚Red-Teaming-Vorgang‘ unterstützt: Das ist ein Begriff aus der Cybersicherheit, bei dem eine Gruppe versucht, die Effektivität eines Sicherheitsmanagements zu verbessern, indem sie als Gegner auftritt und die Sicherheitsmaßnahmen eines Unternehmens testet. Ein ähnliches Vorgehen wäre bei Jugend-Checks auf nationalem und internationalem Level denkbar: Ist das Gesetz effektiv und zukunftsfähig oder eher jugendfeindlich?
Was war dein persönliches Highlight?
Die unzähligen Begegnungen und Diskussionen mit jungen Menschen aus der ganzen Welt waren für mich ein einzigartiges Erlebnis. Gemeinsam einen UN-Gipfel begleiten, sich für die Interessen junger Menschen einsetzen zu dürfen - das hat uns alle beflügelt und zusammengeschweißt. Es ist schwer, unter den vielen großartigen Veranstaltungen ein spezifisches Highlight herauszufiltern. Als besonders surreal empfand ich aber unsere Teilnahme an einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates zur Situation in Libanon. Einmal selbst zusehen zu dürfen, wie der Sicherheitsrat sich mit den drängendsten Konflikten in unserer Welt beschäftigt – das werde ich so schnell nicht vergessen!