Hassrede fällt nicht unter Meinungsfreiheit
„Gegen Hassreden vorzugehen, bedeutet nicht, die Redefreiheit einzuschränken oder zu verbieten. Es bedeutet, Hassrede davon abzuhalten, zu etwas Gefährlicherem zu eskalieren, insbesondere zur Anstiftung zu Diskriminierung, Feindseligkeit und Gewalt, was nach internationalem Recht verboten ist", betonte António Guterres, UN-Generalsekretär, im Mai 2019. Die derzeitige Zunahme von Nationalismus und Populismus befeuert eine Rhetorik, die oft rassistisch, ausgrenzend und menschenfeindlich ist. Bildbasierte Belästigung, Fake News, Desinformation, Propaganda sowie Rassismus in der digitalen Welt sind zu einem stetig wachsenden gesellschaftlichen Problem geworden Dabei zeigt sich ein beunruhigender Trend: dass diskriminierende Praktiken und Stereotype insbesondere online verstärkt und ins realen Leben weitergetragen werden.
Die sozialen Medien, die zunehmend als Plattformen für schädliche Äußerungen dienen, haben die Verbreitung von Hassrede vereinfacht und verstärkt. So wurden während der COVID-19-Pandemie Minderheiten wie asiatisch gelesene Personen und Roma häufig zur Zielscheibe rassistischer Hassreden. Die Folge war nicht nur die Verbreitung schädlicher Klischees, sondern auch reale Angriffe auf Angehörige dieser Gruppen.
Schneller, aber unnuancierter Informationsaustausch
Durch die neuen Kommunikationstechnologien ist die Welt global noch intensiver verbunden und Inhalte können binnen Sekunden verbreitet werden. Dies ist auch einer der Mechanismen, die dem Hass und Rassismus zugrunde liegen. Eine mangelnde und fehlende Toleranz für die Mehrdeutigkeit eines Sachverhaltes - die Unfähigkeit beziehungsweise der Unwille, mehrdeutige oder widersprüchliche Informationen und Situationen zu tolerieren, leisten ihr übriges. Es verstärkt das Bedürfnis, die Welt in einfache Kategorien einzuteilen, sich nicht mit den Vorurteilen und rassistischen Haltungen, die durch Hassrede reproduziert und verbreitet werden, auseinanderzusetzen. Und genau auf diesen Mangel an Toleranz zielen populistische Personen und Parteien ab.
Ziel ist es, mit Hass-Kampagnen (auch in Kommentarspalten) den Eindruck zu erwecken, die Hetze stelle ein verbreitetes Meinungsbild dar, dass also die Debatte eine gesellschaftliche Stimmung abbilde. Die reale Meinung der Mehrheit kommt oft nicht zum Ausdruck, denn die Meinung einer kleinen Minderheit stellt sich durch die einfache Verbreitung im Netz als Meinung der Mehrheit dar. Doch der Hass dringt dadurch zunehmend in den Mainstream vor - in liberalen Demokratien ebenso wie in autoritären Systemen.
Hassrede: Definition und internationale Relevanz
Die UN setzen sich aktiv gegen Hass, Diskriminierung und Ungleichheit ein. Dies ist in der UN-Charta und im internationalen Menschenrechtsrahmen verankert. Im Mai 2019 wurde eine Strategie und ein Aktionsplan zu Hassrede (UN Strategy and Plan of Action on Hate Speech) vorgestellt, um der globalen Zunahme von Hass, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus entgegenzuwirken, insbesondere in sozialen Medien.
Es gibt keine einheitliche internationale Definition von Hassrede. Im UN-Aktionsplan wird der Begriff Hassrede als jede Art von Kommunikation in Wort, Schrift oder Verhalten verstanden, die eine Person oder eine Gruppe aufgrund ihrer Person angreift oder eine abwertende oder diskriminierende Sprache verwendet aufgrund rassistischer Zuschreibungen oder der Religion, Ethnizität, Nationalität, Hautfarbe, Abstammung, Geschlechts oder anderer identitätsbezogene Faktoren der Person.
Der Rabat-Aktionsplan der Vereinten Nationen, der im Oktober 2012 verabschiedet wurde, ist ein internationaler Aktionsplan zur Bekämpfung von nationalistischem, rassistischen oder religiösem Hass. Er setzt hohe Maßstäbe für die Einschränkung der Meinungsfreiheit und legt konkrete Kriterien fest, wann staatliche Eindämmungsstrategien in der Praxis gerechtfertigt sind.
Durch die Verankerung der Debatte in den internationalen Menschenrechtsnormen wurde ein dreifaches Ziel verfolgt: ein besseres Verständnis der Gesetzgebung, Rechtsprechung und Politik in Bezug auf den Begriff der Anstiftung zu Hass zu erlangen und gleichzeitig die uneingeschränkte Achtung des Rechts auf freie Meinungsäußerung gemäß Artikel 19 und 20 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) zu gewährleisten; eine umfassende Bewertung des Umsetzungsstands des Verbots von Verhetzung im Einklang mit den internationalen Menschenrechtsnormen vorzunehmen und die Ermittlung möglicher Maßnahmen auf allen Ebenen.
Deutsche Rechtslage: Bedeutung und Zielsetzung
In den Jahren 2017 und 2021 wurden in Deutschland Gesetze zur Bekämpfung von Hassrede im Netz erlassen, darunter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das 2024 vom Digitale-Dienste-Gesetz größtenteils abgelöst wurde. Der §130 (Volksverhetzung) des Strafgesetzbuches wurde zusätzlich erweitert, um Rassismus und Fremdenfeindlichkeit strafrechtlich zu verfolgen. Ende 2022 verabschiedete die EU den 'Digital Services Act', der im Mai 2024 in Deutschland als „Digitale-Dienste-Gesetz“ in Kraft tritt. Dieses Gesetz zielt darauf ab, große Onlineplattformen (wie Facebook, TikTok, X, Instagram, Youtube) besser zu regulieren.
Im Zentrum stehen ebenfalls Desinformation, Fake News und Willkür, die Hass und Hassrede im Netz befördern. Es ist nicht möglich, vorauszuahnen, was Algorithmen auf den Plattformen hochspülen und welche Meinungen oder Ausdrucksformen gezeigt werden. Diese Intransparenz erweist sich für die öffentliche Meinungsbildung in einer Demokratie als ein gravierendes Problem. Onlineplattformen verdienen unter anderem Geld an Werbung, indem KI-Algorithmen verstärkt Inhalte zeigen können, die polarisierend, falsch, diskriminierend oder hetzerisch sind. Vor diesem Hintergrund ist klar, dass gesetzliche Regulierungen insbesondere notwendig sind, weil Online-Plattformen mit hetzerischen Inhalten so letztlich auch die demokratische Meinungsbildung prägen. Gegen rechtswidrige Online-Inhalte muss daher entschlossen, gleichzeitig jedoch auch angemessen vorgegangen werden.
Regulierung und Unterbindung von Hassrede: Einschränkung der Meinungsfreiheit?
Die Herausforderung im Umgang mit Hassrede liegt oft im Spannungsfeld zur Meinungsfreiheit. Die Meinungsfreiheit ist ein grundlegendes Menschenrecht und eine Voraussetzung für demokratische Gesellschaften.
Doch gesetzliche Maßnahmen gegen Hassrede zielen nicht darauf ab, freie Meinungsäußerung zu unterdrücken, Meinungen zu löschen oder Zensurbehörden zu schaffen, sondern die öffentliche Sicherheit und den Schutz von Minderheiten und weiteren Zielgruppen zu gewährleisten.
Die Abgrenzung zwischen freier Meinungsäußerung und der Verbreitung zu Anstiftung zu Diskriminierung, Hass und Drohung erfordert eine sorgfältige Prüfung. Die Meinungsäußerungsfreiheit deckt auch beleidigende Äußerungen ab, die zwar die Ehre der Betroffenen verletzen, aber noch nicht unter Hassrede fallen.
Schutz vor Hassrede ist mehr ist als ein Schutz vor verbalen Attacken. Er zielt darauf ab, die Eskalation in physische Gewalt zu verhindern und die Grundpfeiler einer freien und gerechten Gesellschaft zu wahren. Die Umsetzung gesetzlicher Maßnahmen, die Rahmenbedingungen für mehr Transparenz und Verantwortlichkeit von Online-Plattformen schaffen, stellt sicher, dass Meinungsfreiheit und Sicherheit gemeinsam bestehen können - ohne die Rechte und den Schutz jedes Einzelnen, insbesondere der vulnerablen Gruppen, zu vernachlässigen.
Marian Luca