Drei Vorschläge zur Stärkung der UN
1. Verteidigung der UN-Charta: Die Charta der Vereinten Nationen, welche unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs mit mehr als 75 Millionen Toten und des Holocausts der Nazis an über sechs Millionen Jüdinnen und Juden geschrieben wurde, ist eine Sternstunde der menschlichen Zivilisation. Es geht in ihr um Menschenrechte, Entwicklung, Diplomatie und, ganz zentral, den Frieden, um "künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren".
Doch erst mit der Dekolonialisierung, in der die UN unter anderem mit der Resolution 1514 eine wichtige Rolle gespielt haben, sind sie zu einer wirklich repräsentativen Weltorganisation geworden.
Mit der Agenda 2030 und ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung ist ein bemerkenswerter Plan zur Förderung von Frieden und Wohlstand und zum Schutz unseres Planeten erarbeitet worden. Bei dem im letzten Jahr stattgefundenen Zukunftsgipfel der UN musste leider festgestellt werden, dass die Ziele der Agenda schwerlich zu erreichen sein werden. Hier, so wie in der Friedensfrage – im Jahr 2024 gab es die meisten Kriege seit Ende des Zweiten Weltkriegs - wird das grundlegende Problem deutlich: die UN sind nur so stark, wie es ihrer Mitgliedsländer, zuvorderst die Staaten des Sicherheitsrates zulassen.
Doch während sich der Zeitgeist gerade in Richtung eines antihumanistischen ‘Rechts des Stärkeren’ verschiebt, bleibt die Charta mit ihrem wegweisenden Gewaltverbot, den universellen Menschenrechten ein Anker – dieser Punkt ist nicht zu unterschätzen. So bleiben die Charta und das Völkerrecht doch zentrale Bezugspunkte für die Bewertung außenpolitischen Agierens von Staaten. Daraus ergibt sich umgekehrt die Verpflichtung, die UN und das Völkerrecht gegen Angriffe zu verteidigen. Am besten und am glaubwürdigsten kann dies erfolgen, wenn sich Deutschland und die EU selbst an die Charta und das Völkerrecht halten. Ein Sündenfall, wie den Krieg der Mitgliedsstaaten der NATO um den Kosovo, darf sich nicht wiederholen. Aber auch in den immer populärer werdenden Forderungen nach einem Aus für das Asylrecht und der Abschottung Deutschlands und der EU gegenüber Flüchtlingen schaden dem UN-System massiv. Der erste Schritt zur Stärkung der UN liegt, so paradox das zunächst klingen mag, in der Verteidigung der UN-Charta und der universellen Geltung des Völkerrechts.
2. Demokratisierung der UN: Es macht Sinn, den UN-Sicherheitsrat um Länder des Südens zu erweitern. Wenn Deutschland einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat erhielte, dann müssten auch Indien, Brasilien, Südafrika und Indonesien ständige Mitglieder werden. Die Generalversammlung sollte gegenüber dem UN-Sicherheitsrat aufgewertet und mit weitergehenden Rechten ausgestattet werden.
Der Sicherheitsrat könnte auf bis zu zehn Länder als ständige Mitglieder aufgestockt werden. Der Sicherheitsrat muss wieder stärker die Realität der Kräfte auf der Welt repräsentieren und endgültig die ‘Vormacht’ des Westens in ihrem wichtigsten Gremium überwinden.
Vielleicht sollte eine Dreiviertelmehrheit der Mitglieder in der Generalversammlung der UN einen Beschluss des Sicherheitsrates aufheben können. Das Vetorecht gehört in diesem Zuge auch reformiert - es kann nicht sein, dass eine Macht allein Entscheidungen blockiert. Mindestens sollte geregelt werden, dass ein Nein einer Vetomacht den Beschluss nur verhindert, wenn eine zweite Vetomacht sich zumindest der Stimme enthält. In der Wissenschaft gibt es bedenkenswerte und weitergehende Vorschläge zur Demokratisierung der UN. Die neben dem UN-System gewachsenen multilateralen, doch nicht an das Völkerrecht gebundenen Formate wie G7, G20 und die Vereinigung der BRICS-Staatengruppe, die tendenziell eine weitere Spaltung der Welt befördern, würden nicht mehr so attraktiv sein.
Es macht Mut, dass die demokratischen Parteien im Deutschen Bundestag in Bezug auf die Notwendigkeit einer wie auch immer gearteten Demokratisierung der UN einen Konsens haben – in diesem Sinne sollte in der nächsten Legislatur eine Initiative Deutschlands in diese Richtung ausgehen.
3. Weiterentwicklung des Völkerrechts: Oft außer Acht gelassen wird der Aspekt der Weiterentwicklung des Völkerrechts: hier entscheidet sich, ob die UN mit den politischen Problemen auf der Welt Schritt halten können. Beispielsweise mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung und der Abwehr von den dem Geiste der Charta wiedersprechenden Initiativen wie die des präventiven und präemptiven Krieges. Da haben die UN gezeigt, dass dies ihre Stärke ist.
Trotzdem gibt es Felder, in denen es Handlungsbedarf gibt. Die Frage der militärischen Rüstung ist bei der Zukunftskonferenz des vergangenen Jahres angeklungen, jedoch nicht in ausreichendem Maße. Die derzeit zu beobachtende Spirale des krassen Aufwuchses bei den Rüstungsausgeben, welche zu Lasten sozialer, ökologischer und auch demokratischer Entwicklungen geht, muss durchbrochen werden. Neben der schon lange auf der Tagesordnung stehenden Frage der nuklearen Abrüstung, sollte das Völkerrecht die perspektivische Erreichung von struktureller Nichtangriffsfähigkeit proklamieren. Ein solcher Paradigmenwechsel in der Sicherheitspolitik wird gewiss nicht durch die UN durchzusetzen sein, aber ohne die UN ist ein solcher friedensichernder Ansatz zum Scheitern verurteilt.
Ebenfalls sollten die UN die Frage des extremen Reichtums von Individuen bearbeiten. Sicher, extremen Reichtum hat es auch schon Mitte des letzten Jahrhunderts gegeben – aber bestimmte Vermögen wachsen heute deutlich schneller und entkoppeln sich von der volkswirtschaftlichen Entwicklung. Die extreme Konzentration von Kapital in den Händen weniger, losgelöst vom Gemeinwesen und demokratischer Kontrolle stellt die Gesellschaften des 21. Jahrhunderts vor große Probleme, zu deren Überwindung auch die UN beitragen müssen.
Dr. Gregor Gysi, Gruppe Die Linke