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Debatte: Russlands politische Kosten steigern

Die Aufforderungen der UN an Russland, den Krieg zu beenden, verhallen weiterhin wirkungslos. Der Sicherheitsrat bleibt blockiert - welche Möglichkeiten sollte die Generalversammlung nun nutzen? Ein Meinungsbeitrag.

Der russische Botschafter bei den UN schaut auf einen Bildschirm, auf dem ukrainische Präsident zu sehen ist.
Sitzung des Sicherheitsrates im September 2022 (UN Photo/Laura Jarriel).

Am Vorabend des Jahrestags der Invasion Russlands in die Ukraine, am 23. Februar 2023, verlangte die UN-Generalversammlung einmal mehr von Russland, die Kämpfe einzustellen und sich aus der Ukraine zurückzuziehen. Das war bereits die fünfte Aufforderung dieser Art (A/RES/ES-11/6). Folgen: keine! Russland setzt seine Angriffe unvermindert fort. So kommen die UN ihrem in Artikel 1 der Charta verankerten Ziel, „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren“, nicht näher. Allein mit Resolutionen ist Russland nicht zu stoppen.

Um nicht missverstanden zu werden: Das völkerrechtliche Gewaltverbot zu bekräftigen ist gut und richtig. Unter Hinweis auf – in der Tat mitunter grenzwertige und auch grenzüberschreitende – Handlungen westlicher Staaten will der russische Präsident Wladimir Putin glauben machen, er bewege sich im Rahmen des Völkerrechts. Da ist es wichtig, mit klarer Kante und überwältigenden Mehrheiten in der Generalversammlung dagegenzuhalten: Das Gewaltverbot gilt! Unabhängig davon, was andere Staaten getan haben. Die Aggression ist völkerrechtswidrig und sofort zu beenden. Ebenso ist es wichtig, in den Resolutionen auf den Schutz der Zivilbevölkerung und der zivilen Infrastruktur, auf das Annexionsverbot und die Pflicht zur Wiedergutmachung hinzuweisen. Damit macht die UNGA aber nur das, was Artikel 11 der UN-Charta ihr ausdrücklich vorgibt: Fragen zur Wahrung des Weltfriedens erörtern und dazu Empfehlungen abgeben.

Ein bekanntes Muster: Problemverwaltung statt Problemlösung

Das ist „business as usual“, wie die große Kennerin der UN, die jüngst verstorbene Inge Kaul in einem Debattenbeitrag schon vor einem Jahr über die erste Resolution zur Ukraine urteilte. Oder anders formuliert: bürokratisch. Probleme werden verwaltet, nicht gelöst. Das ist leider im Bereich der Sicherheit auch sonst zu beobachten. Man denke nur an die Blauhelm-Einsätze, deren Mandate ohne politische Perspektive immer wieder verlängert werden. Im nächsten Jahr wird die UN-Friedenstruppe in Zypern (UNFICYP) 60. Dazu heißt es auf ihrer Webseite knapp: "Wegen des Ausbleibens einer politischen Lösung (…) ist UNFICYP auf der Insel geblieben."

Gewiss, die UN machen noch mehr, als nur Resolutionen zu verfassen: sie leisten humanitäre Hilfe, klären Menschenrechtsverletzungen auf oder sichern Kernkraftwerke durch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA). Aber nichts, was die Waffen zum Schweigen bringen könnte. Das haben auch die diplomatischen Initiativen des Generalsekretärs nicht bewirkt. In dieser Lage muss die Generalversammlung mehr tun, um ihrer Verantwortung für den Frieden gerecht zu werden. Und sie darf es. Sie kann alles beschließen, was zur Erfüllung ihrer Aufgaben geeignet erscheint – nur eines nicht: den Staaten Verpflichtungen auferlegen. Das darf allein der Sicherheitsrat, der wegen des russischen Vetorechts in Sachen Ukraine-Krieg ausfällt.

Welche Maßnahmen kann die Generalversammlung ergreifen?

Die Generalversammlung sollte die Staaten mit ‚follow up‘-Maßnahmen unter Rechtfertigungs- und Verhandlungsdruck setzen, wie es die Ausschüsse der Menschenrechtsvertragsorgane mit Erfolg vormachen. Wird ein Verstoß festgestellt, wird er solange mit den betreffenden Staaten erörtert und auf die Tagesordnung gesetzt, bis er abgestellt ist. So könnte die UNGA einen Ausschuss einsetzen, der laufend über die Umsetzung der einzelnen Punkte in den Resolutionen verhandelt: angefangen von Vereinbarungen zu Gefangenenaustausch und Getreideausfuhren (was bereits funktioniert), über den Schutz der Zivilbevölkerung und der zivilen Infrastruktur bis hin zu einem Waffenstillstand und dem Abzug der Truppen. Ein Krieg im Verständnis der UN ist aber keine rein bilaterale Angelegenheit, sondern eine der Weltgemeinschaft. Der Ausschuss müsste deshalb weitere Fragen erörtern, zum Beispiel vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen, wie sie vielfältig von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bekannt sind, Rüstungskontrolle, Abrüstung, Sicherheitsgarantien bis hin zu einer europäischen Sicherheitsarchitektur - da zumindest trifft die chinesische Friedensinitiative einen Punkt.

Zieht man den Kreis der Themen so weit, hätte auch Russland etwas zu gewinnen. Anders als bei bilateralen Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien, bei denen es nur verlieren kann. Denn die territoriale Integrität der Ukraine steht – auch nach Chinas Friedensplan – nicht zur Debatte. Durch Aggression kann sich ein Staat kein Gebiet rechtmäßig angliedern, selbst mit Zustimmung des angegriffenen Staates nicht.

Voraussetzungen für einen wirkungsvollen Ausschuss

Bestenfalls sollten dem Ausschuss die Mitglieder des Sicherheitsrats angehören unter Hinzuziehung der Ukraine. Das würde die komplizierte Auswahl geeigneter Staaten ersparen und die Teilnahme der wichtigsten Staaten bedeuten. Ohne dass sie dort ein Vetorecht hätten und sich mit einem simplen „Njet“ der Diskussion entziehen könnten.

Russland und die Ukraine müssten in dem Ausschuss vielmehr um Mehrheiten für ihre Interessen werben und dabei die eigene Perspektive hinterfragen lassen. Um lösungsorientiert zu bleiben, sollte der Vorsitz monatlich unter den Mitgliedern wechseln, die weder direkt am Krieg beteiligt sind, noch eine Seite mit Waffenlieferungen unterstützen. Der jeweilige Vorsitz hätte zu Beginn ein Arbeitsprogramm vorzulegen und am Ende der UNGA über Ergebnisse zu berichten. So wird eine Debatte unter allen Staaten angestoßen und Weltöffentlichkeit hergestellt.

Russland (welt-)öffentlich in eine Rechtfertigungsposition bringen

Zudem sollte die UNGA ein juristisches Expertengremium einsetzen, das die Rechtmäßigkeit von Kriegshandlungen bewertet. Es geht also nicht um den – aufwendigen – Nachweis persönlicher Schuld, sondern „nur“ um eine Einschätzung, ob das humanitäre Völkerrecht im Einzelfall verletzt worden ist. Grundlage dafür könnten dokumentierte Beschwerden einer Kriegspartei und Erwiderungen der Gegenseite innerhalb einer kurzen Frist sein. Allein der Rechtfertigungszwang würde Russland mäßigen. Es müsste belegen, weshalb es angegriffene Ziele für militärische Objekte gehalten hat. Gelingt ihm dies nicht, steht es – sozusagen amtlich besiegelt – weltöffentlich als Staat da, der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht.

Mitwirken sollten in diesem Gremium über jeden Zweifel erhabene Persönlichkeiten von hohem Rang: ehemalige Richterinnen und Richter des Internationalen Gerichtshofs oder Mitglieder der Völkerrechtskommission (ILC). Sie müssten ihre Beratungsergebnisse einschließlich abweichender Voten begründen; und der UNGA monatlich Bericht erstatten, damit diese das Kriegsgeschehen bewerten kann.

Das alles wird den Krieg nicht sofort beenden, aber dessen politische Kosten für Russland steigern. Das kann ihm angesichts seiner weltpolitischen Ambitionen nicht egal sein.

Prof. Dr. Ulrich Fastenrath, Zentrum für internationale Studien an der Technischen Universität Dresden, Mitglied des Präsidiums des Landesverbands Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen der DGVN


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