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Ernährungssicherheit in Zeiten des Krieges

Konflikte sind eine der Hauptursachen für Hunger. Durch den Krieg in der Ukraine ist nun die Ausfuhr von Nahrungsmitteln stark eingeschränkt – mit verheerenden Auswirkungen auf die globale Ernährungssicherheit.

UN-Generalsekretär António Guterres in der Türkei, wo Schiffe im Rahmen des Getreideabkommens kontrolliert werden. (UN Photo/Mark Garten)

Im Jahr 2005 erklärte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) Konflikte zu einer der Hauptursachen für Hunger. Nach Angaben des Welternährungsprogramms der UN (WFP) leben 60 Prozent der hungernden Menschen in Regionen, die von Kriegen und Gewalt betroffen sind. Der im Oktober veröffentlichte Welthunger-Index für 2022 spricht von 828 Millionen unterernährten Menschen in 2021. 193 Millionen benötigten akute Nahrungsmittelhilfe. Und eine Verbesserung der Situation ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: der Krieg in der Ukraine trägt aktuell zu einer akuten Verschärfung der Lebensmittelknappheit bei.

Unverzichtbare Grundnahrungsmittel aus der Ukraine und Russland

Sowohl die Ukraine als auch Russland gehören zu den größten Agrarproduzenten der Welt. Beide Länder verfügen über Gebiete mit besonders fruchtbaren Böden und sind darüber hinaus Exportländer. Vor dem Krieg kamen knapp 30 Prozent des Weizens und 67 Prozent der Sonnenblumenkerne, Baumwollsamen und Distelöle weltweit aus der Ukraine und Russland. 

Gerade für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen waren die Ukraine und Russland wichtige Nahrungsmittellieferanten. Ganze 36 Länder, darunter einige der ärmsten Länder der Welt, importierten vor Kriegsbeginn über die Hälfte ihres Weizens aus der Ukraine und Russland. So bezogen beispielsweise die Demokratische Republik Kongo oder Ruanda etwa 80 Prozent ihres Getreides aus Russland und auch die Ukraine exportierte zwischen 2016 und 2021 rund 90 Prozent ihres Weizens nach Afrika und Asien. Neben der Ausfuhr von Agrarprodukten, ist Russland auch aufgrund seiner Exporte von Düngemitteln ein wichtiger Akteur in der globalen Lebensmittelversorgung. Düngemittel sind wichtig, um Erträge zu sichern und somit auch um das Preisniveau für Lebensmittel stabil zu halten. 

Auswirkungen des Krieges auf die weltweite Ernährungssituation

Der seit Februar andauernde Krieg hat dazu geführt, dass große Mengen an Agrarprodukten, allen voran Weizen, nicht mehr aus der Ukraine exportiert werden können. Russland ergriff dabei gezielt Maßnahmen, um die Nahrungsmittelproduktion in und die Nahrungsmittelausfuhr aus der Ukraine zu beeinträchtigen. Felder konnten nicht bestellt werden, Erträge konnten nicht geerntet werden, Agrarflächen wurden gezielt bombardiert, besetzt oder vermint, Exporthäfen blockiert und wichtige Infrastruktur zur Ausfuhr von Waren zerstört. Bauern mussten von ihren Ländereien fliehen oder haben aufgrund des Krieges davon abgesehen, neu auszusähen. 

Russland blockierte gezielt die Ausfuhr von Waren über das Schwarze Meer und kündigte darüber hinaus im März 2022 ein vorübergehendes Ausfuhrverbot für Getreide und Düngemittel aus Russland an. Das Ergebnis: destabilisierte Märkte, Nahrungsmittelknappheit und Nahrungs- und Düngemittelpreise auf einem historischen Hoch. Während die Industriestaaten hauptsächlich von den steigenden Preisen betroffen sind und auf die Krise mit erhöhter Eigenproduktion reagieren, sind viele Entwicklungsländer existentiell und vermutlich auch langfristig betroffen. 

Das Schicksal der Entwicklungsländer

Das WFP bei einer Essensausgabe in Burundi. (UN Photo/Martine Perret)

Die FAO spricht von einem nie dagewesenen Nahrungsnotstand in der Sahel-Zone und in Regionen in West Afrika. Die Lebensmittelsicherheit Kenias, Somalias und Äthiopiens ist laut der UN-Organisation akut gefährdet. Das UN-Welternährungsprogramm WFP befürchtet, dass aufgrund des Krieges zusätzliche 47 Millionen Menschen, insbesondere in Sub-Sahara Afrika, Hunger leiden werden. In Ägypten, dem größten Weizenimporteur der Welt, droht die Weizenknappheit soziale Unruhen auszulösen. Und in Ländern, wo der Bedarf an humanitärer Hilfe hoch ist, wie beispielsweise im Jemen, ist die Lebensmittelversorgung stark beeinträchtigt, weil die Ukraine als entscheidender Lieferant für Getreide und Sonnenblumenöl ausfällt. 

Getreide und Sonnenblumenöl sind die wichtigsten Lebensmittel in der humanitären Hilfe. Der Ausfall der ukrainischen Lieferungen verbunden mit steigenden Transport- und Energiekosten treibt daher allgemein die Kosten für humanitäre Hilfe dramatisch in die Höhe. Das WFP spricht von einem Anstieg der Kosten um 44 Prozent im Vergleich zu 2019. Die Welthungerhilfe warnt, dass bestehende Hungerkrisen, die schon durch die Covid-19 Pandemie angeheizt wurden, nun durch den Ukrainekrieg zu Hungerkatastrophen werden.

Wie kann die Versorgung mit Lebensmitteln sichergestellt werden?

Um die weltweite Nahrungsmittelversorgung weiterhin sicherzustellen, ist es nun entscheidend, schnellstmöglich blockierte Güter, insbesondere Lebensmittel, aus der Ukraine auf den Weltmarkt zu bringen. Im Mai 2022 begann die Europäische Union mit dem Aufbau von „Solidaritätskorridoren“, über die Güter aus der Ukraine ausgefahren werden konnten. Über diese Landrouten wurden seitdem rund 12,5 Mio. Tonnen Getreide, Ölsaaten und andere Erzeugnisse aus der Ukraine exportiert

Die UN erreichten gemeinsam mit der Türkei im Juli 2022 die Verabschiedung eines Getreideabkommens zwischen Russland und der Ukraine. Es sah vor, dass gewisse Güter, wie Getreide, Lebensmittel, Dünger und Ammoniak unter bestimmten Bedingungen aus der Ukraine über den Seeweg exportiert werden dürfen. Das Abkommen sollte ursprünglich für eine Dauer von vier Monaten, bis zum 19. November gelten. Am 29. Oktober jedoch kündigte Russland an, das Abkommen aufgrund von vermeintlichen Angriffen auf Schiffe durch die Ukraine und Großbritannien auszusetzen. Zwar setzten die Vereinten Nationen, die Türkei und die Ukraine den Getreidetransport vorerst weiter fort, Russland jedoch widersetzte sich einer weiteren Durchführung des Abkommens ohne seine Zustimmung. Anschließend stieg Russland am 3. November wieder in das Abkommen ein, doch die Zukunft der Vereinbarung ist weiter ungewiss. Erste Androhungen von russischer Seite, das Abkommen erneut auszusetzen sollte es zu einer Verletzung der Sicherheitsgarantien durch die Ukraine kommen, unterstreichen die Unsicherheit der Vereinbarung. 

Um die Welt trotzdem weiter mit Getreide zu versorgen, gilt es neben der Ukraine weitere Quellen zu mobilisieren. Indien beispielsweise ist ein wichtiger Weizenproduzent, hat jedoch aus Angst vor einer Knappheit im Inland im Mai den Export von Weizen eingestellt. Auch China ist ein großer Agrarproduzent und verfügt über bedeutende Getreidebestände. Eine engere Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und China im Bereich der Ernährungssicherheit wird angestrebt. Länder wie Deutschland, deren Getreide aktuell größtenteils für Tierfutter angebaut wird, könnten außerdem ihre Agrarsysteme dahingehend umstellen, dass Getreide vorrangig der Ernährungssicherheit dient. 

Langfristige Maßnahmen

Tatsache ist, dass es neben den kurzfristigen Maßnahmen auch langfristige Lösungen für die globale Ernährungssicherheit benötigt. Dabei müssen Abhängigkeiten reduziert und ein sicherer Zugang zu Nahrungsmitteln für alle geschaffen werden. In der Afrikanische Union haben sich bereits 2003 im Rahmen der Maputo Erklärung mehrere afrikanische Staaten dazu verpflichtet, 10 Prozent der öffentlichen Ausgaben für den Agrarbereich auszugeben. Doch bislang folgen nur einzelne Länder dieser Verpflichtung. 

Neben einer erhöhten Eigenproduktion gelten auch regionale Kooperationen als ein möglicher Ansatz zur Vermeidung von Abhängigkeiten und logistischen Flaschenhälsen. Darüber hinaus sollten Monitoring- und Frühwarnsysteme in Zukunft stärker eingesetzt werden, um Knappheiten rechtzeitig zu erkennen. Das Thema Versorgungssicherheit könnte auf Grundlage der gesammelten Informationen langfristig strategischer und pragmatischer angegangen werden. Doch für all dies benötigt es in erster Linie eine internationale Anstrengung und gemeinsamen politischen Willen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation scheint der Weg noch weit. 

Rebecca Fleming


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