Zwei sind genug – aber keine Lösung. Ägyptens Kampf gegen das Bevölkerungswachstum
Die ägyptische Bevölkerung hat sich in den letzten 40 Jahren verdoppelt und wird dies bei derzeitiger Wachstumsrate in ähnlicher Geschwindigkeit wieder tun. 2018 wird sie auf 99 Millionen Menschen geschätzt – 2009 waren es noch 82 Millionen und damit so viele Menschen wie die Bevölkerung des gesamten Nahen Ostens 1950. Präsident Abdel Fattah al-Sisi erklärte 2018 Bevölkerungswachstum und Terrorismus zu den zwei größten Bedrohungen des Landes. Ersteres soll nun mit der „Zwei sind genug“-Kampagne, die Familien anregt nicht mehr als zwei Kinder zu bekommen, unter Kontrolle gebracht werden.
Nicht nur der Präsident schätzt das anhaltende Bevölkerungswachstum als Gefahr ein. Denn Ägypten mangelt es an Energie, Wasser, bewohnbarem Land, Arbeitsplätzen und sozialen Infrastrukturen, um seine Bevölkerung versorgen zu können. Hierdurch bedingte soziale, politische und wirtschaftliche Missstände, vor allem steigende Lebenshaltungskosten, trieben bereits 2011 die Menschen in Ägypten auf die Straßen. Bei anhaltendem Bevölkerungswachstum droht dem Land eine politische, humanitäre und ökologische Krise. Die schon belastete Umwelt wird noch mehr Verkehr und Müll ausgesetzt. Ägypten hat bereits jetzt Schwierigkeiten, ausreichend Wasser und Lebensmittel bereit zu stellen. Und diese Situation wird sich weiter verschärfen, zum Beispiel durch die Inbetriebnahme des „Renaissance-Staudamms“ am äthiopischen Nil, oder wegen durch den Klimawandel schrumpfenden Nutzflächen.
Seit 2011 steigt die Geburtenrate in Ägypten erstmals wieder
Bereits in den 1970er Jahren wurde das Bevölkerungswachstum als Herausforderung anerkannt. Als eines der ersten Länder weltweit schloss Ägypten 1972 eine Vereinbarung zur Verringerung des Wachstums mit dem Bevölkerungsfond der Vereinten Nationen (United Nations Population Fund - UNFPA) ab. In den 1980er Jahren argumentierte der damalige Präsident Hosni Mubarak , dass das Bevölkerungswachstum das entscheidende Hindernis für die Entwicklung des Landes und die Verbesserung des Lebensstandards sei. Daraufhin wurde bis 2008 die Geburtenrate von über fünf Kinder pro Frau auf drei reduziert.
Doch die politischen Unruhen zwischen 2011 und 2014 in Ägypten schlugen sich auch in der demographischen Entwicklung des Landes nieder. Bildungsangebote und medizinische Versorgung wurden unregelmäßiger und Subventionen für Verhütungsmittel wurden – vor allem während der Präsidentschaft Morsis – gestoppt. So stieg die Geburtenrate zwischen 2005 und 2014 erneut von drei auf 3,5 Kinder an, und die Nutzung von Verhütungsmitteln sinkt stetig.
Laut Al-Sisi ist das Bevölkerungswachstum die Hauptursache für die Missstände im Land. Die dichte Berichterstattung regierungsnaher Medien zu den Kampagnen der Regierung zeigt, dass Bevölkerungspolitik andere – besonders politische – Reformen ersetzen soll, die die Macht al-Sisis einschränken könnten.
Anregung statt Zwang
Ein Beispiel hierfür ist die 2018 gestartete Kampagne „2 Kefaya“ (Zwei sind genug) des Ministeriums für soziale Solidarität in Kooperation mit UNFPA, USAID und lokalen NGOs. Auf fünf Jahre angelegt soll sie Familien, die Sozialhilfe empfangend, dazu motivieren, nicht mehr als zwei Kinder zu bekommen. Die zentrale Botschaft ist, dass Mütter zwei Kindern mehr Aufmerksamkeit schenken können als fünf. Teil der Kampagne sind mobile Kliniken, Medienkampagnen und Seminare für Frauen. Außerdem soll die Position der teilnehmenden Frauen auf dem Arbeitsmarkt gestärkt werden. Die geplanten Maßnahmen haben Potential zu einer nachhaltigen, langfristigen Entwicklung beizutragen, besonders da sie Familien von den Vorteilen einer kleinen Familie überzeugen möchten und mit Anregungen anstelle von Zwang funktionieren sollen.
Die „Zwei sind genug“-Kampagne wird neben USAID und der ägyptischen Regierung von UNFPA mit ca. fünf Millionen US Dollar unterstützt. Damit wird die Ausbildung von medizinischem Personal zur Beratung von Frauen über Möglichkeiten der Verhütung finanziert. Dr. Natalia Kanem, die Geschäftsführerin von UNFPA, sieht die Hauptaufgabe darin, fundierte Informationen zu verbreiten und so Mythen und Fehlinformationen entgegenzuwirken.
Die Kampagne stößt jedoch auf Hindernisse: Anfang 2019 berichtete Reuters, dass in Kliniken in ländlichen Gegenden auf Grund mangelnder staatlicher Finanzierung bereits keine Verhütungsmittel mehr zur Verfügung ständen. Premierminister Mostafa Madbuli kündigte – gegen den Anspruch der Kampagne auf Freiwilligkeit – negative Konsequenzen für kinderreiche Familien an. Es widerspreche der sozialen Gerechtigkeit, wenn Familien mit vielen Kindern Sozialhilfe erhielten, weshalb Leistungen für Kinder ab dem zweiten gestrichen werden sollen. Dennoch sind Verhütungsmittel meist nicht kostenfrei und es gibt keine Möglichkeit des legalen Schwangerschaftsabbruchs.
Entsprechend weist die neue Bevölkerungspolitik bisher schwache Resultate vor, wie der Länderreport des UNFPA 2016 beschreibt. Dies liegt maßgeblich an unzureichender Finanzierung, schlechter Koordinierung und mangelnder Kontinuität – Faktoren, welche das Potential der „Zwei sind genug“-Kampagne bereits nach einem halben Jahr in Frage stellen.
Ohne UNFPA läuft es nicht
Gerade deshalb ist die Arbeit des UNFPA in Ägypten unerlässlich. Sie konzentriert sich darauf, Ministerien und lokale Regierungsinstitutionen in ihrem Engagement für reproduktive Gesundheit zu stärken. Ein weiterer Schwerpunkt ist die sexuellen Aufklärung Jugendlicher. Dies wird mit mobilen Kliniken und in Zusammenarbeit mit Jugendorganisationen in allen Provinzen sowie mit Werbekampagnen umgesetzt. Außerdem werden in Kooperation mit der Industrie Initiativen durchgeführt, die junge Erwachsene einerseits für den Arbeitsmarkt qualifizieren und im gleichen Zuge über Familienplanung informieren sollen.
Die Bedeutung der Maßnahmen von UNFPA zeigt, dass der ägyptischen Regierung die Infrastruktur und die finanziellen Mittel fehlen, selbstständig das Bevölkerungsproblem anzugehen. Dies ist nicht auf Ägypten beschränkt. Das Thema ist eine Herausforderung im gesamten Nahen Osten wie auch in vielen Ländern Sub-Sahara Afrikas. Internationale Organisationen wie das UNFPA sind im Umgang mit dem weltweitem Bevölkerungswachstum daher besonders wichtig und können lokal fehlende Strukturen und Mittel auszugleichen helfen. Denn dessen negativen Folgen – sowohl für die Umwelt als auch die Wirtschaft – bleiben nicht lokal beschränkt, sondern werden regionale oder sogar globale Konsequenzen haben.
Der Erfolg etwa des UNFPA hängt jedoch von lokalen politischen Strukturen ab, wie die negative Entwicklung der Geburtenrate in Ägypten in den letzten Jahren zeigt. Zwar können internationale Akteure Konstanz, Erfahrung sowie finanzielle Mittel in den Umgang mit Bevölkerungswachstum bringen. Sie können jedoch keiner Regierung entgegenwirken. Deshalb wird der Erfolg der „Zwei sind genug“-Kampagne wie auch der Aktivitäten des UNFPA davon abhängen, ob die ägyptische Regierung ihre Bemühungen zur Eingrenzung des Bevölkerungswachstums ernst nimmt – oder sie wieder fallen lässt, sobald deutlich wird, dass hierdurch die aktuellen Probleme des Landes nicht kurzfristig gelöst werden können.
Tonja Klausmann