Das Bonn-Bermuda-Dreieck: Warum viele Stimmen aus dem ‚Globalen Süden‘ die UN-Klimakonferenz nie erreichen
Wer bei einer Auslandsreise noch nie Passprobleme hatte, wem noch nie ein Visum verwehrt wurde, steht wahrscheinlich weit oben im Global Passport Ranking. Deutsche Staatsangehörige besetzen dort den dritten Platz. Sie brauchen für die Einreise in 189 Länder kein Visum. Die Mehrheit der Weltbevölkerung hat dieses Privileg nicht. So auch Tausende der Menschen, die seit 1995 beinahe jeden Sommer nach Bonn reisen, um die Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen im Spätherbst vorzubereiten. Die sogenannten Zwischenverhandlungen (Subsidiary Body Sessions), die jetzt wieder vom 16. bis 26. Juni anstehen, sind weitaus kleiner, aber nicht weniger wichtig.
In all den Jahren hat sich eins nicht geändert: die Ecken des Bonn-Bermuda-Dreiecks. An Badge, Visum und Budget scheitern viele Teilnahmen, vor allem von Menschen aus dem sogenannten ‚Globalen Süden‘. Sie sind bei den Verhandlungen immer noch stark unterrepräsentiert. Aber wie entsteht dieses Ungleichgewicht?
Die Ecken des Dreiecks: Badge, Visum und Budget
Wer an einer UN-Konferenz teilnehmen möchte, braucht zunächst eine Eintrittskarte, das sogenannte Badge. UN-Mitgliedstaaten können Diplomatinnen und Diplomatinnen, Personal und Abgeordnete nominieren. Auf die übrigen Badges bewerben sich zivilgesellschaftliche Beobachterinnen und Beobachter, zum Beispiel aus Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, indigenen Gemeinschaften, der Wissenschaft oder von Unternehmen. Sie verfolgen die Verhandlungen kritisch und berichten der Öffentlichkeit. Außerdem versuchen sie, die Ergebnisse zu beeinflussen, indem sie auf der Konferenz Proteste organisieren oder Hintergrundgespräche mit Delegierten der Staaten führen. Die Bonner Zwischenkonferenz ist bei etwa 7000 Teilnehmenden auf 2000 Beobachtende begrenzt.
Wie werden die Badges unter ihnen verteilt? In vielen UN-Institutionen ist das Verfahren ähnlich: Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die in ihrem Land offiziell registriert sind, bewerben sich auf einen Beobachtungsstatus, der ihnen nach einiger Zeit gewährt wird. Dann können sie Badges beantragen. Wer wie viele bekommt, veröffentlicht das UN-Klimasekretariat etwa zwei Monate vor jeder Konferenz. Die zugrundeliegenden Kriterien sind nicht öffentlich. Nur ein Drittel der Organisationen, die einen Beobachtungsstatus haben, sitzen im ‚Globalen Süden‘. In den letzten Jahren gingen auch deshalb mehr als die Hälfte der Badges an Menschen aus dem ‚Globalen Norden‘, obwohl sie nur 15 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren. Aus Solidarität geben einzelne Organisationen ihre Badges an Partnerorganisationen im ‚Globalen Süden‘ weiter. Aber diese Praxis ist nicht systematisch. Wenn die 2000 Plätze nach der Bevölkerungszahl verteilt wären, würden nur 20 Beobachtende aus Deutschland teilnehmen.
Kein Visum - keine Verhandlung
Visaprobleme bilden das zweite Eck des Bonn-Bermuda-Dreiecks. Da deutsche Auslandsvertretungen unterbesetzt sind, scheitert ein Visum oft schon am Termin für den Antrag. Die nahende UN-Konferenz ist kein Grund für ein beschleunigtes Verfahren. Akkreditierte müssen viel Papierkram, hohe Kosten, lange Fahrten oder Flüge zu deutschen Vertretungen auf sich nehmen – die es in dutzenden Staaten gar nicht gibt – und hoffen, dass alles klappt. Sich auf eine UN-Konferenz vorzubereiten, bedeutet für viele Menschen aus dem ‚Globalen Süden‘ nicht nur, politische Debatten zu analysieren, Forderungen mit Gleichgesinnten zu formulieren und sich mit Verhandelnden zu verabreden, sondern auch ein hoher Verwaltungsaufwand – nicht immer mit Happy End. Das ist insbesondere relevant vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung derzeit für mehr UN-Institutionen in Bonn wirbt. Zwar wurden in den letzten Jahren eine Digitalisierung von Visaverfahren in Deutschland angestoßen, das gilt aber noch nicht für die Schengen-Visa.
Teure Teilnahme
Die dritte Ecke des Dreiecks: Finanzierung. Wer schon mal auf einer UN-Konferenz war, kennt dort die Preise für Kaffee und eine Mahlzeit. Mit vier Euro für einen Cappuccino und 12 Euro für ein Mittagessen sind sie für Deutschland moderat hoch, im Vergleich zu vielen Ländern aber unbezahlbar. Vor allem für Unterkunft und Anreise reichen die meisten Einkommen nicht. Viele Beobachtende sind ehrenamtlich vor Ort oder überschreiten ihre Arbeitszeit weit; sie brauchen mehr Zeit für ihr Studium oder lassen familiäre Verpflichtungen schleifen. Das muss man sich leisten können. Wem es gelingt, die Kosten mit Spenden zu decken, verzichtet dennoch zeitgleich auf Lohnarbeit. Wichtige Abhilfe schafft seit drei Jahren die Bettenbörse des Bonn Climate Camp. Im letzten Jahr bot sie bereits über 200 kostenlose Schlafplätze bei Bonnerinnen und Bonnern für junge Konferenzteilnehmende aus dem ‚Globalen Süden‘.
Klimagerechtigkeit beginnt mit gerechten Zugängen
Das Bonn-Bermuda-Dreieck schluckt jedes Jahr hunderte Stimmen aus Regionen, die besonders wenig zur Klimakrise beigetragen haben, aber besonders schwer von ihr betroffen sind. Es sind wichtige Stimmen für ambitionierte, bedarfsorientierte und gerechte Klimapolitik. Die Probleme sind lange bekannt und gelten auch bei anderen UN-Konferenzen.
Doch es gibt Auswege: Erstens könnten die Badges früher und gleichmäßig auf die Weltregionen verteilt werden. Zweitens wäre ein eigenes Visaverfahren für UN-Verhandlungen im Schengen-Raum hilfreich: Dann könnten Visa auch bei Auslandsvertretungen deutscher Nachbarstaaten beantragt werden, es gäbe mehr Termine und kürzere Wege. Drittens wäre es eine Möglichkeit, dass das UN-Klimasekretariat in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten Verpflegung und Unterkünfte für alle garantiert und Reisestipendien für Benachteiligte bereitstellt. Dies wirft aber verschiedene Fragen auf, etwa danach, ob das auch bei anderen UN-Konferenzen der Fall sein sollte und natürlich nach der Finanzierung. Dem Verursacherprinzip (Polluters-Pay-Prinzip) zufolge müssten die Kosten vor allem von den Hauptverursachern der Klimakrise, dem ‚Globalen Norden‘, Reichen und der fossile Industrie getragen werden. Auch dafür kämpft die Klimabewegung bei den Bonner Zwischenverhandlungen seit 30 Jahren. Denn Klimagerechtigkeit beginnt bei gerechten Zugängen zu Klimakonferenzen.
Tobias Holle und Stella Eick, basierend auf einem Artikel von Tobias Holle