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Gleichstellung kostet - und ist dennoch unverzichtbar

Auf der Vierten Internationalen Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Sevilla war viel von Investitionen die Rede. Doch feministische Perspektiven fehlten oft. Warum Geschlechtergerechtigkeit keine Nebensache ist, sondern eine zentrale Finanzfrage.

Vier Frauen sitzen an einem langen Tisch auf einem Podium mit Mikrofonen, sie lachen.
Die stellvertretende UN-Generalsekretärin Amina Mohammed bei einer Veranstaltung zur Finanzierung von Geschlechter­gerechtigkeit (UN Photo/Rick Bajornas)

„Investitionen in Gleichstellung schaffen Wohlstand“, sagte die stell­vertre­tende UN-General­sekretärin Amina Mohammed zum Auftakt der vierten Inter­nationalen Konferenz zur Entwicklungs­finanzierung (FfD4) in Sevilla. Doch in vielen Ländern fehlt es an Mitteln, um feministische Ziele umzu­setzen.

Vom 30. Juni bis 3. Juli verhandelten über 12.000 Delegierte über die Zukunft der globalen Finanzarchitektur. Im Zentrum stand das vorab abgestimmte Abschluss­dokument  ‚Compromiso de Sevilla‘.

Es bekennt sich zur Förderung von Frauen und Mädchen, zur Stärkung der Care-Ökonomie und zur Bekämpfung geschlechts­spezifischer Gewalt. Wörtlich heißt es: „Wir werden die Investitionen in die Care-Arbeit erhöhen und den überpropor­tionalen Anteil unbezahlter Arbeit von Frauen aner­kennen, wertschätzen und gerecht umverteilen.“ Doch das Papier ist rechtlich unverbindlich und in seiner Sprache nicht inklusiv: Trans- und nicht-binäre Menschen wurden nicht erwähnt.

Ein Blick auf das Podium am Eröffnungstag offenbarte die strukturelle Schieflage: Frauen waren kaum vertreten. Es ist ein Sinnbild für die mangelnde Repräsentation feministischer Stimmen in globalen Finanzprozessen. Der wachsende Einfluss autoritärer Staaten in den UN verschärft das Problem. Doch Gleichstellung ist nicht nur politisch, sondern auch finanziell unter Druck.

Gender Equality ist unterfinanziert

30 Jahre nach der Weltfrauen­konferenz von Beijing bleibt Geschlechtergerechtigkeit eines der am schlechtesten finanzierten Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs). Laut dem UN-Bericht ‚A World of Debt‘ leben 3,4 Milliarden Menschen in Staaten, die mehr für Schulden als für soziale Grundversorgung zahlen. Dort führen Sparprogramme oft dazu, dass gerade feministische Projekte, Gesundheits­dienste für Frauen oder Bildungs­angebote für Mädchen zuerst gestrichen werden. Yandura Chipeta von ActionAid Malawi warnt: „Wenn Pflegesysteme wegbrechen, übernehmen Mädchen die Sorgearbeit – und verlassen die Schule.“

Dabei sind die wirtschaftlichen Vorteile von Gleichstellung messbar: Länder wie Marokko, Mexiko und Ruanda setzen deshalb bereits auf Gender Responsive Budgeting– also Haushalts­planung, die Geschlechter­ungleichheiten systematisch adressiert. Island, einst wirtschaftlich schwach, gehört heute zu den einkommensstärksten Ländern, auch dank der aktiven Gleichstellungspolitik. Seit 2009 führt Island das Global Gender Gap Ranking mit am weitesten durchgesetzter Geschlechtergleichheit an.
 

Ein Pflaster für ein gebrochenes System

Trotzdem dominierten in Sevilla marktorientierte Lösungs­ansätze. Privat­investitionen und Effizienz­gewinne standen im Fokus, der öffentliche Sektor blieb marginal. Der junge Aktivist Ishaan Shah kritisierte die Unsichtbarkeit ge­schlechts­spezi­fischer Perspektiven. Als Vertreter der Women’s Major Group und Mitorganisator des Young Feminist Caucus bringt er feministische Anliegen in UN-Verhand­lungen ein. „Die Vision, die wir gebraucht hätten, wurde im Text nicht umgesetzt”, sagt er. Gender­gerechtigkeit sei keine Nebensache, sondern Querschnitts­aufgabe: „Wenn wir in Frauen und Mädchen investieren, stärken wir ganze Volks­wirtschaften, politische Systeme und letztlich auch Demokratien.“

Viele feministische Gruppen hatten konkrete Vorschläge gemacht: gendergerechte Haushalte, faire Steuersysteme, Schuldenerlass. Doch diese Visionen fanden keinen Eingang in das Dokument. 

Das globale Wirtschaftssystem, wie es heute funktioniert, zementiere Ungleichheiten.  „Es ist nicht für Frauen und Mädchen gemacht, sondern basiert auf Kolonialismus, Patriarchat und Militarisierung“, sagte Shah. Der Compromiso sei daher, „als würde man ein Pflaster auf ein gebrochenes System kleben.”

Gleichzeitig zeigt sich auch eine politische Verschiebung innerhalb der UN: „Begriffe wie ‚Gender‘ waren umstritten – sogar die USA lehnten ihre Verwendung im Text ab und zogen sich in den finalen Verhandlungsphasen zurück“, berichtete Bodo Ellmers vom Global Policy Forum. Damit entfiel nicht nur ein gewichtiger Akteur, sondern auch ein zentraler Geldgeber. 

Kritik gab es auch an der EU: Sie sprach sich zwar für Gleichstellung aus, blockierte jedoch konkrete Um­set­zungs­mechanis­men. „Es gibt keinen echten Spielraum für Gender Equality“, sagte Ellmers. Zwar ist von Investitionen in Sorgearbeit die Rede, doch bleibt offen, wie das bei schrumpfenden Budgets geschehen soll.

Deutschland gehört inzwischen zu den größten bilateralen Gebern, erfüllt aber das 0,7-Prozent-Ziel nicht. Im Koalitions­vertrag ist sogar festgehalten, die ODA-Quote, der Anteil öffentlicher Entwicklungs­leistungen am Bruttonational­einkommen, „angemessen abzusenken“ – zugunsten privater Finanzierungs­modelle. 

2022 führte die damalige Entwicklungs­minis­terin Svenja Schulze eine Quote ein, um Geschlechter­gerechtigkeit zu stärken: 93 Prozent aller neuen Projekte des Ministeriums sollten direkt oder indirekt zur Gleich­stellung beitragen.Ihre Nachfolgerin Reem Alabali-Radovan kündigte an, daran festzuhalten – verwies aber auf anstehende Haushalts­verhandlungen.

Militär­ausgaben über Bildung?

Gleichzeitig stiegen im letzten Jahr die globalen Rüstungs­ausgaben auf ein Rekordniveau von 2,72 Billionen US-Dollar, während Millionen Mädchen keinen Zugang zu Schulbildung haben. „Öffentliche Budgets spiegeln politische Prioritäten. Kürzungen im Care-Bereich sind eine Form struktureller Gewalt“, so Nyaradzayi Gumbonz­vanda von UN Women.  Sie mahnt: „Nicht die Frauen, sondern die Finanzministerien müssen Gleichstellung vorantreiben.”

Viele Nicht­regierungs­organisationen zeigten sich ernüchtert. Vertreterinnen des African Women’s Development and Communication Network hatten auf eine grundlegende Reform gehofft. 

Dennoch: Die Verabschiedung eines Abschlussdokuments gilt als Zeichen, dass Multilateralismus trotz globaler Krisen funktioniert. Auf einem Side-Event der Konferenz bekannten sich zudem 18 Staaten – darunter Ägypten, Kenia, Libanon und Uruguay – zur Initiative ,Public Finance for Gender Equality’. Sie verpflichteten sich, öffentliche Haushalte gezielt für die Förderung von Geschlechter­gerechtigkeit einzusetzen.

Die neue ,Sevilla Platform for Action’ (SPA) soll Fortschritte künftig messbar machen. Sie bündelt über 130 Initiativen und fördert nationale Finanzierungsrahmen, um öffentliche Gelder zielgerichtet für nachhaltige Entwicklung, Klima und Gleichstellung zu mobilisieren.

Es geht um Menschenleben

Doch Tobias Hauschild von Oxfam bleibt skeptisch: „2024 wurden Milliarden im Entwicklungsetat gekürzt, für 2025 rechnen wir mit weiteren Einschnitten. Die G7-Staaten werden ihrer Verantwortung nicht gerecht.“ Laut UN Women fehlen jährlich 4,3 Billionen US-Dollar, um die SDGs bis 2030 zu erreichen.

„Wir brauchen nicht nur neue Finanzierungs­instrumente, wir müssen das System hinterfragen”, sagt der Aktivist Shah. Geschlechter­gerechtigkeit müsse endlich zur politischen und finanziellen Priorität werden. „Es geht um Menschenleben. Um Mütter, und Kinder, die sterben, weil Mittel gestrichen.

Elisa Kautzky


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