Die Zentralafrikanische Republik am Scheideweg
Die Zentralafrikanische Republik (ZAR) im Herzen des afrikanischen Kontinents ist seit mehr als einem Jahrzehnt von einem schwelenden Bürgerkrieg geprägt, in dem sozioökonomische, politische und konfessionelle Konflikte ineinandergreifen. Die ZAR gilt zudem als eines der ärmsten Länder der Welt, trotz eines enormen Reichtums an natürlichen Ressourcen. Die anstehenden Wahlen sind für manche ein Hoffnungsschimmer: Die Regierung unter Präsident Faustin-Archange Touadéra sowie Vertreterinnen und Vertreter der UN zeigen sich zuversichtlich, dass die Wahlen den Frieden in dem krisengeschüttelten Land wiederherstellen können.
Stimmen aus der Opposition jedoch äußern sich unter anderem angesichts der angespannten Sicerheitslage skeptisch bis ablehnend und fordern, die Wahlen zu verschieben. Denn insbesondere seit 2013 leidet die Bevölkerung unter massiver Gewalt durch zahlreiche bewaffnete Gruppen und das Militär, was 2014 zur Entsendung der Mehrdimensionalen integrierten Stabilisierungsmission der UN in der Zentralafrikanischen Republik (MINUSCA) führte.
Dennoch konnte das Land bis heute – gerade in der schwer erreichbaren Peripherie - nicht befriedet werden: Milizen und Rebellengruppen, unterstützt von Kämpferinnen und Kämpfern aus Nachbarländern, spalten sich in verschiedene Formationen und stehen miteinander in Konflikt. Vornehmlich geht es dabei um die Kontrolle von Rohstoffen wie Diamanten, Uran, Gold, Holz aber auch von Transportwegen für Waren und Vieh. Die Konflikte um Ressourcenverteilung und politische Teilhabe sind nicht neu und reichen weit in die Geschichte des Landes zurück.
Muster der Instabilität und koloniale Kontinuitäten
Wie viele Staaten der Region war auch das heutige Gebiet der ZAR der französischen Kolonialherrschaft unterworfen und wurde erst 1960 unabhängig. Unter französischer Herrschaft beuteten ausländische Unternehmen die zahlreichen natürlichen Ressourcen des Landes rücksichtslos aus, hinterließen aber kaum eine langfristige Infrastruktur oder Staatsführung, die dem jungen Staat Stabilität geben konnte. Tatsächlich ist der scheinbare Widerspruch zwischen dem enormen natürlichen Reichtum und großer Armut der dort lebenden Menschen ein wiederkehrendes Phänomen in Ländern mit kolonialer Geschichte.
Mit kurzen Phasen der auflebenden Demokratie war die ZAR seit 1960 von autoritären Regierungen, Korruption und dem Kampf um die Kontrolle von Rohstoffen geprägt. Dabei beeinflussten auch immer die Rohstoffinteressen ausländischer Unternehmen, der früheren Kolonialmacht sowie der Nachbarländer die Entwicklung des jungen Staates. Dabei ist immer zu bedenken, dass der Einfluss der wechselnden Regierungen außerhalb der Hauptstadt und einiger größerer Städte seit jeher begrenzt war. Staatliche Institutionen sind für viele Menschen kaum präsent in einem Land, das fast doppelt so groß wie Deutschland, aber mit einer geschätzten Bevölkerung von 5,5 Millionen Menschen dünn besiedelt ist.
Ausbruch des Bürgerkriegs und Beteiligung internationaler Truppen
Seit der Unabhängigkeit lag die wirtschaftliche und politische Macht im Land bei der christlichen Mehrheit. Die von einer muslimischen Minderheit geprägten Regionen im Norden und Osten des Landes – weit von der Hauptstadt Bangui entfernt – sahen sich hingegen über Jahrzehnte benachteiligt. Vor diesem Hintergrund begann 2013 der bis heute andauernde Bürgerkrieg, als eine Koalition aus islamischen Rebellengruppen – die Séléka – die Zentralregierung stürzte und über Monate hinweg die Hauptstadt kontrollierte. Für viele Muslime war der kurze Machtwechsel in der Hauptstadt eine Wiedergutmachung für nicht eingehaltene Regierungsversprechen zu einer faireren Verteilung der nationalen Ressourcen. Die Séléka war zugleich von zahlreichen tschadischen und sudanesischen Söldnern durchsetzt, was dem Konflikt von Anfang an eine internationale Dimension gab.
Plünderungen und Gewalt gegen die christliche Zivilbevölkerung wurden in den folgenden Jahren von sich bildenden christlichen und animistischen Selbstverteidigungsmilizen vergolten – den Anti-Balaka. Die Gewalt entlud sich immer brutaler entlang konfessioneller Linien. Menschenrechtsbeobachter der UN machen alle beteiligten Konfliktparteien für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Warnungen von einem möglichen Genozid führten 2013 zum Eingreifen französischer sowie afrikanischer Truppen im Rahmen der Internationalen Unterstützungsmission in der Zentralafrikanischen Republik unter afrikanischer Führung (MISCA). 2014 ging das Kommando von MISCA auf die UN-Mission MINUSCA über.
Verschiedene Versuche zu Verhandlungslösungen scheiterten, da Abkommen, wie jene in 2016 und später 2019 von verschiedenen bewaffneten Gruppen unterwandert wurden. Die Zentralregierung setzte ab 2018 auf die russische Wagner-Söldnergruppe – heute umbenannt zum ‘Afrikakorps’ – im Kampf gegen oppositionelle Milizen.
Anhaltende Instabilität und humanitäre Notlage
Bis heute ist das Land von der Präsenz und Kämpfen zwischen verschiedensten bewaffneten Akteuren geprägt. Als Konsequenz leidet die zivile Bevölkerung – vor allem junge Menschen, rund die Hälfte sind unter 14 Jahre alt - unter einer anhaltenden humanitären Krise und Perspektivlosigkeit: 450.000 Menschen gelten heute als Binnenvertriebene, 700.000 sind außerhalb des Landes geflohen, die humanitäre Situation im Land ist alarmierend, Gesundheitsversorgung kaum vorhanden, Hunger und chronische Unterernährung weit verbreitet.
Das derzeitige Mandat von MINUSCA läuft bis November 2024 und die Truppenstärke wurde zuletzt in Vorbereitung der Wahlen aufgestockt. Doch trotz der rund 16.000 militärischen und polizeilichen Einsatzkräften geht die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung weiter, was bei vielen Zweifel an der Effektivität der Mission aufkommen lässt. Zwar wird der Einfluss der UN-Blauhelme gerade in den ersten zwei Jahren der Mission als positiv bewertet, jedoch sind die bewaffneten Konfliktparteien so zahlreich und der irreguläre Handel von Rohstoffen so weit verbreitet, dass die Sicherheitslage brüchig bleibt. Zudem gestaltet sich die Entwaffnung von Milizen als schwierig, da viele ihrer Mitglieder keine wirtschaftliche Alternative sehen. Armut spielt somit eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Rekrutierung von bewaffneten Gruppen.
Anstehende Wahlen: Unversöhnliche Gegensätze?
Trotz des positiven Ausblicks auf die anstehenden Lokalwahlen von Seiten der Regierung und der UN warnen Oppositionelle und zivilgesellschaftliche Gruppen davor, dass die Regierung einen sichereren Ablauf von Wahlen gar nicht garantieren könne. Auch wird dem Präsidenten vorgeworfen, die Wahl manipulieren zu wollen. So würde die Regierung beispielsweise die Mehrheit des Wahlgremiums ohne demokratischen Prozess mit regierungstreuen Mitgliedern besetzen und Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft vom Kandidieren ausschließen, was viele Oppositionsmitglieder betrifft. Letztlich ginge es dem Präsidenten um die Absicherung der eigenen Macht, so die Kritik. Ohne eine Reform des Wahlgremiums kündigten einzelne Oppositionelle bereits an, die Wahlen stören zu wollen.
Die Regierung wiederum wirft der Opposition vor, ihre Interessen vor jene der Bevölkerung zu stellen. So stehen sich große Teile der Opposition, bewaffnete Gruppen und die Regierung unversöhnlich gegenüber. Die UN-Blauhelme allein werden den sicheren Ablauf von Wahlen aber auch den späteren Schutz der gewählten Kandidatinnen und Kandidaten nicht garantieren können. Damit ist die gesamte internationale Gemeinschaft aufgerufen, die zu häufig marginalisierten Konflikte Zentralafrikas ernst zu nehmen, diplomatischen Einfluss auf die beteiligten internationalen Akteure zu nehmen und der humanitären Krise entschlossen zu begegnen.
Wasil Schauseil