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Wie steht es um die globale psychische Gesundheit? Ein Überblick

Nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs sind psychische Erkrankungen die größte gesundheitliche Belastung für die globale Bevölkerung. Die Ursachen, die die UN im Rahmen ihrer Ziele für nachhaltige Entwicklung bekämpfen, unterscheiden sich weltweit jedoch sehr.

Unter blauem Himmel steht ein weißer Krankentransporter.
Februar 2021: ein von der WHO unterstütztes "Mental Health"-Mobil im ukrainischen Donezk. (Foto: WHO/Blink Media - Brendan Hoffman)

Ist ihre psychische Gesundheit (engl. ‚mental health‘) beeinträchtigt, sind Menschen oft antriebsloser, sorgen sich weniger um sich selbst, ihre Bildung, Arbeit und Teilhabe am sozialen Leben. Laut des Hohen Kommissariats der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) lebt weltweit jede zehnte Person mit einer psychischen Erkrankung – Tendenz steigend. Allein im ersten Jahr der Pandemie nahm die Zahl der Menschen, die an einer Depression oder Angststörung erkrankt waren, um 25 Prozent zu. Doch was ist unter psychischer Gesundheit zu verstehen und was wollen die Vereinten Nationen konkret zu ihrer Stärkung umsetzen?

Psychische Gesundheit zeichnet sich gemäß der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dadurch aus, dass eine Person in der Lage ist, mit dem Stress und Problemen des alltäglichen Lebens gut zurechtzukommen und gleichzeitig einen Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten. Zu den häufigsten Erkrankungen zählen Depressionen, Angsterkrankungen sowie affektive und bipolare Störungen. Menschen mit psychischen Erkrankungen haben zudem im Schnitt eine um zehn Jahre verringerte Lebenserwartung. Global betrachtet sollen es der WHO zufolge sogar 20 Jahre sein.

Deshalb haben die Vereinten Nationen psychische Gesundheit auch in den Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) aufgegriffen. Ein Unterziel von SDG 3 ‚Gesundheit und Wohlergehen‘ sieht vor, bis zum Jahr 2030 die Anzahl frühzeitiger Tode aufgrund nichtübertragbarer Krankheiten um ein Drittel zu verkürzen und die psychische Gesundheit und das Wohlergehen zu fördern.

Psychische Gesundheit im weltweiten Vergleich

Ein Indikator der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für den Gesundheitsstatus eines Landes ist unter anderem die Suizidrate. Laut Schätzungen der WHO begehen jährlich mehr als 700 000 Menschen weltweit Suizid. Allein in Deutschland nahmen sich 2019 mehr als 9000 Menschen das Leben, damit sterben dreimal mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle.

Auffällig ist, dass gerade in einkommensschwachen Ländern die Suizidrate deutlich höher als in einkommensstarken Ländern war. In einkommensschwachen bis -mittelschwachen Ländern erhalten nur etwa vier Prozent der von Depressionen Betroffenen die Mindestversorgung. In einkommensstarken Ländern immerhin jede fünfte Person. Unter den G7-Staaten verzeichneten die USA im Jahr 2019 mit 16,1 pro 100 000 Einwohnerinnen und Einwohnern die höchste Suizidrate. In Südafrika lag sie bei 23,5 und in Lesotho – der von Südafrika umschlossenen Enklave – sogar bei 72,4. Doch warum befinden sich sechs der zehn Länder mit der höchsten Suizidrate weltweit auf dem afrikanischen Kontinent?

Unterschiedliche Ursachen für psychische Erkrankungen

Ein Problem ist, dass Suizidprävention nur selten von nationalen Gesundheitsprogrammen priorisiert wird, so Matshidiso Moeti, WHO-Regionaldirektorin für Afrika. Doch es mangelt auch an finanzieller Unterstützung. Die durchschnittlichen Staatsausgaben für psychische Gesundheit liegen pro Kopf gerade einmal bei 0,5 US-Dollar, obwohl die Empfehlung der WHO für Entwicklungsländer bei 2 US-Dollar liegt. Hinzu kommt, dass auf dem afrikanischen Kontinent lediglich eine Psychotherapeutin oder ein -therapeut auf 500 000 Einwohnerinnen und Einwohner kommt. Die Empfehlung der WHO liegt um das Hundertfache höher.

Das erklärt jedoch lediglich das fehlende flächendeckende Behandlungsangebot. Ursachen für das Entstehen psychischer Erkrankungen stehen nicht selten im Zusammenhang mit Diskriminierung und Unterdrückung von Menschenrechten. Armut und die mangelhafte Versorgung der Grundbedürfnisse, Gewalt, Isolation und fehlende Chancengleichheit sind Ursachen für erhöhtes Aufkommen psychischer Erkrankungen, so das OHCHR. Die Stärkung der Menschenrechte ist somit unabdingbar für die Gewährleistung einer psychisch gesunden Bevölkerung.

Flucht, Krieg, Naturkatastrophen als Auslöser

Unter dem Motto ‚Leaving no one behind‘ will die WHO insbesondere Geflüchteten Programme für die psychische Gesundheit zugänglicher machen. Geflüchtete sind unter anderem wegen traumatischer Erfahrungen dreimal häufiger von psychischen Erkrankungen betroffen als nichtgeflüchtete Menschen. Hans Henri Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa, befürwortet deshalb die Initiative der ukrainischen First Lady, Olena Selenska, ein „All-Ukrainian Mental Health Programme“ ins Leben zu rufen. Nach Schätzungen der WHO ist infolge des russischen Angriffskriegs allein ein Viertel der ukrainischen Bevölkerung von psychischen Erkrankungen wie posttraumatischen Belastungsstörungen betroffen.

Weitreichende Belastung für die mentale Gesundheit vieler Menschen im Globalen Norden stellen neben finanziellen Sorgen, negativem Stress und dem missbräuchlichen Konsum von Alkohol und Medikamenten außerdem Krisen wie die COVID-19-Pandemie oder Naturkatastrophen, zum Beispiel Überschwemmungen und Waldbrände, dar. 

Sensibilisieren, umsetzen und enttabuisieren

Wie versuchen die Vereinten Nationen, die globale psychische Gesundheit konkret zu unterstützen? Die WHO beabsichtigt, mit ihren Sensibilisierungskampagnen den aktiven Umgang mit Stress zu verbessern, indem die individuelle Resilienz gestärkt wird.

Dafür ist eine enge Zusammenarbeit mit Regierungen erforderlich. Beispielsweise bildet die WHO in Simbabwe Fachpersonal aus, um die Qualität und den Zugang zu psychologischer Hilfe zu erhöhen. Auch in Kenia und Uganda wurden Mittel für die psychologische Versorgung geschaffen. Die afrikanischen Gesundheitsministerinnen und -minister haben sich im WHO-Regionalausschuss für Afrika als Ziel gesetzt, dass bis 2030 alle Länder ein politisches sowie rechtliches Konzept im Umgang mit psychischer Gesundheit entwickelt haben müssen. Moeti fordert aufgrund der Dringlichkeit einer flächendeckenden Versorgung einen ‚radical change‘, eine radikale Veränderung, für den afrikanischen Kontinent.

Damit die Umsetzung eines flächendeckenden Angebots Erfolg hat, muss es letztlich auch angenommen werden. Eine große Rolle hierfür spielt die Enttabuisierung von psychischen Erkrankungen innerhalb einer Gesellschaft. In Deutschland nehmen weniger als 20 Prozent der Menschen mit psychischen Erkrankungen professionelle Hilfe in Anspruch. Auch das soziale Umfeld kann dabei helfen, Tabus rund um psychische Gesundheit im Kleinen zu brechen, sodass Menschen ohne Angst vor Diskriminierung über ihre Beschwerden und Gefühle sprechen können. Indem sie sich Stigmatisierungen entgegenstellen, können somit alle einen Beitrag zu psychischer Gesundheit und letztlich auch zur Erreichung von SDG 3 leisten.

Von Alexander Müller


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