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"Frauen, Frieden und Sicherheit" unter den Bedingungen der Corona-Pandemie

Die globale Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ wird im Oktober 2020 ihren 20. Geburtstag feiern. Angesichts zahlreicher Rückschläge hoff(t)en viele auf einen positiven Jubiläums-Drive für die Idee feministischer menschlicher Sicherheit. Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie?

Die stellvertretende Generalsekretärin Amina Mohammed (rechts) unterhält sich mit Stéphane Dujarric, Sprecher des Generalsekretärs.
Die stellvertretende Generalsekretärin Amina Mohammed mit Stéphane Dujarric, Sprecher des Generalsekretärs. (UN Photo/­Eskinder Debebe)

Die globale Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ (Women, Peace and Security, WPS), die mit Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrats ihren Anfang nahm, wird im Oktober 2020 ihren zwanzigsten Geburtstag feiern. In ihrem Zentrum steht, die besondere Situation von Frauen in Konflikten anzuerkennen und gewaltsame Konflikte durch präventive Maßnahmen zu verhindern. Es wird die Teilhabe von Frauen an Friedensverhandlungen, an Staatsbildungsprozessen und an internationalen Friedensoperationen thematisiert. Es geht um den Schutz von Frauen vor sexualisierter und gender-basierter Gewalt und um Frauen als Überlebende gewaltsamer Konflikte. Angesichts der Rückschläge im Bemühen um die Agenda, die nicht zuletzt auf eine „Trumpisierung“ einiger Teile der Welt, auf ausufernden Nationalismus und Xenophobie zurückzuführend sind, hofft(e) die WPS-Gemeinschaft auf einen positiven Jubiläums-Drive für die Idee einer feministischen menschlichen Sicherheit.

Womit zu Beginn des Jahres niemand gerechnet hatte, ist der „Schwarze Schwan“ Covid-19, der unzählige Selbstverständlichkeiten in vielen Gesellschaften außer Kraft setzt. Die Beschränkungen und Neujustierungen im alltäglichen Leben, die dem höchsten Gut der Gesundheit Rechnung tragen, haben bereits jetzt schwer einzuschätzende gesellschaftliche, politische, ökonomische und kulturelle Auswirkungen in allen Teilen der Welt. Obwohl angesichts der globalisierten Weltgemeinschaft längst mit einer Pandemie zu rechnen war, trifft sie uns nahezu unvorbereitet. Ob wir uns nun inmitten einer zeitlich begrenzten Krise, einer Interims- oder gar einer Transitionsphase befinden, kann derzeit noch nicht seriös bewertet werden. Unsere Lebenswirklichkeit wird vom Handeln unter Nicht-Wissen bestimmt. Individuell und global. Politisch und gesellschaftlich. In Bezug auf die Gegenwart und in Bezug auf die Zukunft.

Auch für die globale Agenda, die trotz aller Rückschläge stets erweitert, vertieft und global sowie lokal implementiert wurde, ist die Covid-19-Pandemie ein fundamentaler Stresstest. Die Auswirkungen dieses „Schwarzen Schwans“ auf das Leben von Frauen könnten das Bemühen um Geschlechtergerechtigkeit nicht nur kurz-, sondern auch langfristig ausbremsen, vom Erreichen einer feministischen Trendwende ganz zu schweigen. Dies hat mehrere Gründe, die teilweise in Beziehung zueinanderstehen, teilweise aber auch lose nebeneinander die Misere aus unterschiedlichen Richtungen anheizen. Was bedeutet das für die globale Agenda?
 

Politischer Stresstest für die Agenda

Wie viele „weiche“ Themen lebt die Agenda vom Engagement der Zivilgesellschaft, insbesondere global vernetzter feministischer Gruppen. Deren Aktionsraum aber bricht durch das Pandemie-Geschehen größtenteils weg. Für das Werben um feministische Ideen und Botschaften der WPS-Agenda braucht es Gelegenheit. Es braucht eine Zuhörerschaft, mediale und politische Aufmerksamkeit. Es braucht intensive Debatten in Workshops und ein solides Finanzbudget. Der wichtige Austausch mit den politischen Schlüsselakteuren an den Schaltstellen in den UN und den Außenministerien ist aufgrund von Ausgangsbeschränkungen nicht „face to face“ möglich. Der Sicherheitsrat, eine der zentralen Institutionen der Agenda, tagt (fast) nicht. Alles Bemühen um „Frauen, Frieden und Sicherheit“ ist derzeit in vielen Richtungen erheblich eingeschränkt.
 

Stresstest für die Agenda in den „westlichen“ Gesellschaften

Es ist ein ewiges Paradox der Agenda, dass sich Staaten, die sich nicht in (gewaltsamen) Konflikten befinden wie beispielsweise auch Deutschland, nicht als Adressat der Agenda wahrnehmen, obwohl auch in diesen Staaten Gewalt gegen Frauen noch immer Alltag ist, von Geschlechtergerechtigkeit keine Rede sein kann und feministische Ideen noch immer viel zu oft eine fast akademische Übung sind.

Die Covid-19-Situation verdeutlicht, dass Gesellschaften weltweit auf tönernen Füßen stehen. In den prosperierenden Staaten der G7-Hemisphäre, die von der Pandemie schwer betroffen sind, zeigen sich tolerierte Ungerechtigkeiten wie unter einem Brennglas: Nicht nur die unbezahlte, sondern auch die bezahlte Care-Arbeit – neuerdings als systemrele­vant beklatscht – wird zu mehr als 70 Prozent von Frauen ausgeführt. Die weitreichende Unvereinbarkeit von Home Office in der Teilzeitfalle und der Betreuung von kleinen Kindern sind Karrierekiller und Armutstreiber. Alleinerziehende Frauen und Familien in ohnehin schon prekären Lebensverhältnissen sind von akuter Armut bedroht. Gewalt in der Familie nimmt, so zeigen Zahlen aus Italien, signifikant zu. Dabei befand sich die Gewalt gegen Frauen schon vor der Corona-Lage auf einem „epidemischen Level“ (Guterres). Frauen fallen aktuell in die Unsichtbarkeit des Privaten zurück. Sie sind nun oft Vollzeit-Kümmerer, wogegen die politische Öffentlichkeit von männlichen Experten dominiert wird.
 

Stresstest in weniger entwickelten (Konflikt-)Staaten

Welche tiefgreifenden Folgen die Pandemie für Frauen in Staaten mit gewaltsamen Konflikten hat, ist derzeit noch gar nicht abzusehen. Es sind derer Unzählige. Sie werfen einen langen Schatten auf die Agenda. Ungerechtigkeit und Diskriminierung vertiefen sich noch stärker als in den Industriegesellschaften. Um nur einige wenige zu nennen:

  1. Frauen sind meist prekär beschäftigt und sind die ersten, die während des Lockdowns ihre Arbeit und damit ihre Lebensgrundlage verlieren. Ohne Zugang zu Erwerbsarbeit sind Eigenständigkeit und Gleichberechtigung unmöglich. Gleichzeitig sind humanitäre Hilfslieferungen durch Grenzschließungen eingeschränkt und ein Rückgang finanzieller Unterstützung durch die Geber zu erwarten. Guterres konstatierte deshalb am 29. April 2020, der wirtschaftliche Abschwung werde ein weibliches Gesicht haben.
  2. Während der Zika- und Ebola-Ausbrüche wurde eine signifikante Steigerung der Gewalt gegen Frauen beobachtet. In instabilen Staaten wird eine Militarisierung der Straßen und eine extreme Zunahme von Femiziden befürchtet. Gleichzeitig ist den Frauen aufgrund des Lockdowns oft der Zugang zu professionellen Hilfsangeboten verwehrt. In vielen Konfliktstaaten sind humanitäre Helferinnen und Helfer aufgrund des Lockdowns nicht vor Ort, können also beispielsweise auch nicht als „first responder“ im Falle eines Covid-19-Ausbruchs reagieren.
  3. Auch wenn Guterres zu einem sofortigen globalen Waffenstillstand aufrief, kann die durch die Pandemie hervorgerufene gesellschaftliche, ökonomische und politische Stresssituation zu einer Verschärfung von Konfliktsituationen führen. Covid-19 kann als Brandbeschleuniger wirken und Frauen nicht nur in das Private, sondern auch verstärkt wieder in die Rolle von Kriegsopfern zurückwerfen.
     

Die globale Agenda in Zeiten des Nicht-Wissens

Derzeit wird die Krisenpolitik der Regierungschefinnen von Taiwan, Neuseeland oder Dänemark für ihre Praktikabilität, Menschlichkeit, ihr Verantwortungs- und Fürsorgebewusstsein gelobt. Diese vereinzelten Leuchttürme in einer Welt der Autokraten können nur der Beginn einer feministisch geprägten Weltpolitik sein. Im Agieren der Regierungschefinnen zeigen sich die politischen Leitideen, die die UN im 75. Jahr ihres Bestehens formulierte: Friede, Würde und Solidarität für einen gesunden Planeten. Für die Zukunft bedeutet das vor allem, die essentiellen Lebensgrundlagen der Menschen zu priorisieren. Wenn Gesundheit, Kümmern, Erziehung und Bildung hohe, vielleicht sogar die höchsten Güter unserer Weltgesellschaft sind, sollten sie auch als solche bewertet – und entlohnt – werden. Zu diesen höchsten Gütern gehört auch Geschlechtergerechtigkeit. Die schwer erkämpften feministischen Errungenschaften der vergangenen hundert Jahre sind fragil. Das zeigt uns die Gegenwart. Die allumfassende Selbstbestimmung der Frau, ihr Schutz und ihre gleichberechtigte Teilhabe dürfen nicht der Krise anheimfallen. Auch die globale Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ braucht heute vor allem eines: Resilienz.
 

Manuela Scheuermann


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