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„Sonst ist das Meer bald leergefischt“

Die senegalesische Muschelfischerin Adjaratou Guéye lebt von dem, was sie in den Mangroven des Saloum-Deltas findet. Doch von Jahr zu Jahr wird der Fang weniger und der Meeresspiegel steigt. Was es bedeutet, wenn die Ressourcen zum Überleben immer knapper werden: Ein Interview.

Eine orangegekleidete Frau steht vor einem bunt bemalten Holzboot, das am Strand liegt.
Die Muschelsammlerin Adjaratou Guéye wohnt in Diamniadio, einer kleinen Gemeinde im Saloum-Delta im Senegal. (Foto: Brigitte Wenger)

Hinweis: Dieses Interview fand im Rahmen der DGVN-Recherchereise „Volle Netze für nachhaltige Entwicklung?“ in Senegal statt. Anlässlich des UN-Jahres der Kleinfischerei und Aquakultur reiste eine Gruppe von Journalistinnen und Journalisten vom 23.–30. Oktober 2022 in das Delta des Flusses Saloum, um in Zusammenarbeit mit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) über Fischerei in Senegal zu recherchieren.

Adjaratou Guéye lebt in Diamniadio, einer kleinen Gemeinde im Saloum-Delta im Senegal. Ihr genaues Alter kennt sie nicht, doch sie schätzt sich auf Mitte 60. Auch schreiben kann sie nicht, nur ihren Namen kann sie ungelenk kritzeln: Ajige. Wie in dieser Region üblich sammeln Frauen Muscheln und Männer fischen Fisch. Das Saloum-Delta ist ein 76.000 Hektar großer Nationalpark aus Flussarmen und Mangrovenwäldern. Touristen kommen hierher, um Vögel oder Flussdelfine zu beobachten.

Frau Guéye, Sie sind Muschelfischerin. Warum sind Sie gerade nicht im Wasser?

Adjaratou Guéye: Vor vielen Jahren habe ich beim Muschelsammeln einen Zeh verloren. Ich weiß nicht, was genau passiert ist, vielleicht hat ihn mir ein Fisch abgebissen. Seither ist es mein Job, die Muscheln hier an Land zu verarbeiten. Außerdem ist aktuell Schonzeit – weil gewisse Arten überfischt sind, brauchen sie Pausen, sonst ist das Meer bald leergefischt.

Die Hochseefischerei, die Klimaerwärmung und der Rückgang der Mangrovenwälder setzen den Meerestieren zu. Gehen auch bei Ihnen die Bestände zurück?

Ja! Als ich als junge Frau zum Heiraten hierherkam, nach Diamniadio, konnten wir direkt vom Ufer aus fischen, so viele Fische gab es. Heute sieht man vom Ufer aus kaum mehr einen. Wir fangen immer weniger Fische und Muscheln. Dafür reicht die Flut immer höher, manchmal fließt sie schon ins Dorf hinein.

Aber Sie leben vom Meer. Wie geht das, wenn es immer weniger Meerestiere gibt?

Mit unserer kleinen Ausbeute lohnt es sich kaum, auf Märkte zu fahren. Die sind mindestens zwanzig Kilometer entfernt und das Benzin für die Bootsfahrt ist teuer. Also kommen Zwischenhändler hierher, kaufen unsere Muscheln und Fische günstig ein und verkaufen sie dann für mehr Geld auf den Märkten Senegals. Der Gewinn bleibt aber bei den Händlern.

Was bräuchten Sie denn, um Ihre Produkte lukrativ auf großen Märkten wie der Regionalhauptstadt Fatick oder gar in Dakar verkaufen zu können?

Strom. Und Kühlgeräte. So könnten wir unsere Produkte über eine längere Zeit lagern und dann mit einer großen Menge auf die Märkte fahren. Wir hätten vielleicht sogar Zugang zum Export. In anderen Gemeinden haben die Regierung oder internationale Hilfsorganisationen moderne Verarbeitungsanlagen mit Solarzellen und Generatoren gebaut. Wir empfangen fast wöchentlich Besuch und erklären unsere Probleme, aber es passiert nichts. Ohne Strom fühlen wir uns vom Senegal abgeschnitten.

Und wie helfen Sie sich?

Wir Frauen aus dem Dorf haben eine Solidaritätssparkasse gegründet. Wir treffen uns jeden Donnerstag und jede Frau zahlt 200 CFA-francs (umgerechnet 0,30 Euro) ein. Im Moment sind zirka 1.500.000 CFA-Francs (2.286,74 Euro) in der Kasse. Damit investieren wir etwa in die Moschee oder vielleicht braucht mal ein Mitglied Geld, zinsfrei natürlich. Wichtig ist, dass wir immer gemeinsam entscheiden, was wir mit dem Geld machen.

Zwei Personen mit orangefarbener Schutzausrüstung stehen bis zu den Oberschenkeln im Wasser. In den Händen halten sie Körbe voller Muscheln.
Muschelsammeln in den Mangroven bei Diamniadio, Senegal. (Foto: FAO/Amadou Touré)

Und warum sind keine Männer mit dabei?

Ganz einfach: Männer sind nicht zuverlässig. Wissen Sie was die Männer tun?

Nein.

Viele junge Männer versuchen, nach Europa aufzubrechen. Den einen gelingt es, sie leben heute in Spanien, Italien oder Deutschland, aber nicht alle von ihnen haben Arbeit. Andere kommen zurück, weil sie abgeschoben werden, oder sie schaffen es nicht mal vor die Küsten Marokkos, weil sie da von der spanischen Polizei gestoppt werden. Junge Frauen gehen eher in die Hauptstadt Dakar oder in eine andere größere Stadt Senegals und Westafrikas und verdingen sich als Haushaltshilfe.

Können Sie das verstehen?

Ich finde es nicht gut, dass unsere Jungen weggehen. Sie gewöhnen sich an bessere Lebensbedingungen – Internet, Klimaanlagen, Fernseher – und kommen nicht mehr zurück. Aber ja, ich kann es verstehen. Es geht um Hoffnung.

Beschreiben Sie uns, wie die Frauen Muscheln sammeln.

Ist die Ebbe hüfthoch, gehen wir einen Kilometer ins Meer raus. Wir klopfen mit einem dicken Holzstock auf den Boden, so finden wir die großen Muscheln. Um kleinere Muscheln zu finden, graben wir von Hand den Sand ab. Und die Austern schlagen wir mit einem Stock von den Mangrovenwurzeln. Alle Muscheln kommen dann in einen Sack, den wir uns um die Hüfte binden. Der kann schon mal über hundert Kilogramm wiegen, aber er schwimmt ja auf dem Wasser. Um ihn in die Piroge, das Boot, zu heben, helfen wir uns gegenseitig.

Und wie verarbeiten Sie die Muscheln dann hier im Dorf?

Wir machen ein Feuer und kochen die Muscheln, damit sie sich öffnen. Jetzt brauchen wir sie nur noch gegen etwas hartes zu schlagen und die Schalen gehen auf. Die Austern öffnen wir mit einem Messer. Dann nehmen wir das Fleisch raus und trocknen es. Wir haben dafür eigentlich eine Verarbeitungshalle. Doch das Dach ist kaputt, es regnet rein.

Das Interview führte Brigitte Wenger

Übersetzung aus dem Serer: Mamadou Thiam

Hinweis: Dieses Interview erschien am 20. November 2022 in abgeänderter Form in der NZZ am Sonntag.


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