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Das Bonn-Bermuda-Dreieck: Warum viele Stimmen aus dem ‚Globalen Süden‘ die UN-Klimakonferenz nie erreichen

Die UN-Klimakonferenz zieht jedes Jahr in eine andere Region. Doch seit 30 Jahren wird sie fast immer am selben Ort vorbereitet: in Bonn. Vor allem aus dem ‚Globalen Süden‘ ist der Weg an den Verhandlungstisch jedoch sehr weit oder gar unpassierbar.

Eine Gruppe junger Leute steht mit einem Transparent, auf dem "End Visa Injustice" steht.
Unsere Zukunft – unsere Stimmen: Aktivistinnen und Aktivisten fordern gerechten Zugang zu den UN-Verhandlungen, die über ihr Leben entscheiden (Foto: Marie Jacquemin)

Wer bei einer Auslands­reise noch nie Pass­probleme hatte, wem noch nie ein Visum verwehrt wurde, steht wahrscheinlich weit oben im Global Passport Ranking. Deutsche Staats­angehörige besetzen dort den dritten Platz. Sie brauchen für die Einreise in 189 Länder kein Visum. Die Mehrheit der Welt­bevöl­kerung hat dieses Privileg nicht. So auch Tausende der Menschen, die seit 1995 beinahe jeden Sommer nach Bonn reisen, um die Welt­klima­konferenz der Vereinten Nationen im Spätherbst vorzubereiten. Die sogenannten Zwischen­verhand­lungen (Subsidiary Body Sessions), die jetzt wieder vom 16. bis 26. Juni anstehen, sind weitaus kleiner, aber nicht weniger wichtig. 

In all den Jahren hat sich eins nicht geändert: die Ecken des Bonn-Bermuda-Dreiecks. An Badge, Visum und Budget scheitern viele Teilnahmen, vor allem von Menschen aus dem sogenannten ‚Globalen Süden‘. Sie sind bei den Verhandlungen immer noch stark unter­repräsentiert. Aber wie entsteht dieses Un­gleich­gewicht?

Die Ecken des Dreiecks: Badge, Visum und Budget

Wer an einer UN-Konferenz teilnehmen möchte, braucht zunächst eine Eintrittskarte, das sogenannte Badge. UN-Mitglied­staaten können Diplo­matinnen und Diplo­matinnen, Personal und Abgeordnete nominieren. Auf die übrigen Badges bewerben sich zivil­gesell­schaft­liche Beo­bachterinnen und Beobachter, zum Beispiel aus Umwelt- und Men­schen­rechts­organi­sationen, indigenen Gemeinschaften, der Wissenschaft oder von Unternehmen. Sie verfolgen die Verhandlungen kritisch und berichten der Öffentlichkeit. Außerdem versuchen sie, die Ergebnisse zu beeinflussen, indem sie auf der Konferenz Proteste organisieren oder Hinter­grund­gespräche mit Delegierten der Staaten führen. Die Bonner Zwischen­konferenz ist bei etwa 7000 Teilnehmenden auf 2000 Beobachtende begrenzt. 

Wie werden die Badges unter ihnen verteilt? In vielen UN-Institutionen ist das Verfahren ähnlich: Nicht­regierungs­organisationen (NGOs), die in ihrem Land offiziell registriert sind, bewerben sich auf einen Beobachtungs­status, der ihnen nach einiger Zeit gewährt wird. Dann können sie Badges beantragen. Wer wie viele bekommt, veröffentlicht das UN-Klima­sekretariat etwa zwei Monate vor jeder Konferenz. Die zugrunde­liegenden Kriterien sind nicht öffentlich. Nur ein Drittel der Organisationen, die einen Beo­bachtungs­status haben, sitzen im ‚Globalen Süden‘. In den letzten Jahren gingen auch deshalb mehr als die Hälfte der Badges an Menschen aus dem ‚Globalen Norden‘, obwohl sie nur 15 Prozent der Welt­bevöl­kerung repräsentieren. Aus Solidarität geben einzelne Organisationen ihre Badges an Part­nerorga­nisationen im ‚Globalen Süden‘ weiter. Aber diese Praxis ist nicht systematisch. Wenn die 2000 Plätze nach der Be­völkerungs­zahl verteilt wären, würden nur 20 Beobachtende aus Deutschland teilnehmen.

Kein Visum - keine Verhand­lung

Visa­probleme bilden das zweite Eck des Bonn-Bermuda-Dreiecks. Da deutsche Auslands­vertre­tungen unterbesetzt sind, scheitert ein Visum oft schon am Termin für den Antrag. Die nahende UN-Konferenz ist kein Grund für ein beschleunigtes Verfahren. Akkreditierte müssen viel Papierkram, hohe Kosten, lange Fahrten oder Flüge zu deutschen Vertretungen auf sich nehmen – die es in dutzenden Staaten gar nicht gibt – und hoffen, dass alles klappt. Sich auf eine UN-Konferenz vorzubereiten, bedeutet für viele Menschen aus dem ‚Globalen Süden‘ nicht nur, politische Debatten zu analysieren, Forderungen mit Gleich­gesinnten zu formulieren und sich mit Verhandelnden zu verabreden, sondern auch ein hoher Ver­waltungs­aufwand – nicht immer mit Happy End. Das ist insbesondere relevant vor dem Hintergrund, dass die Bundes­regierung derzeit für mehr UN-Institutionen in Bonn wirbt.  Zwar wurden in den letzten Jahren eine Digitali­sierung von Visa­verfahren in Deutschland angestoßen, das gilt aber noch nicht für die Schengen-Visa. 

Teure Teilnahme

Die dritte Ecke des Dreiecks: Finanzierung. Wer schon mal auf einer UN-Konferenz war, kennt dort die Preise für Kaffee und eine Mahlzeit. Mit vier Euro für einen Cappuccino und 12 Euro für ein Mittagessen sind sie für Deutschland moderat hoch, im Vergleich zu vielen Ländern aber unbezahlbar. Vor allem für Unterkunft und Anreise reichen die meisten Einkommen nicht. Viele Beobachtende sind ehrenamtlich vor Ort oder überschreiten ihre Arbeitszeit weit; sie brauchen mehr Zeit für ihr Studium oder lassen familiäre Verpflichtungen schleifen. Das muss man sich leisten können. Wem es gelingt, die Kosten mit Spenden zu decken, verzichtet dennoch zeitgleich auf Lohnarbeit. Wichtige Abhilfe schafft seit drei Jahren die Bettenbörse des Bonn Climate Camp. Im letzten Jahr bot sie bereits über 200 kostenlose Schlafplätze bei Bonnerinnen und Bonnern für junge Konferenz­teilnehmende aus dem ‚Globalen Süden‘.

Klima­gerechtig­keit beginnt mit gerechten Zugängen

Das Bonn-Bermuda-Dreieck schluckt jedes Jahr hunderte Stimmen aus Regionen, die besonders wenig zur Klimakrise beigetragen haben, aber besonders schwer von ihr betroffen sind. Es sind wichtige Stimmen für ambitionierte, bedarfs­orientierte und gerechte Klimapolitik. Die Probleme sind lange bekannt und gelten auch bei anderen UN-Konferenzen.

Doch es gibt Auswege: Erstens könnten die Badges früher und gleichmäßig auf die Weltregionen verteilt werden. Zweitens wäre ein eigenes Visa­verfahren für UN-Verhand­lungen im Schengen-Raum hilfreich: Dann könnten Visa auch bei Aus­lands­vertretungen deutscher Nachbar­staaten beantragt werden, es gäbe mehr Termine und kürzere Wege. Drittens wäre es eine Möglichkeit, dass das UN-Klima­sekretariat in Abstimmung mit den Mitglied­staaten Verpflegung und Unterkünfte für alle garantiert und Reise­stipendien für Benachteiligte bereitstellt. Dies wirft aber verschiedene Fragen auf, etwa danach, ob das auch bei anderen UN-Konferenzen der Fall sein sollte und natürlich nach der Finanzie­rung. Dem Ver­ursacher­prinzip (Polluters-Pay-Prinzip) zufolge müssten die Kosten vor allem von den Haupt­verursachern der Klimakrise, dem ‚Globalen Norden‘, Reichen und der fossile Industrie getragen werden. Auch dafür kämpft die Klima­bewe­gung bei den Bonner Zwischen­verhand­lungen seit 30 Jahren. Denn Klima­gerechtig­keit beginnt bei gerechten Zugängen zu Klima­konferenzen.

Tobias Holle und Stella Eick, basierend auf einem Artikel von Tobias Holle


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