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„Ich will hier nicht weg“

Klimawandel und Überfischung gefährden die Lebensgrundlage von Kleinfischern in Senegal. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen versucht mit Entwicklungsprojekten zur Unterstützung von Frauen im Saloum-Delta gegenzusteuern. Und scheint damit Erfolg zu haben.

Im knietifen Wasser steht eine Frau mit weißem Schleier und schaut sich Muscheln an, die an einem Holzgestell knapp über der Wasseroberfläche hängen.
Die Fischerin Mariama Diamé überprüft eine kleine Austernaufzucht in den Mangroven bei Toubakouta, Senegal. (Foto: Gundula Haage)

SENEGAL. Mariama Diamés Weg zur Arbeit ist länger und anstrengender geworden in den vergangenen Jahren. Im Delta des Saloum-Flusses sucht sie täglich nach Garnelen. Doch die Bestände der empfindlichen Mangrovenwälder, in denen die Krebstiere zu finden sind, gehen zurück – und die Arbeiterinnen müssen in der unbarmherzigen Hitze des Senegals immer weiter in den Fluss vordringen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Schuld an der Misere ist vor allem der Klimawandel. Immer längere und heißere Trockenperioden zerstören das Ökosystem.

Für Diamé bedeutet das, dass ihre ohnehin schon schwere Arbeit noch mühevoller wird. Barfuß und bis zum Bauch im Schlamm versunken watet die 45-Jährige aus Toubakouta jeden Morgen durch die Ausläufer des Saloum und sammelt Garnelen. Bis zu 50 Kilo schwer wird der Sack, den sie durch die Gewässer schleppt. „Oft tun mir die Füße weh“, erzählt sie. Auch unter Rückenproblemen leidet die Frau mit dem langen weißen Schleier. Regelmäßige Krankenhausaufenthalte sind die Folge. Einmal sei sie beim Garnelen sammeln in der Morgensonne sogar wegen akuter Erschöpfung auf ein nahes Boot gefallen. Am nächsten Tag war sie dennoch wieder in den Mangrovenwäldern unterwegs. Es müsse ja trotzdem weitergehen, „denn sonst gibt es nichts zu essen“. Das Schulgeld der Kinder muss schließlich auch bezahlt werden. Ein Rückzug in den Ruhestand kommt nicht infrage, solange die Kinder sie nicht mitfinanzieren können.

Schwindende Mangroven und Dürreperioden

Wie Diamé geht es vielen Küstenbewohnern im Senegal. Knapp 600.000 Menschen arbeiten unmittelbar oder mittelbar für die Industrie, für viele ist die Fischerei die einzige mögliche Einkommensquelle in einem der ärmsten Länder der Welt. Während die Küstenfischer draußen auf dem Atlantik vor allem mit der Überfischung durch industrielle Fischereiflotten aus Übersee zu kämpfen haben, ist es für die Frauen im Saloum-Delta der Rückgang der Mangroven, der ihre Existenz gefährdet. Laut UN-Angaben ist der Bestand wegen Klimawandel-bedingter Dürreperioden seit den 1970er-Jahren um 40 Prozent zurückgegangen. 

Also tut Diamé ihr Möglichstes, um die ökonomischen Lebensgrundlagen des Saloum-Deltas zu erhalten – nicht nur der Umwelt wegen, sondern auch um ihre Lebensgrundlage zu sichern. Gemeinsam mit einem Frauenkollektiv aus dem Dorf pflanzt sie nun neue Mangroven an. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen unterstützen Diamé und die anderen Frauen im Saloum-Delta ebenfalls. In einem Nachbardorf hat die FAO bereits eine Fischverarbeitungsanlage mit Räucheranlage finanziert. Mit deren Hilfe können die Fischerinnen ressourcenschonend ihre Fänge weiterverarbeiten.

Auch in Diamés Dorf ist eine solche Anlage im Bau. Stolz führt die Fischerin durch den gekachelten Bungalow mit hygienischem Fußbad und Wandfliesen, wo unter anderem Fisch und Garnelen in verschiedenen Arbeitsschritten verarbeitet werden. Es sind technologische Fortschritte, die zur Modernisierung der Küstenfischerei beitragen und den Fischerinnen dabei helfen sollen, ihre Arbeit zu kommerzialisieren.

Neue Verkaufswege für Garnelen

Dabei helfen in Diamés Heimatort Toubakouta auch Standortvorteile, die weiter abgelegene Orte im Saloum-Delta nicht haben. Toubakouta befindet sich auf dem Festland, nahe einem Ferienressort. Es gibt holprige, aber befahrbare Straßen, über die auch Kühllaster rollen können, um die in den Mangroven gesammelten Garnelen zu Märkten in der Umgebung zu befördern und dort gewinnbringend zu verkaufen. Die kleine Fischverarbeitungsanlage soll künftig auch den Export bis in die Hauptstadt Dakar und darüber hinaus ermöglichen. Es ist ein kleines UN-Projekt, aber es gibt den Fischerinnen genug Hoffnung darauf, ihren Lebensunterhalt mit dem Handwerk bestreiten zu können, das ihre Gemeinde seit Jahrhunderten ernährt.

An anderen Orten des Saloum-Deltas zieht es viele Fischer nur noch weg – nach Dakar oder Europa, wo sie auf ein besseres Leben hoffen. Das Projekt der Vereinten Nationen soll dabei helfen, den Kleinfischern Perspektiven in der Heimat zu eröffnen. Und das scheint zu gelingen.

In Toubakouta hört man kaum Abwanderungspläne. „Ich will hier nicht weg“, sagt Mariama Diamé bei der Verabschiedung überzeugt, als sie sich müde in einem Plastikstuhl niederlässt. Sie genießt die kurze Entspannung in der Nachmittagssonne.

Denn die harte Arbeit wird weitergehen – solange es noch geht.

Jörg Wimalasena

Hinweis: Dieser Beitrag entstand im Rahmen der DGVN-Recherchereise „Volle Netze für nachhaltige Entwicklung?“ in Senegal. Anlässlich des UN-Jahres der Kleinfischerei und Aquakultur reiste eine Gruppe von Journalistinnen und Journalisten vom 23.–30. Oktober 2022 in das Delta des Flusses Saloum, um in Zusammenarbeit mit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) über Fischerei in Senegal zu recherchieren.


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