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Debatte: Die Re­form der inter­natio­nalen Finanz­archi­tek­tur: Was bringt der UN-Zukunfts­gipfel?

Der UN-Zukunftsgipfel (Summit of the Future) hat den Anspruch, das multilaterale System fit für die nächsten Jahrzehnte zu machen, fast 80 Jahre nach der Gründung der Vereinten Nationen. Mit Aussicht auf Erfolg? Ein Meinungsbeitrag.

Halle mit voll besetzten Bänken, im Hintergrund ein Podium.
Blick in die Generalversammlung. (UN Photo/Loey Felipe)

Als Teil seiner komplexen Agenda befasst sich der Gipfel auch mit der Reform der internationalen Finanz­architektur. Ihre Reform ist besonders für die Länder des Globalen Südens Priorität. Auch UN-General­sekretär António Guterres hat die Finanz­architektur wiederholt als „veraltet, dysfunktional und unfair“ bezeichnet.   

Die zwei zentralen Institutionen der internationalen Finanz­architektur, die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (International Monetary Fund - IMF), sind noch ein Jahr älter als die Vereinten Nationen selbst. Gegründet im Juli 1944 auf der Bretton-Woods-Konferenz in den USA, verkörpern sie für viele die überkommene Nachkriegsordnung des Westens – mit den USA als uneingeschränkter Supermacht im Zentrum, den Europäern als privi­legierten Satelliten drumherum, und der großen Masse der Länder des Globalen Südens als marginalisierten Mitgliedern dritter Klasse mit dabei. 

Ungleich­heiten durchziehen die Bret­ton-Woods-Insti­tutionen

Anders als bei den Vereinten Nationen gilt bei den Bretton-Woods-Institutionen nicht das Prinzip der Staatengleichheit, sondern ein Wahlrecht basierend auf dem Prinzip „ein Dollar – eine Stimme“. Wirtschaftlich stärkeren Ländern werden mehr Stimmrechte zugeteilt. Im Ergebnis halten alleine die USA über 15 Prozent der Stimmrechte und haben damit als einziges Land ein de-facto-Veto­recht über alle zentralen Entscheidungen. 

Auch die Zusammensetzung des Vorstands ist ungleich. Sieben Länder, darunter Deutschland, haben beim IMF einen eigenen Exekutiv­direktor, der exklusiv ihre Interessen vertritt. Die überwiegende Mehrheit der 54 afrikanischen Länder wurden dagegen bislang von nur zwei Direktoren vertreten, die die Interessen einer Vielzahl von extrem heterogenen Ländern einbringen sollen. Selbst die Chefposten teilen die Großmächte des Westens unter sich auf. Seit Gründung gilt das sogenannte ‘Gentlemen‘s Agreement’, wonach die USA den Chef der Weltbank ernennen, und die Europäer jenen des IMF. 

Das Ganze ist umso eklatanter, als die Bretton-Woods-Institutionen heutzutage nur noch im Globalen Süden operieren. Die Weltbank wurde zwar als Wiederaufbaubank für Europa gegründet, und der IMF war nach Ende des Kalten Krieges auch in die Trans­formation Osteuropas involviert. Doch heute sind quasi alle Finan­zierungs- und Berat­ungs­pro­gramme im Globalen Süden. IMF und Weltbank werden also von Ländern kontrolliert, in denen sie nicht operieren, während jene Länder, in denen sie operieren, kaum Einfluss auf größere Entscheidungen nehmen können.

Reform­druck trifft beim Zukunfts­gipfel auf Reform­unfähigkeit – und Unwil­ligkeit

Keine Überraschung also, dass besonders die Entwicklungsländer auf eine Reform drängen. Der UN-Zukunftsgipfel eignet sich dafür besonders. Denn gerade was Governance angeht, sind IMF und Weltbank zur Selbstreform weitgehend unfähig. Jede Reform wäre von der Zustimmung ihrer Vorstände abhängig, in denen die reform­unwilligen Akteure in der Übermacht sind und jeden Ansatz von Reformprozess traditionell im Keim ersticken. 

Der letzte Entwurf des UN-Zukunftspaktes, der das zentrale Ergebnis des Gipfels werden soll, greift das Thema auch auf, bislang ist aber nur vage davon die Rede (Action 49 / Paragraf 73), die Vertretung und das Mitsprachrecht der Entwicklungsländer in den Bretton-Woods-Institutionen zu stärken. Weitergehende Vorschläge, wie sie zum Beispiel der UN-Generalsekretär in seinem Konzeptpaper zur Reform der internationalen Finanz­architektur gemacht hat, sind in der jüngsten Fassung nicht enthalten. Er hatte sich zum Beispiel zur Einführung der doppelten Mehrheiten im Wahlsystem eingesetzt, dass neben der Wirtschafts­kraft auch die Bevölkerungsgröße von Ländern berücksichtigen würde. 

Schulden­architektur: Eklatante Lücke im globalen System

Eine der signifi­kantesten Entwicklungen im Jahrzehnt seit Vereinbarung der Agenda 2030 und der Ziele für nach­haltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) ist der massive Anstieg der Verschuldung in Globalen Süden. Zum Teil ist die Schuldenkrise dadurch bedingt, dass viele Entwicklungs­länder ernsthaft versucht haben, die notwendigen Investitionen zu tätigen, die für die Umsetzung der Agenda 2030 nötig sind. Zur Finanzierung standen dabei häufig nur Kredite zur Verfügung, und die zu weitaus schlechteren Bedingungen als im Globalen Norden. Während der deutsche Staat sich in seiner eigenen Währung verschulden kann, müssen Entwicklungs­länder meist Fremd­währungs­kredite in Dollar oder Euro aufnehmen. Während die Bundes­regierung die Kapital­märkte zu Zins­sätzen von knapp über 2 Prozent anzapfen kann – zu Zeiten der Corona­krise waren die Zinsen sogar unter null – müssen afrikanische Länder im Schnitt Zinssätze von gut 10 Prozent zahlen. 

Die Schuldenkrise war damit quasi programmiert, und ist nun auch mit Wucht eingetreten. Die Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (United Nations Conference on Trade and Development – UNCTAD) berichtet in ihrem Bericht „A world of debt“, dass mehr als 50 Länder über zehn Prozent ihrer Staatseinnahmen alleine für Zinszahlungen ausgeben müssen. Für afrikanische Länder heißt das, dass sie mehr Geld für Zinsen ausgeben als für den gesamten Bildungs- oder Gesundheitssektor. Jeder Dollar, der an die Gläubiger überwiesen wird, ist ein Dollar weniger für die SDG-Finanzierung. 

Ein Problem ist die Abwesenheit effektiver Institutionen, um Staats­schulden­krisen zu lösen. Bei Unternehmens­insolvenzen gibt es Insolvenz­gerichte, die schnell und verbindlich Entscheidungen fällen können, und ein ausgefeiltes Insolvenz­recht, das die Basis für Entscheidungen ist. Für Staatschuldenkrisen gibt es im multilateralen System nichts dergleichen. Länder wie Argentinien, Äthiopien oder Sambia stecken deshalb seit Jahren in Schuldenkrisen fest, ohne einen Ausweg finden zu können. Die Schulden­architektur ist ein Nicht-System, eine Governancelücke im multilateralen System. Damit ist der Bereich prädestiniert für den UN-Zukunftsgipfel, der genau solche Lücken identifizieren und füllen soll. 

Die Schulden­architektur ist ein Nicht-System, eine Governancelücke im multilateralen System.

Die bisherigen Verhandlungen haben aber auch gezeigt, dass die Reformer gegen beachtliche politische Widerstände ankämpfen müssen. Gerade die G20-Mitgliedstaaten des Westens verteidigen vehement ihren sogenannten Gemeinsamen Rahmen zum Umgang mit Schulden (Common Framework for Debt Treatments– ein informelles Forum, mit dem sie versuchen, China in gemeinsame Verhandlungen zum bilateralen Schulden­erlass einzubinden. Das Common Framework bietet aber keine Lösungen für Schulden bei multilateralen Gläubigern – etwa bei Weltbank und IMF – oder die besonders hoch verzinsten Kredite bei privaten Gläubigern. Der erste Verhandlungs­entwurf des Zukunfts­paktes mandatierte daher den UN-General­sekretär, eine Expertengruppe einzusetzen, die der Vierten Inter­natio­nalen Konferenz über Entwicklungs­finanzierung (FfD4) im Juli 2025 in Sevilla einen Beschluss vorlegen sollte. Das war eines der wenigen konkreten erwarteten Ergebnisse des Zukunftspakts. 

Hand­lungs­spiel­räume wurden bereits im Vorfeld einge­schränkt

Die neueste Version hat den UN jedoch das Mandat entrissen, und dem IMF übergeben. Auch die Referenz zum FfD4-Gipfel wurde gelöscht. Damit wurde den UN ein zentraler Bereich der Reform der internationalen Finanz­architektur entzogen, und mit dem IMF an eine Institution übertragen, die genau von jenen Gläubigerländern dominiert wird, die seit Jahrzehnten jeden ernsthaften Reformversuch blockieren.        

Weil der große Wurf gestoppt wurde, bleiben daher im Zukunftspakt nur Details. Der IMF wird aufgerufen, seine Politik der Strafzinsen zu überprüfen, die er Ländern auferlegt, die größere Geldmengen über längere Zeiträume aufnehmen. Das könnte Krisenländer zumindest etwas entlasten, ihnen etwas mehr fiskalischen Spielraum einräumen. Ansonsten ist da der Aufruf an alle Gläubiger, Klauseln in ihre Kreditinstrumente aufzunehmen, die es den Schuldnern erlauben, im Falle von Schocks wie Naturkatastrophen und Pandemien den Schuldendienst zeitweilig einzustellen. Damit das auch passiert, wäre allerdings ein effektiver Follow-up-Prozess nötig.

Biennial Summit - Stärkung der UN in der Global Economic Gover­nance

Als Rettungsanker bleibt der Biennial Summit (Action 49 / Paragraph 73). Zukünftig soll auf UN-Ebene alle zwei Jahre ein Gipfel auf Ebene der Staats- und Regierungs­chefinnen und -chefs stattfinden, um die Arbeit der Bretton-Woods-Institutionen und jene der UN besser zu koordinieren. Das neue Format kann als Versuch der UN angesehen werden, ein Stück weit des Bodens in der Global Economic Governance zurückzu­gewinnen, der in den letzten 15 Jahren an die G20 verloren wurde. Auch könnte das Format den Einfluss jener Länder auf IMF und Weltbank vergrößern, die in deren eigenen Entscheidungs­gremien marginalisiert sind. Zur Überraschung vieler hat der Biennial Summit bislang alle Verhandlungs­runden überstanden und ist noch im Zukunftspakt enthalten. 

Es sieht damit so aus, als ob die Vereinten Nationen damit aus dem Zukunftsgipfel zumindest mit dem Mandat herauskommt, weitere Gipfel zur Reform der inter­nationalen Finanz­architektur einzuberufen, um damit all das anzugehen, was im September 2024 nicht machbar war. Neben dem Biennial Summit, dessen genaue Ausgestaltung noch in den Sternen steht, ist das gerade auch der FfD4-Gipfel im Sommer 2025. Wichtig ist allerdings, dass die inter­nationale Gemein­schaft vom Zukunftsgipfel ein positives Signal segnet, dass sie zur grund­sätzlichen Neujus­tierung eines 80 Jahre lang gealterten Systems fähig und willens ist. 

Bodo Ellmers, Global Policy Forum 


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