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Venezuela im Krisenmodus

Präsident Nicolás Maduro erklärte sich zum Wahlsieger, die Opposition bezichtigt ihn des Wahlbetruges. Auch Wochen nach der Wahl gibt es weiterhin keine Einigkeit über das Ergebnis. Nicht nur die Vereinten Nationen zeigen sich besorgt - Venezuela steckt noch tiefer in der Krise als zuvor.

Nicolas Maduro steht an einem Rednerpult und hat beide Hände erhoben, er spricht.
Nicolás Maduro spricht in der UN-Generalversammlung. (UN Photo/Cia Pak)

Nach den Wahlen am 28. Juli 2024 zögerte Venezuelas amtierende Präsident Nicolás Maduro nicht lange damit, seinen Sieg zu feiern. Mit 51 Prozent der Stimmen läge Maduro deutlich vor dem Oppositionskandidaten Edmundo González Urrutia, verkündete der Nationale Wahlrat. González habe demnach bloß 43 Prozent der Stimmen erhalten. 

Auch mehrere Wochen nach der Wahl gibt es von verschiedenen Seiten Zweifel an dem Wahlergebnis. UN-Generalsekretär António Guterres, das Auswärtige Amt, die USA und weitere Staaten riefen dazu auf, alle Wahlergebnisse rasch zu veröffentlichen und so für Transparenz zu sorgen. Bisher ist das nicht passiert. Auch die EU lehnte die Anerkennung des Wahlergebnisses unter den aktuellen Umständen ab. Es gebe Wahlunterlagen, die darauf hindeuten, dass in Wahrheit González mit deutlicher Mehrheit gewonnen habe, heißt es in einer Erklärung des Rates der EU. Nach einer Recherche der Associated Press, die kopierte Wahlakten von 79 Prozent der Wahlautomaten auswerteten, hat der Oppositionskandidat sogar nahezu doppelt so viele Stimmen erhalten wie Maduro. Es gab aber auch Glückwünsche an Maduro – beispielsweise von den Regierungen Boliviens, Honduras, Kubas, Russlands und Chinas.

In Venezuela gab es Proteste gegen das Wahlergebnis, die gewaltsam niedergeschlagen wurden. Es kam zu mehr als 2.000 Festnahmen – oftmals im Kontext von Demonstrationen oder aufgrund von Aktivitäten in sozialen Medien. Laut der venezolanischen Regierung starben mindestens 25 Menschen bisher im Zusammenhang mit den Protesten, 192 Personen wurden verletzt. Auch die Informationsfreiheit wird immer stärker eingeschränkt: Nichtregierungsorganisationen berichten, dass 13 Journalistinnen und Journalisten inhaftiert wurden. Maduro sperrte den Kurznachrichtendienst X per Dekret. 

Ermittlungsmission der UN zur Aufklärung von Menschrechtsverletzungen 

Die Vereinten Nationen beobachtet die Situation der Menschenrechte in Venezuela seit September 2019 mit einer Unabhängigen internationalen Ermittlungsmission (Independent International Fact-Finding Mission).Diese Ermittlungsmission soll die Menschenrechtsverletzungen im Land seit 2014 aufklären, aktuell hat sie ein Mandat bis September dieses Jahres. In ihrem aktuellsten Bericht aus dem Oktober 2023 stellte die Mission erneut fest, dass es in Venezuela systematische Versuche gebe, die Opposition zu unterdrücken und dass wiederholt Verbrechen gegen die Menschlichkeit stattfinden. Die damalige Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UN High Commissioner for Human Rights) Michelle Bachelet beklagte bereits 2019 unter anderem „extralegale Hinrichtungen“ und Berichte von hunderten Todesfällen durch „Todesschwadronen“.  Unter den Opfern der systematischen Unterdrückung seien immer wieder Oppositionelle und bekannte Vertreterinnen und Vertreter von Menschen- und Frauenrechten, sowie der Presse und Gewerkschaften. 

Zuletzt äußerte sich die Ermittlungsmission auch zu den Unruhen und Protesten nach der Wahl – bei den Festnahmen seien verschiedene Vorgehensweisen, die auf Menschenrechtsverletzungen hinweisen, beobachtet worden. So wurde beispielsweise vielen Festgenommenen der Zugang zu Rechtsbeistand verwehrt oder sie wurden ohne ausreichende Beweise wegen Terrorismus angeklagt. Besonders besorgniserregend sei außerdem, dass unter den Festgenommenen mehr als 100 Kinder und Jugendliche seien, deren Rechte oftmals schwer verletzt würden. 

"Die gemeldeten Todesfälle während der Proteste müssen gründlich untersucht werden, und wenn sich die übermäßige Anwendung tödlicher Gewalt durch die Sicherheitskräfte und die Beteiligung bewaffneter Zivilpersonen, die in Absprache mit ihnen handelten, bestätigt, müssen die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden", sagte Marta Valiñas, Vorsitzende der Ermittlungsmission. Sie betonte auch, dass sowohl die Opfer als auch ihre Familien Gerechtigkeit verdient hätten. Willkürlich verhaftete Personen müssten sofort freigelassen werden. 

Totalitäre Tendenzen und Niedergang des Chavismo 

Als Wahlsieger würde Maduro von der Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas (Partido Socialista Unido de Venezuela) seine dritte Amtszeit beginnen – seit 2013 regiert er das Land. Der ehemalige, linkspopulistische Präsident Hugo Chávez ernannte Maduro 2012 todkrank zu seinem Nachfolger. Chávez hatte das Land davor seit 1999 regiert: Gestützt von hohen Einnahmen aus dem Erdölexport etablierte er in dieser Zeit viele Sozialprogramme und mit dem ‘Chavismo’ eine sozialistische Opposition zum Neoliberalismus und der Politik von Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (International Monetary Fund – IMF). Antidemokratische, autoritäre Tendenzen gab es in Venezuela schon unter Chávez. 

Unter der Regierung Maduros sanken die Erdölpreise, das Land litt zunehmend unter Misswirtschaft, die Unzufriedenheit wuchs und der Chavismo verlor mehr und mehr an Ansehen. Um seine Macht zu erhalten, manipulierte Maduro in der Folge Wahlrecht und Wahlsystem. An der Rechtmäßigkeit der Wahl 2018 gab es dann schon große Zweifel. 

Einen bisherigen Tiefpunkt erreichte Venezuela Anfang 2019: Die Nationalversammlung erklärte damals Maduros Wiederwahl für ungültig und den Politiker Juan Guaidó zum Interimspräsidenten. Zwar stellten sich große Teile der internationalen Gemeinschaft hinter Guaidó, faktisch gelangte der aber nie an die Macht und hatte beispielsweise keine Kontrolle über die Streitkräfte. Ende 2022 beschloss die Nationalversammlung dann das Ende der Übergangsregierung von Guaidó. 

Wachsende Wirtschaftskrise und Fluchtbewegung

Venezuela befindet sich im letzten Jahrzehnt in einer schweren politischen und ökonomischen Krise: Seit 2013 ist die Wirtschaft um ein Drittel geschrumpft, die Landeswährung ist durch die Hyperinflation praktisch wertlos und das Gesundheitssystem ist in weiten Teilen zusammengebrochen. Viele Menschen sind in Armut und Hunger abgerutscht. Gleichzeitig ist die Kriminalität stark angestiegen. Bis November 2023 haben darum nach Angaben des Amts des Hohen Flüchtlingskommissars der UN (Office of the United Nations High Commissioner for Refugees - UNHCR) 7,7 Millionen Menschen Venezuela verlassen – im Land leben nun noch etwa 28 Millionen Menschen.   

Das UNHCR unterstützt die Geflüchteten aus Venezuela auf vielfältige Art und Weise. Und auch die Internationale Organisation für Migration (International Organization of Migration - IOM) ist beispielsweise in Brasilien und in Kolumbien in der Integration und Unterbringung von Geflüchteten involviert. Bedauerlicherweise ist die Arbeit des UNHCR mit venezolanischen Geflüchteten schon seit Jahren stark unterfinanziert. Für das Jahr 2024 würden geschätzt 64,2 Millionen US-Dollar benötigt, um die Geflüchteten zu unterstützen. Bis März dieses Jahres waren davon aber nur rund zehn Prozent finanziert. In Aufnahmeeinrichtungen an den Grenzen zu Venezuela konnten deswegen teilweise keine Unterkünfte oder Basishilfsgüter zur Verfügung gestellt werden. 

Zukunft unklar

Wie es nun in Venezuela weitergehen könnte, ist offen. Expertinnen und Experten sind sich allerdings einig, dass der ziemlich eindeutige Wahlbetrug durch Maduro die Situation im Land weiter verschlechtern wird und die venezolanische Bevölkerung in Zukunft noch mehr unter der totalitären Unterdrückung durch den Präsidenten leiden wird. Auch die Flüchtlingskrise um das Land könnte sich weiter zuspitzen. Umfragen vor der Wahl suggerierten, dass weitere 3,7 Millionen Menschen planen, Venezuela zu verlassen, sollte Maduro an der Macht bleiben.

Lisa Kuner


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