Menü

Bevölkerungsentwicklung in der Pandemie

Mehr als 7,8 Milliarden Menschen leben derzeit auf der Welt. Fast 1,5 Millionen sind bereits mit oder an Covid-19 gestorben. Die Folgen der Pandemie für die Bevölkerungsentwicklung sind vielschichtig.

In Hamdayet/Sudan wird eine Frau medizinisch beraten
In Hamdayet/Sudan wird eine Frau medizi­nisch beraten. (Foto: UNFPA Sudan/Sufian Abdul-Mouty)

Das Bevölkerungswachstum der Welt bestimmt sich durch die Entwicklung der Geburtenziffern (Fertilität) und der Sterblichkeit (Mortalität). Betrachtet man einzelne Länder, kommen noch die Zu- und Abwanderung hinzu. Immer wieder machte in der Corona-Pandemie auch der Begriff „Übersterblichkeit“ die Runde. Er bezeichnet eine im Vergleich zur Empirie oder zu Erwartungswerten erhöhte Sterblichkeit. Damit soll die Frage beantwortet werden, ob innerhalb eines bestimmten Zeitraums mehr Leute gestorben sind, als normalerweise in einem vergleichbaren Zeitraum sterben würden. Sie wird derzeit herangezogen, wenn Covid-19 als Todesursache in vielen Einzelfällen nicht festgemacht werden konnte.
 

Rückschritte bei der Bekämpfung anderer Krankheiten

Doch in der Pandemie hat nicht allein Covid-19 in vielen Ländern eine erhöhte Sterblichkeit zu Folge. Hinzu kommt, dass sich viele Menschen mit Gesundheitsproblemen nicht in Behandlung begeben oder keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben, zum Beispiel weil sie unter Lockdown-Bedingungen keine Transportmöglichkeit haben, weil Krankenhäuser überlastet sind oder Lieferketten von Medikamenten unterbrochen sind.

Der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria gibt an, dass 85 Prozent der von ihm unterstützten Programme infolge der Corona-Pandemie Schwierigkeiten bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten haben. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass bereits eine sechsmonatige Unterbrechung der HIV-Therapien in Afrika südlich der Sahara dazu führen kann, dass sich die Aids-Todesfälle dort verdoppeln. Hinzu kommt die erhöhte Gefahr von Drogenmissbrauch und Selbstmorden.

Wenn immer mehr Menschen in die Armut abrutschen, steigt auch das Risiko zunehmender Mangelernährung. All das kann dazu führen, dass in Folge der Pandemie deutlich mehr Menschen sterben, die unter „normalen“ Umständen nicht gestorben wären.

Andererseits: Bereits früh wurde klar, dass die Maßnahmen zum Schutz vor SARS-Cov-2 gleichzeitig vor Grippe schützten, so dass die Anzahl der Grippetoten im vergangenen Frühjahr deutlich niedriger war als in den Jahren zuvor. Auch kommt es insbesondere während Lockdowns aufgrund des niedrigen Verkehrsaufkommens zu weniger tödlichen Verkehrsunfällen und die Luftqualität hat sich in besonders belasteten Regionen verbessert.

Dies sind nur einige Beispiele, die zeigen, wie komplex die Faktoren sind, die auf die Sterblichkeit Einfluss nehmen. Noch lässt sich nicht sagen, in welchem Ausmaß die Corona-Pandemie Bevölkerungsentwicklungen insgesamt beeinflussen wird.

Aber auch bei der Entwicklung der Geburtenziffern spielt die Corona-Pandemie eine Rolle. So weist die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) in ihrem neusten Datenreport 2020 darauf hin, dass durch die Pandemie die Versorgung mit Verhütungsmitteln und der Zugang zu Diensten im Bereich sexuelle und reproduktive Gesundheit vielerorts eingeschränkt war oder immer noch ist. In Kenia sei in der Folge von April bis Juli 2020 die Anzahl der Teenager-Schwangerschaften um geschätzte 40 Prozent gestiegen.
 

Schädliche Praktiken beenden

Auch in vielen Ländern noch immer vorkommende schädliche Praktiken nehmen in Krisen zu. Dies zeigt der diesjährige Weltbevölkerungsbericht des Weltbevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) „Gegen meinen Willen – Praktiken beenden, die Frauen und Mädchen schaden und Gleichstellung verhindern“. Dazu gehören weibliche Genitalverstümmelung, Frühverheiratung und die Bevorzugung von Söhnen. Programme zur Abschaffung solcher Praktiken sind derzeit schwer umzusetzen, insbesondere wenn Schulen geschlossen sind. Programme, die Mädchen unterstützen, die Schule abzuschließen und dadurch einer zu frühen Verheiratung zu entgehen, funktionieren kaum oder gar nicht.
 

Die Wirkung demographischer Faktoren auf das Pandemie-Geschehen

Nicht nur der Frage, wie die Pandemie auf die Bevölkerungsentwicklung wirkt, sondern vor allem auch wie umgekehrt globale soziodemografische Entwicklungen die Pandemie beeinflussen, untersucht die DSW im Datenreport 2020. Für COVID-19 wurde festgestellt, dass bei älteren Menschen das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs erhöht ist. In Italien, das im Frühjahr 2020 stark von der Pandemie betroffen war und nun die zweite Welle durchmacht, sind laut dem DSW-Datenreport 23 Prozent der Menschen 65 Jahre oder älter. In Ostafrika hingegen leben überwiegend junge Menschen. Nur drei Prozent der Bevölkerung sind 65 Jahre oder älter. Dort scheint das Virus nach bisherigen Erkenntnissen weniger Tote zu fordern. Stattdessen bekommen die Länder südlich der Sahara die indirekten Folgen der Pandemie besonders stark zu spüren, darunter die reduzierte medizinische Grundversorgung. Auch Faktoren wie Familiengröße, beengte Lebensverhältnisse oder die Krankheitslast in einer Bevölkerung spielen für das Pandemiegeschehen eine Rolle.
 

„World Population Prospects“

Bevölkerungsdaten sind von großer Bedeutung, nicht nur im Gesundheitsbereich, sondern auch in vielen anderen Bereichen nachhaltiger Entwicklung. Deshalb veröffentlicht die Bevölkerungsabteilung der Vereinten Nationen im Abstand von zwei Jahren die „World Population Prospects“, eine umfassende Zusammenstellung von Bevölkerungstrends weltweit.

Die UN-Schätzungen von 2019 beziehen sich auf den Zeitraum von 1950 bis zur Gegenwart. Projektionen bis 2100 spiegeln verschiedene plausible Verläufe wieder. 2019 wurde vorausgesagt, dass nach mittlerem Verlauf die Weltbevölkerung bis 2030 auf 8,5 Milliarden wachsen wird, bis 2050 auf 9,7 Milliarden und bis 2100 auf 10,9 Milliarden. Dabei wird davon ausgegangen, dass es weiter Fortschritte bei der freiwilligen Familienplanung, bei der Gesundheitsversorgung, beim Zugang zu Bildung und bei der Stärkung von Frauen und Mädchen gibt und dass die Sterblichkeit weiter sinkt.

Wie alle Projektionen sind jedoch auch Bevölkerungsprojektionen mit Unsicherheit behaftet. Allerdings geht die Wirtschafts- und Sozialabteilung der Vereinten Nationen (UN-DESA) davon aus, dass diese Unsicherheiten vor allem bei einem langfristigen Zeithorizont zum Tragen kommen, und viel stärker bei den Geburtenziffern als bei der Sterblichkeit. Insgesamt seien Bevölkerungsprojektionen mit sehr viel weniger Unsicherheit behaftet als viele andere Trendprojektionen, die für eine nachhaltige Entwicklung von Bedeutung sind.

Zur Bewältigung von Krisen wie Pandemien helfen vor allem disaggregierte Daten, die die Sterblichkeit nach Alter, Geschlecht und anderen demographischen Faktoren so genau wie möglich erfassen. Damit lassen sich spezifischere Maßnahmen entwickeln, um besonders gefährdete Gruppen besser schützen zu können.
 

Weitere Informationen:

UN-DESA Population Division: How certain are the United Nations global population projections? Dezember 2019.

UNFPA/DSW: Weltbevölkerungsbericht 2020

Deutsche Stiftung Weltbevölkerung: DSW-Datenreport 2020.

Deutsche Stiftung Weltbevölkerung: Länderdatenbank

UN-DESA Population Division: World Population Prospects 2019.
 

Christina Kamp


Das könnte Sie auch interessieren