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Weide statt Wüste

Im westafrikanischen Niger trocknet der Klimawandel die Böden aus. Mit der 'Halbmond-Technik' erobern sich die Menschen fruchtbares Land zurück.

Zwei Frauen reihen einige Schüsseln mit Hirse auf dem Boden auf, die später den Kindern als Schulspeisung gereicht werden.
Schulspeisung durch das WFP. (Foto: Tobias Schwab)

Es ist ganz schön was los auf dem Gelände der Schule von Rafa. Die Kleinsten wuseln um die Lehmmauern ihres Unterrichtsbaus herum, gegenüber bereiten Frauen über offenem Feuer schon das Mittagessen für die Kinder vor. Und eine Gruppe Schülerinnen und Schüler marschiert in Zweierreihen in den Gemüsegarten. Für die Mädchen und Jungen steht Gärtnern auf dem Stundenplan. Unter ihnen ist Sahiba, die sich gleich an die Arbeit macht, mit bloßen Händen im Feld wühlt und eine fette Süßkartoffel aus der Erde holt. 

Im Dorf Rafa, im Süden des westafrikanischen Landes Niger gelegen, ist der Schulgarten eine kleine grüne Oase inmitten sandig-staubiger Landschaft. In Kleingruppen müssen die Jungen und Mädchen mehrmals wöchentlich aktiv werden - sie säen, pflanzen, jäten und wässern, erklärt Rektor Bachir Ali. "Gedüngt wird mit Kompost, den wir aus organischen Abfällen gewinnen."

Fast 20 Prozent der Menschen sind unterernährt

Ein Unterrichtsprogramm, das Früchte trägt in einem Land, dessen Lage der Welthunger-Index als 'ernst' einstuft. Fast 20 Prozent der Menschen im Niger sind unterernährt. Acht von 100 Kindern sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Und 44 Prozent der Jungen und Mädchen bleiben aufgrund von Mangelversorgung mit Nährstoffen zu klein und untergewichtig.

Gerade leiden die Menschen in Niger wieder unter einer extremen Trockenheit, wie sie das Land in der semiariden Sahelzone lange nicht mehr erlebt hat. In vielen Regionen sind mehrere Regenzeiten ausgeblieben. Auf die Niederschlagsmuster ist schon lange kein Verlass mehr. Während in vielen Gegenden die Böden unter der brennenden Sonne aufreißen und kaum noch etwas hergeben, stürzen in anderen Teilen des Landes plötzlich Wassermassen vom Himmel und überfluten ganze Landstriche.

Niger verliert jährlich 100.000 Hektar an fruchtbaren Böden

Beschleunigt durch die Erderwärmung verliert Niger jährlich rund 100 000 Hektar an fruchtbaren Böden. Die Sahara frisst sich immer weiter ins Land hinein und nimmt den Menschen Lebensraum. Für Niger, wo Bevölkerung mit durchschnittlich 6,6 Geburten pro Frau so rasant wächst wie in keinem anderen Land der Welt, ist das eine katastrophale Bilanz.

Die Regierung von Präsident Mohamed Bazoum setzt alles daran, das Bevölkerungswachstum zu bremsen - vor allem mit dem Ausbau des Bildungssystems und Angeboten für Mädchen. Ehrgeizig sind auch die Ziele im Kampf gegen die Wüste. 200 000 Hektar Land will Bazoums Regierung pro Jahr wieder als Acker- oder Weideland zurückgewinnen.

„Halbmonde“ lassen das Land wieder ergrünen

Bauer Mahaman Dan Jimma ist einer, der den Kampf gegen die Wüste schon aufgenommen hat. Jimma ist Präsident eines Komitees, das sieben Dörfer in der Region Maradi repräsentiert. Der Landwirt mit grauem Bart steht vor einer Scheune, in der Heu lagert, und zeigt auf die Flächen der Umgebung. Dort steht kniehoch das Gras, wachsen Büsche und Akazien. "Alle in den Dörfern, die jünger als 30 sind, sehen hier zum ersten Mal in ihrem Leben etwas wachsen", sagt Jimma, um das Vegetationswunder begreiflich zu machen. Selbst das Vieh habe zuvor kaum noch etwas zu fressen gefunden.

Zu verdanken haben die Bauern das einer alten Methode, die Mitte der 1990er-Jahre in Westafrika weiterentwickelt wurde und nun als 'Halbmond-Technik' auch vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (World Food Programme - WFP) propagiert wird. Mit dessen Unterstützung haben Jimma und gut 500 weitere Bäuerinnen und Bauern mit Schaufeln sichelförmige Becken in den ausgemergelten Boden gegraben und den Aushub im Halbrund zu einem kleinen Wall aufgeschichtet. In den auch mit Dung gefüllten Senken von rund vier Metern Durchmesser kann sich nun Regenwasser sammeln und langsam versickern. "Früher", erzählt Jimma, "konnte das Erdreich das Wasser gar nicht mehr aufnehmen, so trocken war es."

Auf etwa 42 Hektar haben die Bauern der sieben Dörfer bereits hunderte 'Halbmonde' angelegt, in ihre Mitte jeweils einen Baum gesetzt und an den Rändern Gräser und Kräuter gesät.

„Das ist jetzt ein ganz anderes Klima hier“, sagt Bäuerin Hapsou Raky

Die Menschen in der Region Maradi spüren tagtäglich, wie die Begrünung ihr Leben verändert. "Unsere Tiere finden jetzt wieder genügend Futter", sagt Jimma. Das entschärft auch Konflikte zwischen Bauernfamilien und Viehhirten, die um die Flächen konkurrieren. Was das Land nun hergibt, reicht sogar aus, um einen Vorrat zu schaffen. "Wir können einen Teil der Heuernte lagern und verkaufen, um damit Einnahmen zu erzielen."

Auch Assama Laouali weiß die Erfolge der 'Halbmond'-Offensive zu schätzen. Die 35-Jährige zieht auf Feldern jetzt Tomaten, Karotten, Zwiebeln und Gurken. Hapsou Raky erzählt davon, dass der Wasserspiegel in den Dörfern bereits wieder gestiegen sei. Büsche und Bäume verhinderten, dass der Wind Erde einfach hinwegfege, und spendeten Schatten. "Das ist jetzt ein ganz anderes Klima hier", sagt die 48-Jährige.

Viele Dörfer kommen jetzt ohne Nahrungsmittelhilfe durch die Dürre

Der Chef des WFP in Niger, Jean-Noel Gentile, sieht solche Effekte für Vegetation, Biodiversität und den sozialen Zusammenhalt als Beleg für den Erfolg der "integrierten Resilienzstrategie", die das WFP verfolgt. Ziel sei es dabei, nicht erst auf Katastrophen zu reagieren, sondern die Menschen widerstandsfähiger gegen externe Schocks zu machen. Deshalb begleitet das WFP die Dörfer nicht nur dabei, Böden zu rehabilitieren, sondern organisiert Schulspeisungen, unterstützt den Aufbau von Lehrgärten, berät Mütter zur gesünderen Ernährung und hilft, Wertschöpfungsketten, die Jobs bringen, zu schaffen.

Was die Menschen in Rafa widerstandsfähiger macht, trägt auch in rund 840 weiteren Dörfern, in denen das WFP mit lokalen Partnern und der Bevölkerung an der Begrünung arbeitet. Trotz der schweren Dürre hätten im vergangenen Jahr 80 Prozent der involvierten Gemeinden keine Nahrungsmittelhilfe in Anspruch nehmen müssen, bilanziert Raffaella Policastro, die das Resilienz-Programm des WFP in Niger leitet.

Zu diesem Erfolg tragen auch die Mütter bei, die an der Schule von Rafa täglich für alle Mädchen und Jungen eine warme Mahlzeit zubereiten. In ihren Töpfen dampft an diesem Morgen Hirsebrei mit Moringa - ein nährstoffreiches lokales Gemüse. Die Süßkartoffeln, die Sahiba und ihre Freundinnen im Schulgarten geerntet haben, stehen dann bestimmt an einem der folgenden Tage auf dem Speiseplan.

Tobias Schwab

Die ausführliche Version der Reportage ist am 14. Januar 2023 in der Printausgabe der Frankfurter Rundschau erschienen. 

Hinweis: Dieser Beitrag entstand im Rahmen der DGVN-Recherchereise „Humanitäre Hilfe in Niger“. Um einen Beitrag zu einem differenzierteren Bild über die weltweiten Aufgaben und Herausforderungen der Vereinten Nationen zu leisten, bot die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) im November 2022 eine einwöchige Informations- und Recherchereise für an. Dafür reiste eine Gruppe von Journalistinnen und Journalisten vom 6.-12. November 2022 nach Niger in die Tillabéri-Region mit der Hauptstadt Niamey und dem Ort Simiri.


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