Gehen die Vereinten Nationen pleite?

Diese Ankündigung erfolgte nicht in der Generaldebatte der UN-Generalversammlung oder während der hochrangigen ‘High-level Week’, sondern in einer Sitzung des Fünften Ausschusses, also jenes Gremiums der Generalversammlung, das für Haushalts- und Verwaltungsfragen zuständig ist. Die Sitzung fand am Freitagnachmittag (17. Oktober 2025) deutscher Zeit statt, also nachdem der Großteil der Welt schon ins Wochenende gegangen war. Damit blieb die Nachricht zunächst weitgehend auf diplomatische Kreise beschränkt – obwohl die Tragweite weit über den Saal hinausreicht.
Worum geht es konkret?
Die Warnung des Generalsekretärs bezieht sich auf zwei mögliche Szenarien:
Liquiditätskrise: Die UN verfügen im Jahr 2026 möglicherweise nicht mehr über genügend Barmittel, um ihre laufenden Verpflichtungen zu erfüllen. Es besteht die Gefahr, dass noch stärker als schon im Jahr 2025 gekürzt werden muss oder sogar Gehälter nicht gezahlt werden können. Damit wären die UN im Laufe des kommenden Jahres zahlungsunfähig.
Blockierte Haushaltsverhandlungen: Es besteht die Gefahr, dass sich die Mitgliedstaaten bis Ende des Jahres 2025 nicht auf den UN-Haushalt für das Jahr 2026 einigen können. Wenn bis 31. Dezember 2025 keine Einigung bestünde, so Guterres, müsse er UN-Gebäude auf der ganzen Welt ab 1. Januar 2026 schließen lassen und dürfe nur noch die Bewachung bezahlen.
Beides wäre gravierend. In beiden Fällen könnten wesentliche Teile der UN-Tätigkeit zum Stillstand kommen. Alle multilateralen Sitzungen in New York, Genf, Wien oder Nairobi aber auch die von der New Yorker Zentrale abhängige Friedenssicherung, die Menschenrechtsarbeit der UN, oder Teile der humanitären Hilfe sind in Gefahr.
Es fehlt an Geld
Bereits seit Anfang des Jahres verschlechtert sich diese Liquiditätslage der Vereinten Nationen deutlich. Mit den USA, die weder für das Jahr 2024 noch für 2025 zahlen wollen, und so über 1,5 Milliarden US-Dollar allein für den regulären Haushalt schuldig sind (mit den Friedensmissionen ist es noch mehr), aber auch mit China und Russland, die Anfang Oktober zusammen noch über 260 Millionen US-Dollar für ihre Pflichtbeiträge schuldig waren, zahlen mehrere große aber auch viele kleinere Mitgliedstaaten ihre Pflichtbeiträge verspätet oder gar nicht.
Um auf die knappen nationalen Haushalte der großen Geldgeber und Beitragszahler, darunter auch in Deutschland, zu reagieren, hat das UN-Sekretariat im laufenden Jahr umfangreiche Haushaltsanpassungen (revised estimates) in Höhe von etwa 15 Prozent Kürzungen für das Jahr 2026 vorgelegt, die jetzt verhandelt werden müssen. Diese Kürzungen lösen jedoch das strukturelle Finanzproblem nicht, weil auch ein verkleinerter Haushalt nur dann funktioniert, wenn die USA dann bereit wären, ihren Anteil von 22 Prozent an diesem (kleineren) Haushalt zu bezahlen. Das ist momentan nicht absehbar.
Es fehlt an Zeit
Gleichzeitig erschwert diese vorgeschlagene Haushaltskürzung, die Guterres erst im Herbst im Rahmen seiner ‘UN80’-Initiative im Detail vorgelegt wurde, die Haushaltsverhandlungen.
Durch diese späte Einbringung massiver Haushaltskürzungen wird der ohnehin schon zeitlich eng getaktete Verhandlungsprozess über den UN-Haushalt weiter verkürzt. Dadurch könnte eine Haushaltseinigung bis Ende Dezember eine große Herausforderung für die Diplomatinnen und Diplomaten im Fünften Ausschuss der Generalversammlung werden.
Der Ausblick
Sollte es bis Ende des Jahres 2025 keine Einigung über den Haushalt 2026 geben oder die Liquidität weiter sinken, drohen weitreichende Folgen. Von weiterem, drastischeren Personalabbau (schon heute sind 15 bis 20 Prozent der Planstellen nicht besetzt) bis hin zur zeitweisen Einstellung von Programmen und Missionen oder der Schließung von ganzen Standorten ist alles denkbar.
Allein die Unsicherheit, wie es weitergeht, ist schon dramatisch für die Organisation und ihre Mitgliedstaaten, aber auch für alle anderen, die die Vereinten Nationen unterstützen.
Die Krise zeigt, wie verletzlich die UN bleiben, wenn Mitgliedstaaten ihre Beiträge nicht verlässlich leisten. Und sie zeigt auch, dass die politische Kommunikation rund um die Ausmaße der Finanzkrise versäumt wurde, und der Generalsekretär auch jetzt noch viel zu vorsichtig über die Lage spricht.
Dr. Ronny Patz, Politikwissenschaftler und Mitglied des DGVN-Forschungsrats
Aktuelle Details gibt es auch auf seiner tagesaktuellen Webseite zur UN-Finanzkrise und ‘UN80’-Reform.


