Was kann der neue Pandemie-Vertrag bewirken?
Mitten in der COVID-19-Pandemie, im Dezember 2021, wurde ein Zwischenstaatliches Verhandlungsorgan (Intergovernmental Negotiating Body) gebildet, das einen Entwurf für ein Abkommen erarbeiten sollte. Ziel sollte es sein, einen umfassenden globalen Rahmen für den Umgang mit der COVID-19-Pandemie und zukünftigen Pandemien schaffen.
Da jedoch kein Konsens unter den 194 Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation – WHO) zustande kam, konnte das Abkommen während der COVID-19-Pandemie nicht final ausgearbeitet werden. Erst jetzt, Mitte April 2025, wurde ein Beschluss über einen endgültigen Entwurf gefasst. Auf der 78. Weltgesundheitsversammlung (World Health Assembly) soll dieser nun im Mai zur formellen Verabschiedung gemäß Artikel 19 der WHO-Verfassung vorgelegt werden.
Ein Blick auf das Abkommen
Als Moment von historischer Bedeutung bezeichnet der WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus das Abkommen. Klar ist: Es eröffnet die Möglichkeit eines internationalen Gesundheitsmechanismus, der auf gegenseitiger Zusammenarbeit, den Menschenrechten, Gleichberechtigung und wissenschaftlicher Evidenz beruht.
Das Abkommen ist ohne Zweifel ein Schritt in die richtige Richtung. Es wird eine Lücke bei der Bekämpfung von Gesundheitskrisen mit einem innovativen Ansatz füllen. Durch das Abkommen bekommt die Bedrohung, die von Pandemien ausgeht, die notwendige Aufmerksamkeit und es ist der Versuch, einen solidarischen Mechanismus zur Bewältigung eines gemeinsamen Feindes zu schaffen. Es gibt jedoch auch Anlass für Skepsis. Schon bei einem ersten Blick auf den Abkommensentwurf werden Schwachstellen deutlich: Es fehlt an Verbindlichkeit bei den Umsetzungsmechanismen, die Verpflichtungszusagen bleiben vage und wie die wichtigsten Instrumente funktionieren sollen, ist ebenfalls unklar.
Was die wesentlichen Stärken sind
Die vielleicht größte Errungenschaft des Abkommens besteht darin, dass es wieder Hoffnung schnürt. Die Hoffnung, dass es noch multilaterale Zusammenarbeit gibt und die Nationen der Welt bereit sind, sich gemeinsam gegen die Bedrohung, die von Pandemien ausgeht (und die keine Grenzen kennt), zu wehren. Das ist besonders bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass die Bedeutung von Vielfalt und Multilateralismus immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird und rechtsextreme Ideologien weltweit an Zuspruch gewinnen.
Das vorgeschlagene Abkommen eröffnet eine neue Perspektive auf die globale Gesundheitsversorgung, indem es den bewährten „One Health“-Ansatz auf internationaler Ebene einführt. Dieser Ansatz erkennt die gegenseitige Abhängigkeit der Gesundheit von Menschen, Tieren und Umwelt an. Dieser umfassendere Ansatz mag auf den ersten Blick nicht bahnbrechend erscheinen. Aber er weist darauf hin, dass Pandemien nicht mehr isoliert betrachtet werden sollten und lässt darauf hoffen, dass Staaten bei einem künftigen Ausbruch besser vorbereitet sein und sich an einem ganzheitlicheren Verständnis von Pandemien orientieren werden.
Um den One-Health-Ansatz weiter zu fördern, soll außerdem geeignetes Personal in die Lage versetzt werden (One Health Workforce), auf verschiedene Arten von Krankheitsausbrüchen rasch reagieren zu können. Außerdem wurden Mechanismen vereinbart, um Gesundheitskrisen durch gegenseitige Unterstützungsmaßnahmen zu bekämpfen, zum Beispiel durch sektorübergreifende Koordinierung und integrierte Überwachungssysteme.
Auch das sogenannte PABS-System (Pathogen Access and Benefit-Sharing System - PABS) ist ein Baustein des Abkommens, der unter anderem einen gleichberechtigten Austausch von Impfstoffen gewährleisten soll. Außerdem sind im Abkommen klare Bemühungen zur Förderung einer diversifizierten und nachhaltigen Herstellung von biomedizinischen Produkten erkennbar, wie auch Regelungen, die eine Entwicklung hin zu nicht-exklusiven Rechten an geistigem Eigentum oder Lizenzen für medizinische Produkte fördern. Diese Initiativen scheinen eine Erweiterung bereits existierende Maßnahmen zu sein, die von der WHO und anderen internationalen Akteuren während der COVID-19-Pandemie ergriffen wurden. Sie unterstützten dabei nicht nur Entwicklungsländern bei der Bekämpfung der Pandemie, sondern spielten auch eine wesentliche Rolle bei der Aufhebung des Pandemiestatus von COVID-19.
Wo die größten Schwächen liegen
Aber es gibt auch deutliche Mängel. Die Wirksamkeit des Abkommens wird durch das Fehlen einer angemessenen Durchsetzung oder verbindlicher Verpflichtungen abgeschwächt. So ist zum Beispiel die Sprache im gesamten Abkommen nicht verbindlich. Das zeigt sich vor allem an den Mechanismen für den Technologietransfer Fragen der Lizenzvergabe oder des geistigen Eigentums - beide beruhen eher auf dem guten Willen oder der öffentlich-privaten Zusammenarbeit, als dass sie in irgendwelchen Verpflichtungen verankert wären.
Selbst auf der Makroebene fehlt dem vorgesehenen grundlegenden Umsetzungsmechanismus mit dem Namen ‚Konferenz der Vertragsparteien‘ (Conference of the Parties – COP) jede Befugnis, sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen, um die Einhaltung der von den Mitgliedsländern eingegangenen Verpflichtungen zu gewährleisten. Auch der Streitbeilegungsmechanismus weist dieses Problem auf. Das Fehlen eines angemessenen Verpflichtungsmechanismus lässt ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit des vereinbarten Entwurfs aufkommen, wenn es darum geht, während einer Gesundheitskrise eine wirkliche Wirkung zu erzielen.
Auch der zugrundeliegende Mechanismus für finanzielle Beiträge verpflichtet die Länder in keiner Weise; vielmehr sind die Beiträge freiwilliger Natur und beruhen auf dem guten Willen - diese fehlende Finanzierung gibt Anlass zu ernsten Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit des Abkommens, falls es von der Weltgesundheitsversammlung angenommen wird.
Der besorgniserregendste Aspekt des Abkommens liegt in der Tatsache, dass das Mandat des WHO-Sekretariats absichtlich eingeschränkt wurde. Das liegt daran, dass die Mitgliedstaaten Bedenken bei jeder Übertragung echter Befugnisse an das Sekretariat Bedenken hinsichtlich ihrer Souveränität haben. So kann die WHO keine koordinierte, einheitliche Reaktion vorschreiben oder gar Impfvorschriften erlassen. Das ist überraschend, wenn man bedenkt, dass die WHO eine zentrale Rolle bei der Eindämmung der durch COVID-19 verursachten Schäden gespielt hat.
Wirklich ein Moment von historischer Bedeutung?
Es ist zwar noch unklar, ob das Abkommen die für eine formelle Verabschiedung im Mai, wenn die Weltgesundheitsversammlung zusammentritt, erforderliche Zweidrittelmehrheit der Mitgliedstaaten erreichen wird, doch ein Konsens über den endgültigen Abkommensentwurf wurde bereits erzielt. Dass die Verabschiedung des Abkommens ein historischer Schritt für die Bekämpfung von Gesundheitsnotfällen auf globaler Ebene sein wird, falls sie erfolgt, ist ebenfalls unbestritten.
Zugegebenermaßen weist das Abkommen Mängel auf, aber seine Bedeutung scheint weniger in seiner Wirksamkeit, sondern eher in der Tatsache zu liegen, dass es die Grundlage für zukünftige globale Gesundheitsabkommen schafft. Und es lässt zumindest die Möglichkeit einer gemeinsamen, multilateralen Reaktion auf eine gemeinsame Bedrohung wieder aufleben – man könnte sogar sagen, das Abkommen entspricht dem, was die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte für die Menschenrechte darstellt.
Khushbakht Fatima