Frauen und COVID-19: Das Private ist politisch
Frauen und Mädchen sind aufgrund von struktureller Benachteiligung überproportional während der COVID-19-Pandemie belastet. Die geschlechtsspezifischen Auswirkungen sind bereits jetzt schon alarmierend und fordern drastische Maßnahmen von politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern. Im April 2020 legte daher der UN-Generalsekretär António Guterres einen Bericht über die Auswirkungen der Pandemie COVID-19 für Frauen und Mädchen vor. Im Allgemeinen geht es in diesem Bericht um eine geschlechterspezifische Bewerkstelligung der Pandemie mit den Themenschwerpunkten Repräsentation, Rechte und Ressourcenverteilung im globalen Kontext. Mit dem Blick auf Deutschland wird schnell klar, dass auch hier diese Themenbereiche stärker angegangen werden müssen. Ein greifbares Beispiel ist die hohe Repräsentation von Frauen im Gesundheitssektor. Hierbei sind Frauen jedoch selten in den besser bezahlten Entscheidungspositionen oder im politischen Krisenmanagement vertreten. Die Sichtbarkeit von Virologinnen wie Marylyn Addo sind hierzulande die Ausnahme. Der Bericht macht jedoch auch deutlich, dass es die Solidarität und Unterstützung jeder einzelnen Person im privaten Umfeld benötigt, um die aktuelle Mammutaufgabe meistern zu können. Daher lädt UN Women mit der #HeForSheAtHome-Kampagne Männer und Jungen dazu ein, zugewiesene Aufgabenverteilung im Haushalt zu hinterfragen, eingefahrene Geschlechterrollen im Zusammenleben aufzulösen und sie sich aktiv an Sorge- und Hausarbeit zu beteiligen. Gerade jetzt ist die Solidarität von Männern und Jungen in den eigenen vier Wänden überlebensnotwendig, denn das Private ist politisch.
Was mit der HeForShe-Bewegung wirklich gemeint ist
Als die Schauspielerin Emma Watson im Jahr 2014 die „HeForShe“-Solidaritätsbewegung ins Leben rief, gab es jedoch auch Kritik. Neben der stereotypischen Farbauswahl von Pink und Schwarz, ist ein großer Kritikpunkt, dass bei HeForShe ein binäres Verständnis von Geschlechteridentitäten sowie ein traditionelles Beziehungsverständnis im Vordergrund steht. Auch suggeriert der Name HeForShe, Männer müssten von der Notwendigkeit der Gleichberechtigung überzeugt werden und für Frauen einstehen. Die Kritik an der HeForShe-Bewegung ist durchaus berechtigt und bedarf zusätzlich einer klaren Richtung hinzu Intersektionalität. Der Erfolg von HeForShe zeigt jedoch auch, dass die Bewegung zum richtigen Zeitpunkt gekommen ist. Ein Beispiel hierfür ist, das HeForShe-Deutschland-Botschafterprogramm von UN Women.
Fikri Anıl Altıntaş, HeForShe-Botschafter in Deutschland, sagt: „Damit es nicht vergessen wird: Ungleiche Verteilung von unbezahlter Sorgearbeit wird in Zeiten von Corona verstärkt. Gerade Männer fühlen sich nicht häufig genug für Hausarbeit oder Kindererziehung verantwortlich. Das muss sich ändern. Männer müssen mehr machen, ihre Privilegien reflektieren und über veraltete Rollenbilder nachdenken.“ Neben Fikri Anıl Altıntaş, setzen sich fünf weitere Männer für die Solidaritätsbewegung ein. Einer davon ist Gerd Hafner. Er arbeitet in Berlin als Psychologe mit Männern, die im häuslichen Umfeld zu Tätern geworden sind. Laut dem Bundeskriminalamt stirbt in Deutschland jeden dritten Tag eine Frau durch Partnerschaftsgewalt. Die steigende Anzahl von Anrufen beim Hilfetelefon lassen darauf schließen, dass die Zahlen von physischer und psychischer Gewalt aufgrund der aktuellen Bewegungseinschränkungen steigen werden. Weitere HeForShe-Botschafter in Deutschland sind Joy Asongazoh Alemazung, Robert Franken, Martin Speer und Vincent-Immanuel Heer. Alle sechs Botschafter machen mit ihrem Engagement deutlich: Bei HeForShe geht es nicht darum, in der Öffentlichkeit mit der Bezeichnung Feminist zu glänzen. Es geht darum, im Privaten Verantwortung für eine geschlechtergerechte Gesellschaft zu übernehmen.
Nach wie vor traditionelle Arbeitsteilung im Haushalt
Die Forderungen nach einer gerechten Verteilung der Haus- und Pflegearbeit ist nicht neu und so alt wie die Tätigkeit selbst. Aktivistinnen und Aktivisten wie Kübra Gümüşay, Hengameh Yaghoobifarah, Tarik Tesfu oder Alice Hasters machen stets auf die strukturelle Diskriminierung und Benachteiligung aufmerksam. Fakt ist, dass in Deutschland Frauen durchschnittlich täglich 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit investieren als Männer. Diese Daten zeigen, dass trotz der Gleichberechtigung auf dem Papier, die Gesellschaft in Deutschland noch stark an der traditionellen Arbeitsteilung im Haushalt festhält. Es wird weiterhin verlangt, dass Männer die Rolles des Hauptverdieners und des Versorgers eines Haushalts einnehmen. Frauen nehmen die Rolle der Nebenverdienerin ein. So zeigt eine Studie der deutschen Bundesregierung von 2019, dass nur 10 Prozent aller Frauen zwischen 30 und 50 Jahren über ein Nettoeinkommen von mehr als 2000 Euro verfügen. Für die aktuelle Situation bedeutet dies, dass Frauen in eine noch stärkere wirtschaftliche Abhängigkeit zum Partner fallen. Das niedrige Nettoeinkommen ist unter anderem auf den Großenteil von unbezahlter Sorge- und Pflegearbeit zurückzuführen – von der Kinderbetreuung bis hin zur Pflege von Familienangehörigen. Es sind weiterhin überproportional die Frauen, die in Teilzeit oder als Minijobberin beschäftigt sind, um sich in der übrigen Zeit der unbezahlten Sorge- und Pflegearbeit zu widmen. Gerade in Zeiten von Isolation mag mancher argumentieren, dass Väter nun staubsaugen und Söhne den Müll rausstellen. Letztendlich geben jedoch oft Frauen die Anweisungen, wann der Müll vor die Tür gestellt werden muss oder wo der Staubsauger reinigen muss. Die UN-Women-Kampagne #HeForSheAtHome rückt deshalb das politische ins Private und stellt die Frage: Wieso sollten Männer in ihrem eigenen Haushalt nur „helfen“ und nicht einfach Eigeninitiative ergreifen? Zusätzlich gelingt es UN Women, mit der Kampagne politische Maßnahmen mit individuellen Pflichten zu verknüpfen und alle Beteiligten in die Verantwortung zu nehmen. Somit wird letztendlich deutlich gemacht, dass die Bewerkstelligung der Pandemie nur gemeistert werden kann, wenn diese nicht rein als gesundheitspolitisch definiert wird, sondern auf einem intersektionalen Verständnis von Geschlechtergerechtigkeit.
Miriam Mona Müller ist DGVN-Vorstandsmitglied, forscht zu Geschlechtergerechtigkeit in bewaffneten Konflikten und arbeitete bei UN Women Deutschland.