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Fischerdorf oder Hotelanlage?

Der achte Juni ist Welttag der Ozeane. Für die einen sichern reiche Fischgründe den Lebensunterhalt, für andere sind idyllische Küsten ein begehrtes Urlaubsziel. Können die Anliegen von Fischergemeinden und Tourismus in Einklang gebracht werden? Und wie wird dabei der Meeresschutz im Blick behalten?

Bis zu den Knien steht ein Mann im flachen Küstenwasser und wirft ein großes Netz in die Höhe.
Ein Fischer wirft vor der Küste von Timor-Leste sein Netz aus. (UN Photo/Martine Perret)

Ob Stelzenfischer an der Südküste Sri Lankas, chinesische Fischernetze im südindischen Kerala oder die bunten Fischerboote (Luzzus) von Marsaxlokk auf Malta – sie alle gelten als „sehenswürdig“ bei Touristinnen und Touristen und sind beliebte Fotomotive, die den Charakter einer Küstenregion prägen. Denn Kleinfischerei leistet nicht nur einen wesentlichen Beitrag zur Ernährung, sie ist auch ein wichtiges Kulturgut. Die Haenyo, die Taucherinnen, die vor der Insel Jeju in Südkorea nach Meeresfrüchten tauchen, gehören mit ihren außerordentlichen Tauchfähigkeiten sogar zum immateriellen Weltkulturerbe der UNESCO.

Im Gegensatz zur industriellen Fischerei ist die handwerkliche Kleinfischerei in der Regel deutlich nachhaltiger. Sie basiert auf traditionellen Methoden im Einklang mit der Regenerationsfähigkeit von Fischbeständen und sichert von Generation zu Generation den Lebensunterhalt vieler Menschen entlang der Küsten. Genau dort – an den Küsten – findet heute auch der größte Teil des weltweiten Tourismus statt. Die Restaurants in den Urlaubsorten am Meer sind oft wichtige Abnehmer von frisch gefangenem, regionaltypischem Fisch.

Tourismus und Kleinfischerei im Konflikt

Doch dass Tourismus und Kleinfischerei sich gegenseitig stärken, geschieht nicht automatisch. Oft ist auch das Gegenteil der Fall. Denn die flächenintensive touristische Erschließung von Küstenregionen bedroht die empfindlichen Ökosysteme der Küsten und Meere. Ob Dünen oder Marschland, Mangroven oder Korallenriffe: beim Bau von Hotelanlagen und touristischer Infrastruktur, durch touristische Aktivitäten wie Strand- und Tauchtourismus und durch das hohe Abfall- und Abwasseraufkommen wird die marine Flora und Fauna beeinträchtigt. Und damit auch die Lebensgrundlage der vom Fischfang lebenden Bevölkerung.

Für den Tourismus sind genau die Gegenden interessant, die auch für den Fischfang gebraucht und traditionell genutzt werden – direkt am Strand, direkt an der Küste. Mit der touristischen Erschließung steigen die Preise von Grund und Boden. In Konkurrenz zur Tourismusbranche ziehen Fischerfamilien in der Regel den Kürzeren. Nach dem Bericht „The State of World Fisheries and Aquaculture 2020“ der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) können solche Konflikte von allem dort auftreten, wo Landrechte nicht klar definiert sind oder nicht ordnungsgemäß durchgesetzt werden.

Landrechtsverletzungen in Sri Lanka

So werden in vielen Teilen der Welt Fischerfamilien durch den Tourismus und andere kapitalschwere und politisch einflussreiche Branchen verdrängt und schlimmstenfalls sogar zwangsvertrieben. So zum Beispiel 2010 im Dorf Panaama an der Ostküste Sri Lankas, wo 350 Familien mit Waffengewalt von ihrem Land vertrieben wurden. Das Militär besetzte ihr Land, das dann touristisch erschlossen wurde. Die zwangsvertriebenen Familien wurden von ihren Lebensgrundlagen – der Landwirtschaft und der Fischerei – abgeschnitten. Die Schweizer Gesellschaft für bedrohte Völker hat 2015 eine Vielzahl ähnlicher Fälle von Menschenrechtsverletzungen im Norden und Osten Sri Lankas dokumentiert, in denen Fischerfamilien ihr Land verloren, vom Zugang zum Meer abgeschnitten wurden oder ihnen durch Hotelanlagen das Wasser abgegraben wurde.

„Die Tourismusstrategie der Regierung missachtet die Rechte der Einheimischen und entzieht ihnen die Lebensgrundlagen“, beklagt der Menschenrechtsverteidiger Herman Kumara. Mit seiner Organisation National Fisheries Solidarity Movement“ (NAFSO) setzt er sich für die Anerkennung der traditionellen Fischer- und Landrechteund für eine stabile ökonomische und soziale Entwicklung der Fischergemeinschaften ein. 2018 wurde er dafür vom Studienkreis für Tourismus und Entwicklung mit dem „TO DO Award Human Rights in Tourism“ ausgezeichnet.

Widerstand gegen Immobilienspekulation in Brasilien

Auch im Nordosten Brasiliens im Bundesstaat Ceará setzen sich traditionelle Fischergemeinschaften gegen Immobilienspekulation, Großprojekte und Massentourismus zur Wehr. Immer wieder werden ihre angestammten Rechte auf die Nutzung von Land und Ressourcen durch Privatisierung bedroht. Unterstützt werden die Gemeinschaften vom Instituto Terramar, das eine nachhaltige Fischerei und integrierte Küstenentwicklung fördert.

Um dem Massentourismus etwas entgegenzusetzen, entwickelten sich einige der Dorfgemeinschaften – wie zum Beispiel das Fischerdorf Prainha do Canto Verde – zu Vorreitern im gemeindebasierten Tourismus. Fischer nutzen ihre traditionellen Fähigkeiten, um im Tourismus ein Zusatzeinkommen zu erzielen, zum Beispiel indem sie mit ihren „Jangadas“ (hochseetüchtigen Segelflößen mit Dreieck-Segeln) Ausflüge für Gäste anbieten.

Mitspracherechte sichern

In den „Freiwilligen Leitlinien für eine nachhaltige handwerkliche Fischerei“ empfiehlt die FAO Gemeinschaften, die von der Kleinfischerei leben, solche zusätzlichen einkommensschaffenden Maßnahmen. Besonders wichtig ist jedoch die Einbindung der Gemeinschaften in Entscheidungsprozesse zur Nutzung von Land und Ressourcen, die die von ihnen traditionell genutzten Gebiete betreffen.

Nichtregierungsorganisationen gehen noch darüber hinaus. So heißt es in einem Kompendium der Transforming Tourism Initiative zu Tourismus und den SDGs: „Dem Schutz der Lebensgrundlagen der an den Küsten lebenden Gemeinschaften muss gegenüber den Interessen von Touristen und Tourismusunternehmen Priorität eingeräumt werden – mit Strategien für die nachhaltige Nutzung von Meeresressourcen einschließlich der handwerklichen Kleinfischerei”.

Küstentourismus in den Zielen für nachhaltige Entwicklung

Pünktlich zum Welttag der Ozeane am achten Juni richtet sich die Aufmerksamkeit besonders auf den Schutz der Meere. Wenn im diesjährigen Internationalen Jahr der handwerklichen Kleinfischerei und Aquakultur vom 27. Juni bis 1. Juli 2022 in Lissabon die Ozeankonferenz der Vereinten Nationen stattfindet, wird es auch um den Schutz der handwerklichen Fischerei in Konkurrenz zu anderen Nutzungsformen gehen. In den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) ist unter Punkt 14 festgehalten, die Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung erhalten und nachhaltig zu nutzen. Zudem wird angestrebt, die wirtschaftlichen Vorteile aus der nachhaltigen Nutzung der Meeresressourcen – insbesondere für kleine Inselentwicklungsländer und die am wenigsten entwickelten Länder – zu erhöhen. Um diese Ziele zu erreichen, ist ein nachhaltiges Management dringend erforderlich– nicht nur der Fischerei und Aquakultur, sondern auch des Tourismus.

Weitere Informationen:

Christina Kamp


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