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Debat­te: Frie­den und Sicher­heit – der Kern­auf­trag der Ver­ein­ten Natio­nen

Die Mitglied­staaten der Ver­einten Nationen haben sich auf einen „Pakt für die Zukunft“ geeinigt. Doch die Sprache zur UN-Charta – und damit auch hinsichtlich aktueller Be­drohungen des inter­natio­nalen Friedens – wird nicht konkret genug. Ein Debatten­beitrag.

Eine Hand hält eine abgegriffene Ausgabe der UN Charta, im Hintergrund ist eine weitere Ausgabe zu sehen.
Gedruckte Ausgabe der UN-Charta. (UN Photo/Amanda Voisard)

Der UN-Zukunftspakt bekräftigt, dass gemäß den Verpflich­tungen des inter­nationalen Rechts - einschließlich der UN-Charta, ihrem Auftrag und ihren Grundsätzen - gehandelt wird. Doch die Sprache zur UN-Charta bleibt im Allgemeinen. Die Gleichstellung der Bestim­mungen der Charta mit den Bestim­mungen von internatio­nalen Verträgen ist ungefähr so, als wenn man eine nationale Verfassung den nationalen Gesetzen gleichstellt. Aber die Bestimmungen der Verfassung geben die Leitlinien für Gesetze und politisches Handeln vor. Ähnlich ist es, oder müsste es, mit der UN-Charta und internatio­nalen Verträgen und Konventionen sein. 

Die UN-Charta erkennt an, dass es Konflikte und militärische und gewaltsame Bedrohungen gibt. Im Kapitel VI werden die Schritte beschrieben, die vom Sicherheitsrat gegangen werden müssen im Falle einer Bedrohung des inter­natio­nalen Friedens. Dabei ist es nicht die Aufgabe des Sicherheitsrats, den Konflikt zu vermeiden oder zu beenden, sondern es ist seine Aufgabe, Schritte zu identifizieren, die zu einer friedlichen Beilegung des Konfliktes durch die Konflikt­parteien führen. Die Vorschläge des Sicherheits­rats sind bindend für die Konfliktparteien und ihre Unterstützer wie auch für alle anderen UN-Mitgliedstaaten (Art. 25). Im Falle, dass ein Mitglied des Sicherheitsrats Konfliktpartei ist, kann sein Vertreter nicht an der Abstimmung des Rates teilnehmen (Art. 27.3). Mit anderen Worten, hätten die Mitglieder des Sicherheitsrates sich entschieden, den Angriff Russlands auf die Ukraine nach Kapitel VI zu behandeln, hätte Russland kein Veto einlegen können.

Im Konflikt zwischen Israel und der Hamas gibt es in der UN-Charta klare Bestim­mungen. Laut Art. 51 hat jeder Mitglied­staat das Recht auf Selbstver­teidigung, und jedes Volk das Recht auf Selbstbestimmung (Art. 1.2). Aber das Recht auf Selbstver­teidigung besteht nur uneingeschränkt, solange der Sicher­heitsrat keinen Beschluss gefasst hat, wie der Konflikt beendet werden kann. Spätestens seit der einstimmigen Resolution 2735 des Sicherheitsrates vom 10. Juni 2024 hätten Israel und die Hamas einen Waffen­stillstand vereinbaren müssen. 

Die Gründe für die Nicht­beachtung von Beschlüssen des Sicherheitsrates sind vielschichtig. Hier nur einige Hinweise darauf, wie die Autorität der Vereinten Nationen gestärkt werden könnte. Dass sie gestärkt werden muss, wird in der heutigen, multipolaren Welt eigentlich nicht bezweifelt. Nur alle Groß­mächte verhalten sich abwartend, denn niemand will in der Zurück­stellung von nationalen Interessen voreilig sein. Russland ist sogar bereit, noch weiter zu gehen, und nationales Interesse dem allgemeinen inter­nationalen und globalen Interesse eine höherrangige Bedeutung zu geben. Dies widerspricht den Bestimmungen der UN-Charta. Der General­sekretär und die General­versammlung sind jetzt gefordert, den grundsätzlichen Dissens der von Russland angeführten Allianz von 15 Mitglied­staaten zu überwinden.

Eine Kultur des politischen Kompro­misses

Dazu müssen wir eine internationale Kultur des politischen Kompro­misses wieder beleben. Wir haben zwar die Ambition, Win-win-Lö­sungen zu finden, nur, wie sähen diese im Falle des Konflikts zwischen Russland und Ukraine, zwischen Israel und den Palästi­nensern aus? Nicht nur der Sicherheitsrat, sondern andere Gremien sind hier gefordert, durch eine tiefgreifende Analyse die Wurzeln der Konflikte freizulegen, um dann einen Verhandlungs­prozess der Konfliktparteien zu ermöglichen. Die Konfliktursachen müssen Schritt für Schritt mit Geduld und Ausdauer beseitigt werden. Dabei muss der Sicher­heitsrat darüber wachen, dass alle Parteien gleich­behandelt werden. Denn es gibt nur einen Weg zum inter­nationalen Frieden: die Interessen aller Beteiligten sind gleichwertig zu beachten und zu behandeln. 

Was in der heutigen Politik besonders fehlt, ist die in der UN-Charta beschriebene Toleranz und der Respekt für die historisch gewachsene Anders­artigkeit der Länder. Nicht nur die Regierungen, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger in allen Ländern folgen unter­schiedlichen Grundvor­stellungen. Die Heraus­forderung ist, diese zu achten, und trotzdem zum gemein­samen Handeln zu finden.

Da die UN nach wie vor für die Mehr­zahl der Länder attraktiv sind, sollten wir dies nutzen, um das System der Vereinten Nationen neu aufzustellen.  Der Pakt für die Zukunft kann ein wichtiger Schritt in diese Richtung sein, aber noch wichtiger wäre die Einbe­rufung einer Ge­neralkon­ferenz nach Art. 109 der Charta. Doch dazu muss der oben genannte Dissens erst einmal auf- und ab­gearbeitet werden.

Kerstin Leitner, DGVN-Präsidium


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